• Bereket (links) und Awet waren in Eritrea selbst Landwirte. Doch diese Landwirtschaft hat mit derjenigen in der Schweiz zur wenige Ähnlichkeiten. Mit viel Freude lernen die jungen Eritreer in der Schweiz von Grund auf alles neu. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

07.04.2017
Emmental

Nicht weg-, sondern hinsehen

Seit rund eineinhalb Jahren beherbergen Fritz und Elsbeth Kohler, Sumiswald, in der Wohnung, wo einst die ältere Generation gelebt hatte, zwei Frauen aus Eritrea. Zudem arbeitet ein junger eritreischer Familienvater in Kohlers Bauernbetrieb. Seither erhalten sie Einblick in eine andere Kultur – und werden plötzlich mit viel Verehrung «Mama» und «Papa» genannt.

Sumiswald · «Rasen mähen? Ach ja – kleines Gras. Öl? Benzin?» Der 22-jährige Bereket nickt verständnisvoll, macht sich an die Arbeit und nimmt seinen 21-jährigen Freund Awet gleich mit. Seit rund einem halben Jahr hilft er an jeweils zwei Tagen in der Woche auf dem Hof der Familie Kohler mit. Awet dagegen absolviert hier momentan eine «Schnupperwoche».
Die beiden Freunde stammen aus derselben Region im Süden Eritreas. Sie haben sich in der Schweiz im Ankunftszentrum Kreuzlingen kennengelernt und jede Station quer durch die Schweiz bis nach Burgdorf gemeinsam verbracht.
Awet möchte gerne eine Lehre absolvieren, «am liebsten Maler oder Landwirt», sagt er gegenüber dem «UE». Er strahlt. Der inzwischen anerkannte Flüchtling weiss zwar, dass es bis dahin ein weiter und hürdenreicher Weg sein wird. Aber fleissig arbeitet er auf sein Ziel hin. Seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz, absolviert er zurzeit ein zweijähriges «10. Schuljahr» um sich vorzubereiten. Awet lernt schnell, ist interessiert, versteht und spricht schon viel Deutsch. Bereket hat ähnliche Wünsche. Er möchte Schreiner lernen. Auch er hat das Aufnahmeverfahren für ein verlängertes 10. Schuljahr absolviert. Doch beim ersten Versuch wurde er nicht aufgenommen; nun will er es erneut probieren. Eine weitere Option wäre eine Vorlehre.

Negativer Entscheid
Für Bereket standen die Chancen zuerst allgemein schlechter als für Awet. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt, trotz ganz ähnlicher Voraussetzungen wie bei Awet. Er kann aber nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden. Inzwischen ist er Familienvater und – zumindest kirchlich – verheiratet. Denn noch fehlen die Papiere, damit er und seine Frau Luwam, welche im Besitz der Aufenthaltsbewilligung B ist, auch rechtlich als Eheleute gelten. Ihr kleines Töchterchen Betiel ist inzwischen sechs Monate alt. Durch Luwam hat die Familie Kohler in der Waldmatt, Sumiswald, auch die beiden Freunde Bereket und Awet kennen gelernt.
Als vor wenigen Jahren beide Eltern von Fritz Kohler gestorben waren und danach die kleine Wohnung nicht mehr benützt wurde, liessen Kohlers diese renovieren. Sie entschieden sich, sie für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.
Über die Flüchtlingshilfe der Heilsarmee Burgdorf wurden ihnen Luwam (25) und Akberet (21) zugewiesen. Die beiden Frauen lebten hier selbständig, besuchten dreimal pro Woche in Burgdorf den Deutschunterricht und erhalten bis heute liebevolle Hilfe und Unterstützung von Kohlers, wenn sie diese brauchen. Als Luwam ein Kind erwartete, lernten Kohlers deren Freund und inzwischen Ehemann, Bereket, kennen.
Luwam und Bereket haben sich in der Asylunterkunft in Konolfingen kennen gelernt. Während Bereket anschlies-send in eine WG in Burgdorf ziehen durfte, fand Luwam ihr neues Heim in der Waldmatte auf dem Hof der Familie Kohler. Inzwischen leben Bereket, Luwam und die kleine Betiel in einer eigenen Wohnung in Burgdorf. In der Waldmatte zog daraufhin die 20-jährige Bhran ein.
«Es hat sich alles wirklich gut angelassen. Die Menschen aus Eritrea sind dankbar, aufmerksam und sehr hilfsbereit. Sie wollen arbeiten, nehmen jede Arbeit mit Freude an, und sie wollen auch lernen», ist das Fazit von Fritz Kohler im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». «Und sie haben eine Kultur, welche die älteren Leute noch ehrt», ergänzt Elsbeth Kohler. Sie erfahren dies täglich.
Die jungen Leute halten ihnen ehrerbietig die Türe, nehmen ihnen das Tragen von schweren Sachen ab, sind überhaupt überaus höflich. «Wir können eure Namen nicht aussprechen, aber wir können ‹Mama› und ‹Papa› sagen», meinten sie bei ihrer Ankunft auf der Schonegg. Dabei blieb es;
ihre «Gasteltern» sind für sie Mama und Papa.

«Alles viel schwieriger»
Fritz und Elsbeth Kohler entschieden, Bereket auf ihrem Hof anzustellen und ihn an zwei Tagen pro Woche zu beschäftigen. Bereket (und auch Awet) waren in ihrem Heimatland ebenfalls Landwirte.
Die beiden lachen auf die Frage, wie sich die Landwirtschaft in der Schweiz und in Eritrea unterscheide. «Ganz anders», meinen sie. In der Schweiz arbeite man mit Maschinen. «Es ist alles viel schwieriger.» Zuhause in Eritrea werde noch mit den Ochsen gepflügt. Der Ertrag werde ausschliesslich für die Ernährung der Familie benützt.

Administrativer Marathon
«Administrativ war die Arbeitsbewilligung für Bereket ein langwieriges, umständliches Unterfangen», blicken Kohlers zurück – ein Marathon durch verschiedene Anlaufstellen, und zu allem hin musste die Stelle offiziell beim RAV während einem Monat ausgeschrieben sein. «Das führte zu weiteren zahlreichen Telefonaten, weil sich Leute auf die eigentlich gar nicht freie Stelle bewarben.»
Eben dieser grosse administrative Aufwand dürfte der Grund sein, dass nur wenige Flüchtlinge angestellt werden, befürchtet Fritz Kohler. Ein halbes Jahr arbeitet Bereket nun schon für ihn; eben ist die Arbeitsbewilligung für ein halbes Jahr, bis anfangs August, verlängert worden.
Fritz und Elsbeth Kohler bereuen es nicht, ihr Haus für die eritreischen Flüchtlinge geöffnet zu haben. «Es ist spannend und schön, die andere Kultur kennen zu lernen, und wir haben dabei wertvolle Erfahrungen gemacht.» Hautnah erleben sie auch die Schwierigkeiten, mit welchen die Leute aus diesem kleinen Land Afrikas zu kämpfen haben.
Perspektiven für junge Leute würden dort fehlen; die einzigen Arbeitsstellen, die es gebe, seien beim Militär – mit teils rohen, brutalen Zuständen. Luwam hat es an ihrem eigenen Körper erfahren, sie wurde unter anderem mit Zigaretten gebrannt und musste auch weitere Pein erdulden.
Die Regierung setzt alles daran, dass sich das Volk nicht bündeln kann. Anfangs war, als Bereket und Awet in der Schweiz waren, das Telefonieren nach Eritrea zumindest in dichter bevölkerten Ortschaften noch möglich. Heute seien die Netze gekappt worden, würden nur zuweilen frei gegeben, und
 in Bergen, Tälern und auf dem Land gebe es keine Verbindung. «Es werden keine Simcards mehr verkauft», so die beiden.
Deshalb riskieren viele junge Menschen ihr Leben für die gefährliche Überfahrt und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Luwam freute sich sehr, als sie vor wenigen Monaten erfuhr, dass ihre Schwester ebenfalls unterwegs nach Europa sei. Doch die Schwester kam im Meer ums Leben ...
Kurz und knapp formulieren Bereket, Awet, Akberet und Bhran auf die Frage des «Unter-Emmentaler» hin ihre Wünsche: «Ich möchte Schreiner lernen und arbeiten können» (Bereket). «Ich möchte viel lernen, eine Lehre absolvieren. Und ich würde mich sehr freuen, mehr Schweizerinnen und Schweizer kennenzulernen, ihre Sprache und ihre Kultur zu verstehen und sie mit ihnen zu teilen. Und ich möchte Fussball spielen!» (Awet). Akberet und Bhran sagen nur wenig: «Arbeiten!».
Leider, so Fritz und Elsbeth Kohler, sei der Aufwand vielen Arbeitgebenden zu gross, um ein Anstellungsverhält-nis mit einem Flüchtling einzugehen. Zumal bei diesen zuweilen die Situation ändere und das Arbeitsverhältnis möglicherweise nur von kurzer Dauer sei. Trotzdem: «Es ist die einzige Chance, dass diese Menschen nicht von unserer Sozialhilfe abhängig werden, und es wäre schön, wenn Arbeitgebende nicht weg-, sondern hinsehen würden.»

Von Liselotte Jost-Zürcher