«Olympia 2024 ordne ich alles unter»
Die 23-jährige Siebenkämpferin Géraldine Ruckstuhl (STV Altbüron) ist zurück. Nach der grossen Enttäuschung über die Nicht-selektion für Tokio 2021 und einer Auszeit blickt «Géri» mit neuem Umfeld topmotiviert voraus. Das klare Fernziel sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Sport · Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Géraldine Ruckstuhl, Siebenkämpferin aus Altbüron
Die wichtigste Frage zuerst: Sie bleiben der Leichtathletik-Siebenkampf-Szene erhalten, treten nicht zurück?
Definitiv mache ich weiter. Ich bin topmotiviert.
Die Nichtselektion für die Olympischen Spiele vom Sommer in Tokio war eine riesige Enttäuschung. Wie lange benötigten Sie, um diese Geschichte abzuhaken?
Ich habe mir gut drei Wochen Zeit gegeben, um enttäuscht, aber auch hässig und wütend zu sein. Für diesen Prozess habe ich mir eine Auszeit in Costa Rica gegönnt. Mein Handy war während diesen Wochen die ganze Zeit über ausgeschaltet. Ich konnte mir in Ruhe darüber klar werden, was ich will.
Die Auszeit passierte genau während den Olympischen Spielen. Sie haben also keinen einzigen Olympiawettkampf live mitverfolgt?
Nein, keine Sekunde. Als ich wieder daheim war, habe ich mich von meinen Eltern über das Abschneiden der mich interessierenden Sportler informieren lassen. Die packendsten Wettkämpfe und natürlich den Siebenkampf habe ich mir im Nachhinein am Fernsehen angeschaut.
Ist die Belgierin Nafissatou Thiam die verdiente Siebenkampf-Olympiasiegerin?
Ja, weil sie an beiden Wettkampftagen abgeliefert hat. Ich habe allerdings eher die Britin Katarina Johnson-Thompson sowie die Amerikanerinnen favorisiert.
Im Nachhinein betrachtet: Wo hätten Sie sich in der Siebenkampf-Olympiarangliste gesehen?
In optimalem Formzustand in den Top-8 und zum damaligen Formzustand in den Top-15. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich in einem Ernstkampf immer über mich hinauswachsen kann.
Mit einiger Distanz betrachtet: Wie konnte es dazu kommen, dass Ihre Leistungen für die Selektionskommission von Swiss Olympic nicht für eine Olympiateilnahme ausreichten?
Alle Leichtathleten wissen, dass es ohne Trainingsaufbau schwierig ist, zu performen. Doch genau dies musste ich tun, weshalb die Wettkampfresultate nicht so ausfielen wie erhofft. Eine hartnäckige Fussverletzung verhinderte während mehreren Monaten das Training. Ich war zum Nichtstun gezwungen. Mit dieser Situation umzugehen, war schwierig, brachte Verunsicherung. Gemessen daran waren meine erzielten Resultate eigentlich sehr gut.
Für Sie war es für die Verarbeitung wichtig, den Entscheid der Nichtbeachtung für die Olympischen Spiele 2021 zu verstehen. Ist es zu einer klärenden Aussprache gekommen?
Ich wollte bereits vor meiner Auszeit in Costa Rica ein klärendes Gespräch, welches mit Verbands-Chef Leistungssport Philipp Bandi und Verbands-Geschäftsführer Peter Bohnenblust zustande kam. Beide Seiten konnten Ihre Sichtweisen darlegen. Der Austausch war für meine darauffolgende Verarbeitung sehr wichtig.
Damit akzeptieren Sie den Entscheid?
Es bleibt dabei, dass ich mich via Siebenkampf-Weltrangliste eigentlich für die Olympischen Spiele 2021 qualifiziert hätte. Weiter wäre es möglich gewesen, mir mit der Teilnahme eine wertvolle Olympia-Erfahrung im Hinblick auf die nächsten Olympischen Spiele in Paris zu ermöglichen. So, wie es bei einigen anderen Athletinnen vollzogen wurde. Es bringt aber nichts, rebellisch vorzugehen. Jetzt ist die Sache für mich abgehakt. Es gilt, vorwärts zu schauen.
Bereits 2024 finden in Paris die nächsten Olympischen Spiele statt. Was unternehmen Sie, um dort dabei zu sein?
Diesem Ziel ordne ich alles unter. Es war schon immer mein grosser Traum, an Olympischen Spielen zu starten. Jetzt will ich ihn verwirklichen.
Sie haben nach dem Olympia-Frust eine Auslegeordnung gemacht. Dabei kamen Sie zum Schluss, das gesamte Trainerteam auszuwechseln.
Nach den Geschehnissen habe ich viel hinterfragt. Die Zeit war reif, mein gesamtes Trainingsumfeld zu verändern. Ich habe mich von allen bisherigen Trainern, denen ich zweifelsohne viel zu verdanken habe, getrennt. Nach vielen Überlegungen hatte ich vier neue Möglichkeiten auf dem Tisch, je zwei in der Schweiz und im Ausland. Nach einer super verlaufenen Kennenlernphase habe ich mich entschieden, künftig mit der Siebenkampfgruppe des Nationalen Leistungszentrums Zürich zu trainieren. Mein neuer Trainer für alle Disziplinen heisst Manuel Evangelista.
Wie oft trainieren Sie jetzt mit der Siebenkampfgruppe in Zürich?
Viermal pro Woche trainiere ich im Sihlhölzli. Die Stimmung in der achtköpfigen Siebenkampfgruppe ist sehr gut. Und das Niveau auch.
Diese Veränderung im Trainingsbereich hat auch zu einem Wohnortswechsel geführt.
Stimmt. Ich habe jetzt in Wettswil am Albis eine eigene Wohnung.
Wie gross ist der Bezug zum Elternhaus in Altbüron noch?
Sehr gross. Ich gehe so oft wie möglich nach Hause. Dort sind meine Wurzeln. Und die Zeit mit meiner Familie ist mir heilig.
Und zum STV Altbüron, bei dem Sie unter Trainer Rolf Bättig gross wurden?
Bei meiner Neuausrichtung war klar: Ich werde auch weiterhin für den STV Altbüron starten. Dies war mir wichtig. Ich wurde bei diesem Turnverein gross. Je nach Terminkalender werde ich mit dem STV Altbüron im kommenden Sommer ein Turnfest besuchen.
Wie sieht Ihr aktueller Formstand aus?
Es fühlt sich sehr gut an. Die Fortschritte sind da. Aber am wichtigsten ist, dass ich während dem Training wieder Spass und Freude habe. Ich lache wieder.
Wann trauen Sie sich wieder einen Wettkampfstart zu?
Vorerst gilt es, das neue Trainingssystem zu adaptieren. Ich gebe mir Zeit dafür. Darum ist ein Wettkampf während der Hallensaison eher unwahrscheinlich. Ich konzentriere mich vor allem auf die EM in München vom kommenden August.
Vorerst folgt Weihnachten. Mit welchen Ihrer Nächsten verbringen Sie das Fest der Liebe – und wo?
Natürlich in Altbüron bei meiner Familie.
Was steht auf dem Tisch?
Das ist unterschiedlich – spielt mir aber keine Rolle. Für mich zählt vor allem das Beisammensein, die Geselligkeit im Kreis der Familie – meine Wohlfühloase.
Welches Weihnachtsguetzli darf auf dem Tisch nicht fehlen?
Lebkuchen und – auch wenn es kein Weihnachtschrömi ist – Magenbrot.