Noch dieses Jahr Baustart im «Jura-Dorf»
Am Standort des Pflegeheims Wiedlisbach planen die beiden realisierenden Partnerfirmen IGO Immobiliengenossenschaft Oberaargau und die künftige Betreiberin, dahlia oberaargau ag, eine überkantonal anerkannte Institution für 112 Menschen mit Demenz. Die komplexen, umfangreichen Vorarbeiten sind seit längerem im Gang. Jetzt wird das neue «Jura-Dorf» konkret. Im 4. Quartal 2021 sollen die in der ersten Etappe erstellten neuen Häuser für vorerst 56 Bewohnerinnen und Bewohner in Betrieb genommen werden.
Wiedlisbach · Die Idee ist nicht neu, in der Schweiz aber erstmalig. Sehr familiär, wohnlich und mit einer maximalen Freiheit für die an Demenz erkrankten Menschen sowie in schönster Umgebung am Jura-Südfuss soll oberhalb Wiedlisbach das «Jura-Dorf» entstehen. Ein kleines Dorf soll es werden, in welchem sich Menschen mit Demenz in einer gewohnten Umgebung bewegen können und sich zuhause fühlen. Ein Ort auch, wo sie eine hohe Lebensqualität in einem vertrauten Umfeld finden und wo die Betreuenden liebevoll und individuell auf sie eingehen. Nur wenige sichtbare Sperren werden das grosse Areal abschliessen. In Hügel gebettet, bilden das steile Gelände und die dorfähnlichen Bauten natürliche Barrikaden, damit sich Bewohner nicht unbemerkt entfernen können.
Nach holländischem Vorbild
Bei der Realisierung des «Jura-Dorf» richten sich die Macher am Vorbild der holländischen Institution «De Hogeweyk». Unter anderem sollen auch kleine Wohngruppen zum Komfort beitragen, welche zusätzlich eine familiäre Gemeinschaft schaffen.
Die Verantwortlichen wissen, wovon sie sprechen – und sind begeistert: «Wir waren mehrmals in Holland, stehen auch heute noch im Erfahrungsaustausch und werden dort demnächst unsere Pläne präsentieren», freut sich Urs Lüthi, VR-Delegierter dahlia oberaargau ag, gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Die Verantwortlichen seien auch in Kontakt mit deutschen, ähnlich gelagerten Institutionen. Die dahlia oberaargau ag geht seit längerem neue Wege, um Menschen mit Demenz ein würdiges Leben zu ermöglichen, sie dort abzuholen wo sie stehen, Fähigkeiten und zwischenmenschliche Kontaktmöglichkeiten zu entdecken und zu fördern. So gehört die Institution zu einer der ersten in der Schweiz, die nach dem Marte Meo-Prinzip arbeitet (der «Unter-Emmentaler» berichtete).
Ausgliederung des Gutshofs
Im Rahmen einer Informationsveranstaltung und begleitet von vielen weiteren Aktivitäten für Jung und Alt wurden die Pläne am Samstag einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Vorbereitungen für das neue Dorf laufen seit Jahren. Sie sind komplex. Neben der Finanzierung des Vorhabens, einem Hürdenlauf für die Bewilligungen und der gesamten Planung kam auch die Ausgliederung des Gutsbetriebs dazu. Inzwischen wurde der stattliche Hof oberhalb des Areals neu gebaut. Der Pächter wurde zum selbständigen Inhaber und konnte den neuen Gutsbetrieb im Baurecht realisieren. Wo der alte Hof stand, befindet sich inzwischen eine Baugrube. Hier werden in der ersten Bauetappe die ersten zwei neuen Häuser realisiert.
Vier neue Häuser und weiterhin verschiedene Wohnformen
Geplant ist die Realisierung von vier zweigeschossigen Häusern mit insgesamt 16 Wohngruppen für insgesamt 112 Bewohner. Zwei der Neubauten werden als Eckhäuser am westlichen und am östlichen Ende des Areals errichtet. Das Ganze wird durch verschiedene Nutzungen wie Empfang, Restaurant, Supermarkt und Dorfplatz für Bewohner, Angehörige und Gäste ergänzt, was schlussendlich das dörfliche Konzept der geschlossenen Anlage ausmacht.
18 kleine Wohneinheiten in den beiden obersten Stockwerken sollen künftig auch «Wohnen im Alter», «betreutes Wohnen» und «Wohnen mit Dienstleistungen» ermöglichen.
Damit umfasst das Gesamtprojekt «Jura-Dorf» dereinst, im Sinne der gemeinsamen Strategie, auch weiterhin Angebote in Wohngruppen für ältere, pflegebedürftige, nicht demente Bewohner sowie für Menschen mit einer Behinderung.
Anfangs 2019 wurde das umfangreiche Baugesuch eingereicht. Einsprachen gingen keine ein. Damit kann im Laufe dieses Sommers mit der Baubewilligung gerechnet werden. Gleichzeitig wurde die Detailplanung einschliesslich der Finanzierungsmöglichkeiten vorangetrieben.
Als kostensparend erwies sich eine Etappierung des Grossprojekts. Damit wird eine längere Bauzeit in Kauf genommen, anderseits können die Kosten für Provisorien eingespart werden.
Etappe 1 umfasst den Bau der neuen Häuser 1 und 2 mit je 4 Wohngruppen für total 56 Bewohnende sowie die Sanierung des Erdgeschosses im bestehenden Hochhaus mit Empfang, Restaurant und Laden (Baubeginn 4. Quartal 2019, geplante Inbetriebnahme 4. Quartal 2021).
In der Etappe 2 ist die Sanierung oder der Teilrückbau des Hochhauses vorgesehen. Etappe 3 sieht den Bau der Häuser 3 und 4 sowie die Sanierung des Amweghauses, des Heimzentrums sowie die Integration der KITA vor.
Umzug nach Herzogenbuchsee
Aktuell laufen die Arbeiten auf Hochtouren. Wichtige Meilensteine folgen sich Schlag auf Schlag. Im August erfolgt der minutiös geplante Umzug von rund 40 Bewohnern in den neu renovierten dahlia Panoramapark im ehemaligen Spital Herzogenbuchsee. Die Bewohner sollen im Rahmen einer spektakulären, durchorganisierten Aktion in ihr fertig eingerichtetes Zimmer, mit den vertrauten Möbeln, Bildern etc. ziehen können. Das heisst, am Morgen in Wiedlisbach ausziehen und am Abend im vertrauten Bett im neuen Zimmer in Herzogenbuchsee schlafen. «Die Leute werden seit langem darauf vorbereitet. Mit ihnen ziehen auch ihre vertrauten Personen wie das Betreuungspersonal, das Küchen- und Raumpflegepersonal um», erklärte Urs Lüthi. In Kürze wird der Projektantrag mit Übersicht der Kosten und der Finanzierungsmöglichkeiten eingereicht. «Zahlen zu den Kosten des Gesamtprojekts kann ich keine nennen, sie wären in jedem Fall falsch», so Urs Lüthi. Zurzeit würde eine detaillierte Kostenübersicht erstellt.
Gute finanzielle Ausgangslage
Es stehe aber fest, dass die Wirtschaftlichkeit des neuen «Jura-Dorfs» und die Finanzierungsmöglichkeiten gegeben seien. Mit einem Eigenkapital von 6,5 Millionen Franken und vorhandenen Rückstellungen von über 10 Millionen Franken steht die IGO auch im Hinblick auf das Grossprojekt mit einer hervorragenden finanziellen Situation da. Die Jahresrechnung 2018 schloss mit einem Bilanzüberschuss von 1,069 Millionen Franken. Die IGO-Liegenschaften sind per Ende 2018 mit 5,14 Millionen Franken bilanziert. Die Immobiliengenossenschaft Oberaargau IGO mit Sitz in Wiedlisbach besteht aus 42 Gemeinden des Verwaltungskreises Oberaargau. Der Verwaltungsrat wird von Beat Müller präsidiert. Oberhalb Wiedlisbach bietet dahlia oberaargau zurzeit 155 Plätze für ältere, vorwiegend pflegebedürftige und für behinderte Menschen an. Seit September 2015 wird zudem in Attiswil eine Aussenwohngruppe des Standortes Wiedlisbach mit 15 Plätzen für ältere, meist pflegebedüftige Menschen angeboten. Standortleiter in Wiedlisbach und Attiswil ist Martin Sommer.
Von Liselotte Jost-Zürcher