Orchester, Geigerin und Cellistin ausgezeichnet
Die Stadt Langenthal verleiht seit 1992 Kulturpreise. An einer würdigen Feier im Stadttheater wurden soeben für 2018 Interpreten und Interpretinnen klassischer Musik gewürdigt und mit je 5000 Franken honoriert: Das Stadtorchester Langenthal, die Geigerin Núria Rodríguez und die Cellistin Eva Lüthi.
Vier Jahre sind es her, seit die Kulturpreise letztmals im Bereich Musik vergeben wurden. Damals kamen vier Chöre zum Handkuss: Männerchor Langenthal, Konzertchor Oberaargau, Gemischter Chor Langenthal und Frauenchor Langenthal. Dieses Jahr beantragte die Kulturkommission dem Gemeinderat, ausserordentliche Engagements im Bereich der klassischen Musik zu würdigen. Die Wahl fiel auf das Stadtorchester Langenthal (Kulturpreis) sowie die Geigerin Núria Rodríguez und die Cellistin Eva Lüthi (je ein Anerkennungspreis). Das Stadttheater Langenthal und das Saxofon-Duo Myra (Michelle Hess sowie Rahel Kohler) boten den eindrucksvollen Rahmen für die Feier, zu der die für Kultur und Sport zuständige Gemeinderätin Helena Morgenthaler neben dem zahlreich erschienenen Publikum primär die Preisträgerinnen begrüsste. Sie zollte diesen Bewunderung, zumal die klassische Musik sehr anspruchsvoll sei.
Eva Lüthis Liebesgeschichte
Nathalie Scheibli, Mitglied der Kulturkommission, hielt die Laudatio für die ausgezeichnete 46-jährige Eva Lüthi. Deren Mutter, Anna Lüthi, sei Geigenlehrerin an der Musikschule Langenthal gewesen, Vater Jörg Lüthi Sekundarlehrer in Roggwil. Er habe auch Geige gespielt, sei viele Jahre Leiter des Kammerensembles Langenthal gewesen. Wie Eva Lüthi zum Cello kam, habe sie so formuliert: «Meine Mutter, mein Vater und mein Bruder haben schon Geige gespielt, die Cousine Flöte, der Onkel Klavier. Da fehlte eindeutig noch der Bass. Cello gespielt hat meine Tante aus Zürich. Daher kannte ich das Instrument gut und fand es schön. Es war also eher eine arrangierte Ehe mit Einwilligung der Braut – und letzten Endes eine grosse Liebesgeschichte.»
Kammerkonzerte Langenthal
Laudatorin Nathalie Scheibli schilderte, wie Eva Lüthi schon als Achtjährige Cello-Unterricht an der Musikschule Langenthal erhalten habe. Während der Zeit am Gymnasium Langenthal habe Eva Lüthi bei Marek Jerie in Basel Unterricht genossen, ehe sie ihr Studium am Konservatorium in Luzern begann und Förderpreise einheimste. In Holland habe sie «schrecklich» Heimweg gehabt, aber wichtige musikalische Impulse erhalten. Danach wechselte Eva Lüthi ans Konservatorium Winterthur in die Klasse von Thomas Grossenbacher, dem Solo-Cellisten des Tonhalle-Orchesters Zürich, wo sie ihr Studium mit dem Konzert- und Solistendiplom abschloss. Grossenbacher sei jener Lehrer gewesen, der sie am allermeisten geprägt und sie sehr gut aufs Berufsleben vorbereitet habe. Zu ihrer ersten festen Anstellung kam sie 2001 beim Luzerner Sinfonieorchester – und seit über 10 Jahren ist sie Mitglied des Berner Sinfonieorchesters. Vor fast 20 Jahren gründete sie nach der Devise «Drei Frauen, drei Nationen, eine Leidenschaft» das Norea Trio. Vor drei Jahren wurde Eva Lüthi künstlerische Leiterin der Kammerkonzerte Langenthal. Sie wohnt mit ihrer Familie in Bern. Ihr Mann, der in Bützberg aufgewachsene Philipp Dubach, arbeitet als Sozialwissenschafter. Ihr achtjähriger Sohn Sebastian besucht die zweite Klasse und spielt Saxofon.
Orchesterprobe statt Kindergarten
Nun trat Caroline Rothacher, politisches Mitglied der Kulturkommission, ans Rednerpult, um die Verdienste von Núria Rodríguez zu würdigen. Die Laudatio begann sie mit jener Zeit, als Núria Rodríguez fünfjährig war, es in der neuen Wohngemeinde nicht genügend Kindergartenplätze gab und sie dadurch jeden Morgen frei hatte. Da nahm sie ihre Mutter, eine Berufsgeigerin, morgens jeweils kurzerhand in die Orchesterprobe mit. Für Núria Rodríguez waren diese Vormittage, an denen sie Musik hörte, Orchestermitglieder und Dirigenten beobachtete, eine sehr glückliche Zeit. Sie spielte zwar seit der ersten Klasse Giege, doch daneben hatten auch andere Dinge wie Badminton (Berner Meistertitel) sowie das Studium von Italienisch, Geschichte und Medienwissenschaften Platz.
«Aber da müsste ich doch üben»
Die Eltern hätten die inzwischen 20-jährige Núria Rodríguez gefragt, ob Musik machen eine berufliche Option wäre. «“Aber da müsste ich doch üben», habe sie geantwortet, dann aber intensiv auf ihrem Instrument zu üben begonnen. Nach dem Lehr- und Konzertdiplom habe Núria Rodríguez in Basel gelebt und Langenthal vorerst nur durch die Übernahme einer Stellvertretung an der Musikschule gekannt, aus der bald eine Festanstellung als Geigenlehrerin wurde, so Lauditorin Caroline Rothacher. Núria Rodríguez übernahm damals die Leitung des Kammerensembles Langenthal und wurde Konzertmeisterin im Stadtorchester Langenthal. Die damals junge Mutter zog mit ihrer Familie von Basel nach Langenthal, wo sie musikalische Akzente setzte – auch als Konzertmeisterin der Gartenoper Langenthal. Die 40-Jährige hat viele Zukunftspläne, doch vorerst wolle sie «eifach luege, was no dinne ligt».
Die Laudatio fürs Stadtorchester Langenthal, das bis 1999 unter dem Namen Orchesterverein Langenthal auftrat, hielt Kulturkommissions-Mitglied Urs Zurlinden. Auch er war – wie zuvor Scheibli und Rothacher – rhetorisch so geschickt, dass die Schilderungen zum Erlebnis wurden. «Eigentlich könnte das Stadtorchester Langenthal wie ein ganz normales Symphonie-Orchester durchgehen – bestehend aus mehrheitlich Amateuren, ergänzt mit vereinzelten Berufsmusikern», so Zurlinden. Er betonte, dass sich das Orchester seit einiger Zeit öffne – so mit Familienkonzert, Open-Air-Konzert, öffentlicher Orchesterprobe, Konzerten mit KInderbetreuung.
Die Nähe zum Publikum suchen
Das Orchester suche und finde immer wieder neue Wege, wie es symphonische Musik einem breiten Publikum näher bringen könne, so Zurlinden. Er zitiert den 40-jährigen Klarinettisten und Dirigenten Marcel Hirsiger, Gatte von Preisträgerin Núria Rodríguez, die zusammen eine acht- und eine fünfjährige Tochter haben, die Cello und Ukulele spielen: «Wir müssen Plattformen finden, wie wir näher zum Publikum finden.
Als Orchester hat man auch eine Rolle als Kulturvermittler.» Eine Möglichkeit sieht Hirsiger im Repertoire. Auch wenn vorzugsweise die Klassiker des 19. Jahrhunderts auf dem Programm stehen würden, bleibe Raum für moderne Werke – 2017 beispielsweise mit der Uraufführung des Werkes einer jungen Komponistin aus Lotzwil und mit der Uraufführung der Suite «Der Sommer» von Yuko Ito aus Herzogenbuchsee.
Maria Stader und Heinz Holliger
Das Einbetten und Mitziehen junger Talente habe beim Stadtorchester Tradition, wovon Hans Scheidiger, «seit bald 60 Jahren hinten an den Pauken», erzählen könne. Der gute Ruf habe die Möglichkeit eröffnet, mit Persönlichkeiten wie Sopranistin Maria Stader zusammenzuarbeiten. Der weltbekannte Oboist Heinz Holliger habe bereits als Zehnjähriger im Orchester mitspielen dürfen. Einer Anekdote zufolge habe Holliger als 13-Jähriger sogar Solostellen mitgeblasen, die für ältere Bläser reserviert waren. Alle bösen Blicke und züchtigenden Handzeichen des Dirigenten Corrado Baldini hätten nichts geholfen. Heinz Holliger habe unbeirrt weiter gespielt und sich mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, diese wunderschöne Musik habe eine angemessene Interpretation verdient.
Die Beziehung sei bis heute intakt geblieben. Als das Stadtorchester im Januar 2018 zur Eröffnung des renovierten Stadttheaters einlud, habe Holliger wie selbstverständlich mitgespielt und Joseph Haydns Oboenkonzert zum einmaligen Erlebnis werden lassen. Die Stadt Langenthal hat das Stadtorchester «für seinen wertvollen Beitrag zum kulturellen Reichtum unserer Stadt und der Region Oberaargau geehrt», Eva Lüthi «für ihren hoch geschätzten Beitrag für ein qualitätsvolles musikalisches Schaffen im Bereich der klassischen Musik» und Núria Rodríguez «für ihr charismatisches Schaffen und ihr grosses Engagement für ein vielfältiges und farbiges Musikangebot in unserer Stadt.»
«Musik braucht keine Worte» verwies die Präsidentin des Stadtorchesters, Beatrice Wenker, darauf, weshalb sie keine grosse Rede halten wolle. Núria Rodríguez wiederholte, was gleichentags bereits Bundesrat Johann Schneider-Ammann bei seiner Abschiedsrede gesagt hatte – dass das Rednerpult nicht das Lieblingsmöbel sei. «Auch ich fühle mich am Cello wohler als am Rednerpult», blies Berufsmusiker-Kollegin Eva Lüthi ins gleiche Horn. Alle aber dankten der Stadt Langenthal und allen, die sie immer wieder unterstützten und dies weiterhin tun.
«Kultur ist hartes Brot»
«Wann ist eine Stadt eine Stadt?» Ob dies der Fall sei, wenn ein Tram fahre? «Wir sehen uns nicht als Stadt, und ich gehe immer noch ins Dorf einkaufen», sagte Stadtpräsident Reto Müller, der darauf hinwies, dass wir ein Stadttheater hätten, jedoch nie ein Dorftheater hatten. Das Stadttheater sei Teil unserer Identität, sei unsere DNA.
Bezüglich Kultur so sei Langenthal sehr vielfältig, «aber Kultur ist hartes Brot.» Er scheint das karge Entgelt für grossartige Leistungen zu kennen. Langenthals Stadtpräsident forderte alle auf, die Kinder mit zu kulturellen Veranstaltungen – beispielsweise des Stadtorchesters – mitzunehmen. Er habe damit gute Erfahrungen machen dürfen.
Von Hans Mathys