• in Lächeln der Zufriedenheit bei OBB-Dirigent Christoph Luchsinger. Bild: Hans Mathys

17.04.2018
Langenthal

Präzision, Dynamik – und Evelyne Binsack

Extremsportlerin Evelyne Binsack bereichert die Konzertgala 2018 der Oberaargauer Brass Band im Stadttheater Langenthal.

Das 288-köpfige Publikum geniesst die einzigartige Kombination von Musik und Abenteuerlust.

Der Langenthaler Richard Bobst nennt bei der Begrüssung des erwartungsfrohen Publikums zwei Gründe, weshalb er Präsident der 1981 gegründeten Oberaargauer Brass Band (OBB) geworden ist: «Weil ich selber kein Instrument spiele, und weil ich Fan dieser fantastischen Musik bin.» Bobst zählt die OBB-Sponsoren auf, empfiehlt für die Pause den Kauf von Tombolalosen und übergibt das Zepter sogleich dem smarten Dirigenten Christoph Luchsinger, wohnhaft in Weinfelden und seit Anfang 2017 Chefdirigent des gut 30-köpfigen Ensembles. Der Thurgauer geniesst den Ruf, die OBB kompetent und professionell zu leiten, mit seiner mitreissenden und fordernden Probearbeit von den Spielerinnen und Spielern alles abzuverlangen und diese bis an die Leistungsgrenze zu führen. Das Repertoire der in Wiedlisbach probenden, hochklassigen Brass Band reicht von anspruchsvollen Werken bis zur Aufführung grosser klassischer Orchesterwerke. Dazu spielt die OBB Stücke aus Musikgenres wie Jazz, Pop oder Big Band-Sounds. 

England, Norwegen, Schweden 

Bereits beim ersten Stück des Abends, «Elemental», komponiert vom 1973 geborenen Engländer Philip Harper – hier werden Feuer, Luft, Wasser und Erde thematisiert – besticht die OBB mit Präzision und Dynamik. Auch die nächsten beiden Werke stammen aus der Feder englischer Komponisten: «Journey into Freedom» von Eric Ball (1903 bis 1989) – 1967 als Teststück bei den British Championships verwendet – und «Meiso» von John Golland (1942 bis 1993). Golland hat dieses 1990 für die Japan-Tour der Black Dyke Band komponiert. Der Einfluss der japanischen Kultur ist in diesem Stück unüberhörbar, der Auftritt von Solistin Natalie Burkhard (Es-Horn) und Matic Tomazic (Bariton) brillant. Vor der Pause folgen Werke skandinavischer Komponisten: «Arctic Funk» des 1954 geborenen Norwegers Torstein Aagaard-Nilsen, der dieses Werk 1991 für die Tromsö Brass komponierte und «Nordic Polsa» des 1963 geborenen schwedischen Komponisten Anders Edenroth. 

In der Pause kaufen die Konzertgala-Besucher fleissig Tombolalose für einen Fünfliber pro Stück und loben das hohe Niveau der OBB, deren Präsident Richard Bobst betont, wie richtig der Entscheid gewesen sei, das Amt des Chefdirigenten anfangs 2017 Christoph Luchsinger anzuvertrauen. Noch warten vier musikalische Leckerbissen sowie eine Zugabe auf das von der hohen Qualität beeindruckte Publikum. Die Komposition «Harrison’s Dream» des 1958 in Schottland geborenen Peter Graham erinnert an den 22. Oktober 1707, als das Flaggschiff der Royal Navy an den Felsen der Scilly-Inseln zerschellte und am gleichen Abend die drei restlichen Schiffe der Flotte das gleiche Schicksal erfuhren. Nur 26 der 1647 Besetzungsmitglieder überlebten. Ebenfalls an zahlreiche Opfer erinnert «2nd Epitaph – Across the Water» des 1980 geborenen englischen Komponisten Peter Meechan. Er gedenkt hier der Toten während der Invasion der Alliierten in der Normandie im Jahr 1944.

Thomas Ruckstuhls Bassposaune 

Der Amerikaner George Roberts (1928 bis 2014) war in den frühen 1950er-Jahren Bassposaunist im Stan Kenton Orchestra und später als Studiomusiker in zahlreichen Filmen wie «Der weisse Hai» beteiligt. Im Stadttheater Langenthal tritt Bassposaunist Thomas Ruckstuhl als Solist in die Fussstapfen von George Roberts – beeindruckend und überzeugend. Mit der Komposition «Walking with Heroes» des 1976 geborenen Engländers Paul Lovatt-Cooper – erinnernd an Persönlichkeiten und Helden – und der mit stürmischem Applaus erklatschten Zugabe endet die spektakuläre Konzertgala. Die OBB hat von A bis Z überzeugt, was auch zwei skeptische Zuhörer in der achten Reihe anerkennen. Zu gerne hätten sie aber von der OBB auch einen zünftigen Marsch gehört. Darauf warten sie vergeblich, denn ein Marsch steht definitiv nicht auf dem Programm dieses Konzerts. 

Grenzgängerin Evelyne Binsack

Als ausgezeichnete Idee erweist sich die Einladung der OBB-Verantwortlichen, Grenzgängerin Evelyne Binsack als Spezialgast nach Langenthal einzuladen. Zwischen den musikalischen Darbietungen der OBB erzählt die 50-jährige Bergsteigerin und Abenteurerin von ihren vielen aussergewöhnlichen Expeditionen. Sie nimmt das Publikum mit auf ihre Grenzgänge, wodurch eine einzigartige Kombination von Musik und Abenteuerlust entsteht. Sie wolle nicht prahlen, sondern alle zum Durchhalten ermuntern, unterstreicht sie. «Entschlossen sein, sich auf etwas fokussieren», nennt Binsack ihr Erfolgsrezept, während eindrückliche Bilder von ihr sowie steilen Felswänden, Schnee und Eis zu bewundern sind. 

Mount Everest, Südpol, Nordpol

Die Extremsportlerin erzählt von ihren ersten Grenzerfahrungen als junge Frau, von der zunehmenden Bereitschaft, an schwierigeren Aufgaben zu wachsen, die eigenen Grenzen auszuloten und an die Schmerzgrenze zu gehen. Sie spricht von Emotionen, Ängsten, Zweifeln, Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit – aber auch vom grossen Aufwand, von nie zu unterschätzenden Gefahren, von Stürmen und vom Hunger.

2001 stand Evelyne Binsack als erste Schweizerin auf dem höchsten Punkt unseres Planeten, dem Mount Everest. Fünf Jahre später machte sie sich auf, die 25 000 Kilometer, die zwischen ihrer Haustür und dem Südpol liegen, mit dem Fahrrad, zu Fuss, auf Skiern und mit dem Schlitten zu überwinden. Dabei durchquerte sie in 484 Tagen 16 Länder. Fast zehn Jahre später erreichte die charismatische Abenteurerin den Nordpol nach elf Monaten Planungsphase und 105 Tagen Expedition am 12. April 2017. Das war gut einen Monat vor ihrem 50. Geburtstag. Evelyne Binsack liest in Langenthal auch aus ihrem dritten Buch «Grenzgängerin», wo das faszinierte Publikum von ihren Rückschlägen, Durststrecken und Misserfolgen ebenso erfährt, wie von ihrer emotionalen Stärke, ihrer Willenskraft, dem Erreichen hoher Ziele und dem erhebenden Gefühl, vor Glückseligkeit schier sterben zu können. «Es gab aber auch kleine, feine und gewöhnliche Momente», sagt die Bergführerin und schildert ihre Begegnung mit einer Elchkuh und einem Elch auf ihrem Weg mit dem Velo unterwegs zum Nordpol. 

Von Hans Mathys