Olympisches Diplom für Mathias Flückiger
Der bald 36 Jahre alt werdende Mathias Flückiger aus Leimiswil erreicht im Olympischen Mountainbikerennen im 5. Rang ein Diplom. Zu Rennbeginn sah es sogar nach einem Medaillengewinn aus.
Radsport · Die Zuversicht war ein Irrtum. Es reicht «nur» für einen 5. Rang (Mathias Flückiger) und lediglich für einen 9. Platz (Nino Schurter). Der Schweizer Nationaltrainer Beat Müller sieht die Sache nüchtern: «Wir stehen vor einem Generationenwechsel.» 2028 in Los Angeles soll es wieder Medaillen geben. Beat Müller ist optimistisch: «Wir haben eine neue Generation von Athleten, die dazu in der Lage sind, auf diesem Niveau ganz vorne mitzufahren.» Keine Frage: Er hat für künftigen Olympischen Ruhm Flückiger und Schurter nicht mehr auf der Rechnung. Wenn er sich da nur nicht täuscht. Seit 1996 gehören die Schweizer zu den Titanen auf den berggängigen Fahrrädern. Nur 2004 in Athen und nun eben jetzt in Paris hat es sowohl bei den Frauen wie auch bei den Männern nicht für Edelmetall gereicht.
Mit Leistung zu 98 Prozent zufrieden
Der Leimiswiler Mathias Flückiger hat immerhin seinen Erzrivalen besiegt. Seine Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Bereits eine gute Viertelstunde nach der Zieldurchfahrt analysierte er mit schon fast staatsmännischer Gelassenheit: «Erwartet habe ich mehr. Ich habe vor dem Rennen allerdings gesagt, dass ich meine Leistung beurteilen will. Und mit dieser bin ich zu 98 Prozent zufrieden.» Er verortete die fehlenden zwei Prozent in den Downhills und technischen Passagen. «Da war ich zu vorsichtig und habe zu wenig riskiert. Es hatte im Frauenrennen viele Stürze und platte Reifen gegeben. Dies wollte ich verhindern. Dadurch habe ich in diesen Passagen aber immer einige Sekunden eingebüsst.»
Lange das Rennen angeführt
Mathias Flückiger hat den Kampf um Gold, Silber und Bronze ruhmreich verloren. Eine knappe halbe Stunde lang, fast während des Drittels der Distanz, führte er das Rennen an. Eine halbe Stunde Olympischer Weltruhm vor Millionen TV-Zuschauenden rund um die Welt für den Oberaargauer. Immerhin. Nicht vielen Schweizern ist auf der sportlichen Weltbühne so viel Scheinwerferlicht vergönnt. Aber die Flucht gelang ihm nicht. Vielleicht habe er sich ein bisschen zu viel zugemutet. «Aber hinterher ist man immer schlauer.» Er sei im Rennen aktiv gewesen und mit seiner Leistung zu – wie gesagt – 98 Prozent zufrieden. Dann wurde er spontan gefragt, ob er in vier Jahren 2028 in Los Angeles noch einmal einen Anlauf machen werde. Er wird dann 39 Jahre alt sein. Ein Jahr älter als Nino Schurter bei seinem letzten Olympischen Rennen hier in Paris. Ganz cool antwortete Flückiger: «Ja, warum nicht?» Er traue sich zu, in vier Jahren noch einmal auf diesem Niveau mithalten zu können. In diesem Augenblick blitzte der wahre Mathias Flückiger auf. Der zähe Kämpfer. Einer, der nie aufgibt. Beat Müller sollte ihn weiterhin auf der Rechnung haben. Für Nino Schurter war es hingegen der letzte Olympische Tanz. So cool er auch in den letzten Tagen war, so sehr er nach dem Rennen betonte, er habe sich gut gefühlt – tief in seiner Seele hatte er wohl geahnt, dass es nicht noch einmal für Olympischen Ruhm reichen wird. Einen kompletten Medaillensatz hat er ja schon und auf Jahre hinaus wird er der grösste Mountainbiker der Geschichte bleiben. Auf dem Weg zum 9. Rang verlor er sogar kurz die Pedale. «Das kann passieren, wenn die Konzentration nachlässt.» Er habe einfach nie richtig ins Rennen gefunden.
In Los Angeles 2028 am Start?
Ist die Zeit von Nino Schurter und Mathias Flückiger mit Paris 2024 also tatsächlich abgelaufen? Stehen wir vor einem Generationenwechsel? Oder irrt sich Nationaltrainer Beat Müller? Vielleicht hat der Nationaltrainer recht. Er versteht ja etwas von der Sache. Aber möglicherweise unterschätzt er ein wenig die Zähigkeit und Entschlossenheit von Mathias Flückiger. Dem Leimiswiler ist in der Vergangenheit oft Unrecht widerfahren. Eigentlich zu oft. Er hat noch ein paar Rechnungen offen. Der Mann ist auf einer Mission. Die kann ihn 2028 bis nach Los Angeles führen. Es wären dann seine vierten Olympischen Spiele.
Auszug aus der Rangliste: Männer (34 Klassierte): 1. Thomas Pidcock, Grossbritannien, 1:26:22; 2. Victor Koretzky, Frankreich, 1:26:31; 3. Alan Hatherly, Südafrika, 1:26:33; 4. Luca Braidot, Italien, 1:26:56; 5. Mathias Flückiger, Schweiz/Leimiswil, 1:27:42; 9. Nino Schurter, Schweiz/Chur, 1:28:44.
Von Klaus Zaugg
«An der WM um den Titel kämpfen»
Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Mathias Flückiger, Mountainbiker aus Leimiswil
Der «UE»-Sport konnte sich nach dem Olympischen Mountainbikerennen mit dem regionalen Weltklasse-Biker Mathias Flückiger unterhalten. Nach der verpassten Olympiamedaille strebt der Oberaargauer an der WM von Ende August in Andorra den Titel an.
Nach zwei Runden haben Sie das Rennen angeführt. Glaubten Sie zu diesem Zeitpunkt, dass es Ihr grosser Tag werden könnte?
Ich wollte mir diese gute Ausgangslage schaffen, was mir auch gelungen ist.
Am Ende reichte es nicht ganz, um mit dem an diesem Tag stärksten Fahrern mitzuhalten. Sie erwähnten nach dem Rennen immer wieder die Tagesform. Hat diese bei Ihnen nicht zu 100 Prozent gepasst?
Eigentlich schon. Ich bin nahe am Optimum gewesen. Die Olympiastrecke war schon sehr speziell, was aber nicht als Ausrede gelten soll, schliesslich waren auf dieser Unterlage vier Fahrer schneller.
Was ging in Ihnen vor, als Sie an Kronfavorit Pidcock vorbeifuhren, weil dieser einen Defekt beklagte?
Dies habe ich gar nicht bemerkt.
Pidcock zeigte eine unglaubliche Leistung. Er machte den gesamten Rückstand nach dem Defekt wieder wett. Hatten Sie keine Chance, sich an sein Hinterrad zu beissen, als er Sie überholte? Seine Pace hätte Sie zu einer Medaille geführt.
Natürlich wollte ich dran bleiben. Es war aber leider nicht möglich. Der kurze, aber heftige Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke konnte er in einem Tempo hoch sprinten, welches ich nicht zu fahren im Stand war. Dann war die Lücke da, die ich nicht mehr schliessen konnte.
Mit etwas Distanz: Ein 5. Rang an Ihren dritten Olympischen Spielen lässt sich sehen …
Es ist super. Aber natürlich zählen an einem Olympiarennen nur die Medaillen. Ich habe eine. Gerne hätte ich aber noch eine zweite gewonnen. Darum ist der erreichte Diplomrang nicht ganz das, was ich mir erhoffte.
Was sagen Sie zum finalen Pidcock-Manöver gegen Viktor Koretzky, das den Briten zum zweiten Olympia-Gold in Serie führte?
So lange die Ellbogen nicht eingesetzt werden, ist dies ein normaler Positionskampf. Und nicht zu vergessen: In diesem Zweikampf ging es um den Olympiasieg. Allerdings habe ich die Szene noch gar nicht genau analysiert.
Hat Pidcock Ihrer Meinung nach die Goldmedaille verdient?
Er war auf dieser Strecke der Favorit, hat geliefert und damit auch verdient gewonnen.
Haben Sie nach Ihrem eigenen Wettkampf noch etwas vom Olympischen Programm vor Ort verfolgt? Welche Disziplinen mögen Sie?
Ich besuchte die Vorläufe im BMX-Freestyle. Zwei Tage habe ich das olympische Feeling noch genossen. Ich habe etwas anderes gegessen als in der Zeit vor dem Rennen, andere Sportler, Familienangehörige sowie Sponsoren getroffen. Anschliessend war ich allerdings dann auch froh, nach Hause reisen zu können, weil die Müdigkeit nach all diesen Tagen schon da ist.
Mit einer Olympia-Medaille klappte es 2024 nicht. Wie lautet Ihre Zielsetzung für die bevorstehende WM vom 28. August in Andorra?
Für mich hat die WM den gleichen Stellenwert wie das Olympiarennen in Paris. Und in Andorra darf ich auf einer meisterschaftswürdigen Cross Country-Strecke fahren. Darauf freue ich mich sehr. Natürlich will ich an der WM um den Titel kämpfen.