• Einstimmigkeit herrschte auch an der ersten Stadtratssitzung nach dem Lockdown im Parkhotel nur selten. Trotz physischer Distanz geriet man sich wortgewaltig in die Haare. · Bild: Leroy Ryser

  • Hygiene hier, Hygiene da. Nach jedem Votum desinfizierte Stephanie Zuber das Rednerpult und tauschte die Schutzhülle am Mikrofon aus. · Bild: Leroy Ryser

14.05.2020
Langenthal

Neue Gepflogenheiten, alte Rivalitäten

Die erste Sitzung des Langenthaler Stadtrates seit dem Corona-Lockdown machte klar: Der Austragungsort (Parkhotel) und der Ablauf der Sitzung waren corona-bedingt anders, doch die politischen Rivalitäten sind die gleichen geblieben wie vor dem Lockdown. Dies kam vor allem bei der Revision des Reglements über das Schulwesen deutlich zum Ausdruck, als sich ein Teil des Stadtrates in seiner Kompetenz beschnitten fühlte und dies entsprechend im Reglement änderte, trotz heftigem Widerstand des unterlegenen Teils des Stadtrates.

Langenthal · Bei der ersten Sitzung des Langenthaler Stadtrates seit dem Corona-Lockdown war vieles anders. Nicht die alte Mühle diente wie gewohnt als Tagungsort, sondern das Parkhotel, weil hier Social-Distancing unter den Räten gewährleistet werden kann. Die Begrüssung unter den Stadträten erfolgte für einmal auf Distanz, desinfizieren der Hände beim Eingang war angesagt und jeder Teilnehmer sass an einem eigenen Pult, in gebührendem Abstand zum Sitznachbarn. Und das Ganze fand hinter geschlossenen Türen statt, ohne Publikum.
Aber auch der Ablauf der Sitzung folgte neuen Regeln. So standen für die Voten der Stadträte zwei Rednerpulte mit Mikrofonen zur Verfügung, die nur abwechselnd benutzt werden durften und nach jedem Statement gereinigt, desinfiziert und neu hergerichtet wurden. So hatte an diesem Abend eigentlich nur eine Person einen wirklich harten Job zu verrichten, die Verwaltungsangestellte Stephanie Zubler, die während drei Stunden ununterbrochen von einem zum anderen Rednerpult eilte und dieses jeweils reinigte, desinfizierte und die Schutzhülle am Mikrofon austauschte. Sie dürfte an diesem Abend mindestens einen Halbmarathon absolviert haben.

Gehässigter Schlagabtausch
Nicht geändert hat sich dagegen die ausgeprägte Rivalität unter den Stadträten, die in dieser Legislatur bereits mehrfach zum Ausdruck kam und nun bei der Beratung über die Teilrevision des Reglements über das Schulwesen der Stadt Langenthal mit zum Teil gehässigten Schlagabtauschen ihre Fortsetzung fand. Ein parlamentarischer Vorstoss forderte 2015 die Einführung eines durchlässigen Schulmodells auf der Sekundarstufe I. Dieser Forderung nahmen sich die vorberatenden Gremien im Rahmen des Projektes «Erweiterte Schulplanung» an und setzten sich mit dem zukünftigen Modell der Sekundarstufe I auseinander.
Doch das vorliegende, teilrevidierte Reglement löste im Stadtparlament heftige Reaktionen aus. Bereits die Geschäftsprüfungskommission (GPK) zeigte sich nicht einverstanden. Deren Sprecher, Patrick Freudiger (SVP), gab zwar zu verstehen, dass das vorliegende Geschäft formell richtig vorbereitet wurde, dennoch beantrage die GPK eine Rückweisung der Vorlage aus anderen Gründen. Die GPK bemängelte, dass vorgängig keine parlamentarische Diskussion stattgefunden habe, auch taxierte die GPK die Unterlagen zur Entscheidfindung als mangelhaft und nicht zuletzt hätte man sich auch eine Varianten-Auslegung zur Abstimmung gewünscht.

Stadträte fühlen sich übergangen
In der anschliessenden Debatte des Stadtrates zeigte sich, dass vor allem ein Passus im neuen Reglement die Gemüter stark erhitzte. So steht unter Artikel 6, Absatz 3: «Über die getrennte oder gemischte Klassenführung und die Zuteilung weiterer Fächer entscheidet der Gemeinderat auf Antrag der Volksschulkommission.» Will heis-sen, das zu wählende Schulmodell wird von Fachleuten und Experten erarbeitet und vom Gemeinderat verabschiedet. Damit fühlten sich viele Parlamentarier in ihrer Kompetenz beschnitten. So entgegnete beispielsweise FDP-Stadtrat Pascal Dietrich: «Einen solchen Entscheid kann man nicht Experten überlassen, dieser ist einem demokratischen Prozess zu unterziehen.» Gerhard Käser (SP) widersprach ihm: «Das Parlament soll bloss entscheiden, ob die Schule durchlässig ist oder nicht, aber alles andere kann und soll in diesem Gremium nicht entschieden werden, das ist Sache der Experten.»
Auch Sandro Baumgartner von der SP/GL-Fraktion zeigte sich überrascht und sprach davon, dass das von Fachpersonen erarbeitete und ausgewählte Schulmodell 3B sei eine zukunftsweisende Variante, weshalb er nicht einsehe, warum der Stadtrat noch seinen «Senf» dazu geben müsse. Diese Aussage brachte Pascal Dietrich in Rage und er machte Baumgartner klar, dass es so nicht gehe, weil man mit diesem Vorgehen demokratische Grundregeln aushebeln wolle. «Das wäre, wie wenn eine Expertengruppe den neuen Kampfjet auswählen, der Bundesrat ihn genehmigen würde und das Parlament sowie das Volk nichts mehr dazu zu sagen hätten», bemerkte er. Damit war endgültig «Feuer» unter dem Dach des Parkhotels: SP-Stadtrat Roland Loser warf den bürgerlichen Räten vor, «dass hier einmal mehr ein Mitte-Rechts-Lager als Verhinderer auftritt und ein dringendes Geschäft einfach hinausschieben will.»

Clavadetscher droht mit Referendum
Diego Clavadetscher (FDP) hielt ihm entgegen, dass mit dem geplanten Vorgehen ganz einfach demokratische Rechte missachtet würden. «Es ist unsere Pflicht als Stadträte, sich mit diesem Thema eingehend zu befassen. Ansonsten riskiert man, dass später das Referendum gegen dieses Reglement ergriffen wird und was dies in Langenthal bedeutet, hat man ja kürzlich zu sehen bekommen», spielte er auf die erfolgreiche Referendums-Abstimmung an, die eine Erhöhung des städtischen Unterstützungsbeitrages für den Eishockey-Nachwuchs des SC Langenthal ablehnte.
Auch alle weiteren Hinweise von linker Seite, dass Langenthal im Bereich eines durchlässigen Schulmodells schon lange hinten nachhinke und dringender Handlungsbedarf bestehe, nützten nichts, die bürgerliche Seite setzte sich am Ende durch. Der Rückweisungsantrag der GPK wurde vom Rat zwar abgelehnt, dafür wurde ein Antrag der Fraktionen EVP/glp, FDP/jll und SVP mit 21 Ja-Stimmen, bei 14 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen, angenommen. Dieser Antrag sieht vor, den Artikel 6 des revidierten Reglements über das Schulwesen wie folgt abändern und ergänzen zu lassen: «Der Stadtrat entscheidet über die Zusammenarbeitsform auf der Sekundarstufe I und wählt unter den vom Kanton zugelassenen und durchlässigen Schulmodellen drei. Der Gemeinderat und die Volksschulkommission sind vorgängig anzuhören. Der Gemeinderat bestimmt auf Antrag der Volksschulkommission Einzelheiten im Rahmen des vom Stadtrat beschlossenen Modells.»
Fazit 1: Langenthal erhält nun doch noch eine durchlässige Sekundarstufe I, das Schulmodell hingegen ist noch nicht bekannt. Fazit 2: Im Langenthaler Stadtrat hat sich seit dem Corona-Lockdown nur der äussere Rahmen verändert, der Inhalt dagegen präsentierte sich altbekannt.

Von Walter Ryser