Politisieren in der Gemeinde – «eine kostenlose Weiterbildung»
Beim Wirtschaftsanlass von der Region Oberaargau wurde der Fachkräftemangel in der Gemeindepolitik und dessen Gründe und die Suche nach Lösungen thematisiert. Die Besucher erhielten interessante Inputs, was der Diskussionsrunde jedoch fehlte, war ein Teilnehmer, der aus wirtschaftlicher Sicht den Fachkräftemangel beurteilte.
Dass in letzter Zeit das Ehrenamt leidet und engagierte Personen für Ämter gesucht sind, ist nichts Neues. Im letztjährigen «Gemeindemonitoring» hat sich ausserdem gezeigt, dass gleiches auch für die Gemeindepolitik gilt. Insbesondere kleinere Gemeinden haben immer mehr Mühe, die einzelnen Mandate zu besetzen, das schweizerische Milizsystem ist deshalb in Gefahr. Über die Probleme und mögliche Lösungen wollte auch die «Region Oberaargau» am letzten Wirtschaftsanlass gemeinsam mit der der jungen Wirtschaftskammer Oberaargau (JCI) sowie dem «Verein Förderung junge Personen in der Gemeindepolitik» diskutieren. Aus diesem Grund organisierte er im Old Capitol einen entsprechenden Event mit zwei Referenten und einer Diskussionsrunde.
Ein verstaubtes Image
Den Start machte Christine Badertscher. Die junge Madiswiler Gemeinderätin ist kurzfristig für den erkrankten Regierungsstatthalter Marc Häusler eingesprungen und erzählte von ihren persönlichen Erfahrungen. «Ich glaube, dass die Gemeindearbeit ein falsches, etwas verstaubtes Image hat. Solche Posten sind bei Jungen heute uncool – obwohl sie eigentlich viele Vorteile hätten», erklärte die 36-Jährige. Gleiches habe sie selbst früher auch gedacht, mit der Zeit habe sie ihr Amt in Madiswil aber immer mehr schätzen gelernt. Es sei vielseitig und biete die Möglichkeit, viel zu lernen. «Mittlerweile sehe ich es wie eine kostenlose Weiterbildung an. Ich konnte viel über Sicherheitspolitik erfahren, habe viele interessante Menschen kennengelernt, habe Verhandlungsgeschick erlangt und lernte auch vieles über das Erstellen eines Budgets.» Das Problem, dass junge Menschen dennoch oftmals nicht in ihrer Gemeinde mitarbeiten wollen, liegt gemäss Christine Badertscher auch bei der Wirtschaft. Ein solches Amt brauche Zeit und stehe möglicherweise der Karriere im Weg. Abgesehen von Grosskonzernen oder staatsnahen Betrieben werde ein solches Amt kaum gefördert oder gar nicht ermöglicht, vermutet die Politikerin der «Grünen Oberaargau».
Hohe Anforderungen, aber wenig Zeit
Ein weiteres Problem sei, dass das Milizsystem in der Schweiz viel zu bekannt sei, als dass noch davon gesprochen werde, fand derweil Noémi Roten von Avenir Suisse. Die zweite Rednerin beim Wirtschaftsanlass arbeitet bei der sogenannten «Denkfabrik» für marktwirtschaftliche, liberale und wissenschaftlich fundierte Ideen als «Researcherin» und beschäftigt sich dabei auch mit den Problematiken in der Gemeindepolitik.
«Eigentlich ist unser Milizsystem fundamental, weil es die Abkoppelung der Politiker vom Volk verhindert. Zugleich haben wir aber mittlerweile hohe Anforderungen an Politiker, die zu einem Zielkonflikt führen.» Ämter in der Gemeindepolitik würden nämlich viel Zeit verschlingen, oft aber fehle diese bei den potenziellen Gemeinderäten.Der Vorschlag von Avenir suisse beläuft sich deshalb auf einen sogenannten Bürgerdienst. Dieser wäre anstelle der Wehrdienstpflicht für jeden Bürger obligatorisch. Neu könnte aber jede Person zwischen Militär, Zivildienst oder einem Miliz-Engagement wählen.
Auch in der Wirtschaft ein Gewinn
An der nachfolgenden Diskussionsrunde nahmen neben Christine Badertscher und Noémi Roten auch Livia Urben, mit 25 Jahren die jüngste Oberaargauer Gemeinderätin, Daniel Beck, der jüngste Oberaargauer Gemeindepräsident der Geschichte, und Danielle Quaile, Geschäftsführerin der Girsberger AG, teil.
Die von Mathias Zurflüh, Präsident des Vereins für Förderung junger Personen in der Gemeindepolitik, geleitete Diskussion fand rasch eine Konsenshaltung, weil sich mit Danielle Quaile auch die Wirtschaftsvertreterin rasch für ein Gemeinderatsamt aussprach und für ihren Betrieb keine wirtschaftlichen Probleme ausmachte. «Wir haben bereits einen Gemeindepräsident in unserem Betrieb, der seine Arbeitszeiten wegen seines Mandates hin und wieder anpassen muss», erklärte das JCI-Mitglied. Mit einer offenen Kommunikation sei dies durchaus machbar für die Firma Girsberger, meinte die Geschäftsführerin und hängte an: «Menschen, die sich in solchen Ämtern engagieren, schrek-ken meist auch im Betrieb vor zusätzlicher Arbeit nicht zurück. Ausserdem können sie von ihrem Amt im Sinne einer Horizonterweiterung profitieren. Das ist auch für die Firma ein Plus», erklärte Quaile.
Grosse Herausforderung für ein KMU
Was der Diskussionsrunde damit noch fehlte, war eine Person, die eine Gegenposition einnehmen konnte, so wurde ein weiterer Grund für den Fachkräftemangel nur beiläufig angesprochen. «Mir ist bewusst, dass für ein KMU entsprechende Absenzen eine grössere Herausforderung darstellt», sagte beispielsweise Quaile, wonach Christine Badertscher, Livia Urben und Daniel Beck klarstellten, dass flexible Arbeitszeiten in ihrem Betrieb mühelos möglich seien.
Das Fazit des Events rund um die Diskussion über den Fachkräftemangel in der Gemeindepolitik war dennoch eindeutig zu erkennen: Es ist dringend nötig, dass Gemeinderatsämter wieder «cooler» werden. «Das Wissen, das ich seither erlangt habe, ist ein grosser Gewinn für mich. Wenn mich deshalb jemand fragt, ob ich derzeit eine Weiterbildung besuche, sage ich jeweils: Ja, ich bin Gemeindepräsident», erklärte Daniel Beck. Diese Botschaft müsse vermehrt transportiert werden. Aktuell, so zeigt es das Monitoring, wird ein Gemeinderatsamt nur von wenigen weiterempfohlen. Daneben ist auch die Wirtschaft und die Gesellschaft gefordert, sich zu engagieren. Die Worte von John F. Kennedy, welche Christine Badertscher zum Abschluss ihrer Präsentation aufleuchten liess, blieben auch im nachfolgenden Apero präsent: «Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.» So soll mit einem künftig verstärkten Effort das Milizsystem gestärkt und dem Fachkräftemangel in der Gemeindepolitik entgegengewirkt werden, waren sich die Anwesenden einig.
Von Leroy Ryser