• Aus dem brennenden Spital wurden auch Frischoperierte mitsamt den Betten evakuiert. · Bild: Archiv Beat Lanz

  • Fritz Hofer zeigt, wo die Säuglinge standen. 13 kleine Bettchen wurden während dem Spitalbrand in die Stube von Fritz und Vreni Hofer geschoben. · Bild: Marion Heiniger

  • Heldin des Tages. Die Deutsche Schäferhündin Herta vom Seilerhof machte Fritz Hofer auf den Spitalbrand aufmerksam. · Bild: zvg

03.08.2020

Plötzlich waren 13 Babys in ihrer Stube

Als vor 50 Jahren am 30. Juli 1970 im ehemaligen Spital in Huttwil dichter Rauch aus dem Dach quoll, war Fritz Hofer der Erste, der bei den Pflegerinnen und Ärzten Alarm schlug. Der Spitalbrand wirbelte dabei den Alltag von Vreni und Fritz Hofer gehörig durcheinander. Plötzlich hatten sie die Stube voller Säuglinge, und Patienten standen samt Betten im Garten. Doch der eigentliche Held war ihre Deutsche Schäferhündin, die durch ihr Verhalten wahrscheinlich Schlimmeres verhinderte.

Huttwil · «Wenn unser Hund nicht gewesen wäre, wer weiss, wie lange es gedauert hätte, bis jemand den Rauch beim Spital bemerkt hätte», sagt Fritz Hofer nachdenklich. Zusammen mit seiner Frau Vreni sitzt er in seiner Stube am Tisch und schaut aus dem Fenster hin-über zum ehemaligen Spital. Dort, wo am 30. Juli vor 50 Jahren im Estrich der Brand ausbrach. Irgendein Problem mit der Elektrik, haben die beiden später die Ursache erfahren.
«Es war ein schöner und warmer Sommertag», erinnern sich die Hofers an diesen schrecklichen Tag zurück, als sei es eben gerade passiert. Der damals 36-jährige Lokführer Fritz Hofer kam gerade von seinem Vormittagsdienst, um die Mittagspause zuhause zu verbringen. «Ich stand noch mit meinem Schwager im Garten, als meine Frau rief, dass die Suppe angerichtet sei», erzählt er. Als er sich an den Tisch setzte, stupste ihn immer wieder ihre zehnjährige Deutsche Schäferhündin Herta ans Bein. «Ich sagte noch zu ihr, du wirst im Alter noch komisch und wollte sie nach draussen in den Garten schicken, um beim Essen Ruhe zu haben», erzählt der 86-jährige Rentner weiter. In dem Moment, als er die Haustüre öffnete, sah er den dicken Rauch, der vom Dach des Spitals aufstieg. Fritz Hofer vermutet, dass Herta den Rauch bereits bemerkt hatte und ihn darauf aufmerksam machen wollte, als er noch mit seinem Schwager im Garten stand. «Dann war es natürlich fertig mit Suppe essen», witzelt Fritz Hofer. Zusammen mit seinem Nachbarn eilte er mit grossen Schritten zum Spital. «Wir waren die Ersten, die im Spital wegen dem Feuer Alarm schlugen.» Zusammen rannten sie in das oberste Stockwerk, machten gehörigen Lärm und riefen: «Es brennt bei euch.» Die Ärzte und das Pflegepersonal hatten das Feuer im Dachstock noch gar nicht bemerkt und sahen die beiden Herren etwas verdutzt an.

Fleischvögel mit Reis
«Die meisten Pflegerinnen sassen zu dieser Zeit im Speisesaal beim Essen. Reis und einen Fleischvogel hatten sie auf dem Teller», kann sich Fritz Hofer heute noch ganz genau erinnern. Einige rannten daraufhin samt Tellern panisch hinaus und stellten diese beim Grundstück der Hofers auf eine Mauer. «Das freute natürlich unseren Hund, der alle Teller leer gegessen und am Abend einen dicken Bauch hatte», erinnern sich die beiden lachend.
Fritz Hofer erzählt weiter: «Sofort fingen wir an, die Patienten aus dem Spital zu schaffen.» Kurz darauf erschien auch die Feuerwehr unter dem Kommando von Hansueli Mathys. Mit vereinten Kräften konzentrierten sie sich darauf, das oberste Stockwerk leer zu bekommen. «Diejenigen Patienten, die noch laufen konnten, begleiteten wir raus, alle anderen wurden samt den Betten die Treppe hinuntergetragen», so Hofer. Dabei bemerkte der junge Familienvater, dass das Personal nach wie vor den Lift benutzte, um Patienten nach draussen zu bringen. Kurzerhand schlug er den Liftschalter mit einer herumliegenden Wäschestange ein. «Etwas später kam Doktor Notter zu mir und bedankte sich dafür. Es sei ihm in der Hektik nicht in den Sinn gekommen, dass der Lift in einem Brandfall nicht benützt werden dürfe», freut sich Fritz Hofer.

13 Babys in der Stube
Nicht nur Erwachsene, auch einige neugeborene Babys mussten aus dem Spital geschafft werden. «Die Anweisung lautete, sie ins gegenüberliegende Schwesternhaus zu bringen», erinnert sich Fritz Hofer. Als jedoch durch die Hitze des Feuers bereits die ersten Ziegel wie Geschosse vom Dach herabstürzten, entschied man sich kurzfristig um und brachte die Babys zum Ehepaar Hofer, deren Haus sich rechts schräg gegenüber dem Spital befindet, und stellte die kleinen Bettchen in deren Stube. «Eine der Oberschwestern wollte das nicht zulassen, es sei bei uns wegen dem Hund zu wenig hygienisch», erinnern sich die beiden. Doch einer der Ärzte sprach ein Machtwort und so standen innert kürzester Zeit 13 Säuglinge mit ihren Bettchen in der Stube der Hofers. Die Wöchnerinnen sassen im danebenliegenden Wohnzimmer dicht gedrängt auf dem Sofa.
Ob die Babys geweint haben, an das können sich Vreni und Fritz Hofer nicht mehr erinnern. «Wahrscheinlich schon, aber es war ein solcher Lärm und eine grosse Hektik, dass uns das nicht aufgefallen ist», geben die beiden zu bedenken.

Hysterische Oberschwester
Genau erinnern können sich Vreni und Fritz Hofer hingegen an einen etwa siebenjährigen Jungen, der plötzlich vor ihrer Haustüre stand. Er hatte gerade erst eine Blinddarm-Operation hinter sich und bat, ins Haus zu dürfen. «Als der Bub aus unserem Stubenfenster schaute, von wo aus das tragische Geschehen beobachtet werden konnte, sagte er begeistert: «Das ist dann tschent», erinnern sich Hofers mit einem Lächeln.
Auch an eine Oberschwester, die bei ihnen im Garten stand, kann sich Fritz Hofer noch genau erinnern. «Sie war hysterisch und riss sich mit beiden Händen die Haare aus. Ich habe sie angeschrien, aber erst, als ich sie kräftig schüttelte, fing sie plötzlich an zu weinen. Von da an ging es wieder», erzählt der rüstige Rentner und macht damit die verheerende Situation vor 50 Jahren deutlich. Einige Tage später kam auch diese Oberschwester zu ihm, um sich zu bedanken. Als das Haus der Hofers voll war, schnitt der junge Lokführer einen Teil seines Gartenzaunes durch, damit weitere Patienten samt den Betten und Infusionsständern in den Garten geschoben werden konnten.
Weitere Patienten wurden bei einer Nachbarin in der Garage untergebracht. «In unserer Küche lag noch eine Frau mit Asthma, die kurz zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ihre kleine Tochter wurde aber bereits am Vormittag nach Bern ins Inselspital gebracht», fügt Vreni Hofer noch an.

Mit Riemen ans Bett gefesselt
Fritz Hofer dagegen ist gedanklich noch immer beim Spital. «Um sicherzugehen, dass alle Patienten aus dem obersten Stockwerk herausgeholt wurden, wollte ich nochmals nachschauen», sagt er gedankenversunken. Obwohl ihm sein Nachbar davon abriet – die Wände waren von der Hitze des Feuers bereits braun – ging er nochmals die Treppen hinauf und traf dort auf ein heilloses Durcheinander. Als würde ihn eine innere Stimme treiben, zog er eine Decke von einem der Betten und erschrak heftig. Dort lag eine Frau, mit Riemen ans Bett gefesselt. «Wahrscheinlich bekam sie die Decke zu fassen und suchte darunter Schutz», vermutet Fritz Hofer traurig. Ob er die Riemen gelöst oder aufgerissen habe, könne er sich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall hat er sie schnellstens aus dem Spital hinausgeschafft.
Gegen Abend beruhigte sich die Lage zusehends. Die meisten Patienten wurden mit Krankenwagen in die umliegenden Krankenhäuser verteilt, andere wurden von ihren Angehörigen abgeholt und nach Hause gebracht. Genauso die Mütter mit ihren Neugeborenen. «Als es dunkel wurde, war unser Haus wieder leer und auch sehr still», erzählt Vreni Hofer. Obwohl der Spitalbrand ein schreckliches Erlebnis war, erinnert sich das Ehepaar Hofer noch gerne an diesen Tag zurück. «Es war trotz allem ein gutes Gefühl, helfen zu können», sind sie sich einig.

Von Marion Heiniger