Rekordverdächtiges Brutjahr der Waldkäuze
Es ist ein gutes Jahr für den Waldkauz. Das letztjährige Buchen-Mastjahr führte zu mehr Mäusen und damit auch zu vermehrtem Nachwuchs der Waldkäuze. In Wasen verzeichnet der Natur- und Vogelschutzverein unter der Leitung von Präsident Martin Leuenberger ein rekordverdächtiges Brutjahr. Sie rechnen mit 30 bis 40 Jungvögeln.
Wasen · Martin Leuenberger stellt eine Leiter an einen Kandelaber, auf dem hoch oben ein Nistkasten thront. Im gleichen Moment schiesst ein Waldkauz verängstigt heraus, setzt sich in sicherem Abstand auf einen Ast und beobachtet misstrauisch das Geschehen. Bei einer kleinen Waldlichtung, oberhalb der Ortschaft Wasen brütet eines von zwölf Waldkauzpaaren ihre Jungen aus, dessen Brut Martin Leuenberger, Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Wasen, ab und an kontrolliert. «Drei von fünf sind bereits geschlüpft», ruft er erfreut. «Es ist ein rekordverdächtiges Brutjahr für den Waldkauz, normalerweise legt der Kauz zwischen zwei und vier Eier, dieses Jahr sind es nicht selten fünf oder sechs», erzählt Leuenberger wenig später. Das letztjährige Buchen-Mastjahr hat die Mäusepopulation stark ansteigen lassen und so ist der Tisch für die zur Familie der echten Eulen gehörenden Vögel reich gedeckt.
Anpassungsfähig und treu
Der Waldkauz ist die häufigste Eulenart der Schweiz. Mit rund 6000 bis 8000 brütenden Paaren zählt er nicht zu den gefährdeten Vogelarten. Durch ihr rindenfarbiges Gefieder sind Waldkäuze gut getarnt. Die Weibchen sind grösser und schwerer als die Männchen und erreichen eine Grösse von bis zu 40 Zentimetern, die Flügelspannweite beträgt rund ein Meter. Sie gehören damit zu den grösseren Eulen. Nur Habichtskauz und Uhu sind grösser. Waldkäuze leben in einer
monogamen Dauerehe und können unter idealen Voraussetzungen bis zu 20 Jahre alt werden. Ein einmal erobertes Revier nutzen sie ein Leben lang.
Durch ihre Anpassungsfähigkeit kommen Waldkäuze in vielen verschiedenen Lebensräumen vor, in Wäldern, offenen Landschaften mit Baumgruppen, Parks und sogar mitten in Ortschaften. Obwohl sie alte Bäume mit ausreichend grossen Höhlen bevorzugen, nehmen die Waldkäuze auch gerne das Angebot der Nistkästen in Anspruch. Im Gemeindegebiet Wasen stehen 16 solcher Nistkästen für die stattlichen Vögel bereit, sechs davon auf ausrangierten Kandelabern. Die Metallstangen verhindern, dass der Marder hochklettern kann, um das Nest zu plündern. «Seit der Gründung des Vereins 1992 wurden noch nie so viele Waldkauz-Eier in einem Jahr ausgebrütet. Wir rechnen mit 30 bis 40 Jungvögeln», erzählt Martin Leuenberger erfreut weiter.
Keine Gefahr durch Wintereinbruch
Waldkäuze sind Frühbrüter und begannen heuer durch den warmen Jahresanfang bereits im Februar zu brüten. Doch als danach der Winter wieder einbrach und damit das Nahrungsangebot schwand, sah Leuenberger die Brut in Gefahr. Die jüngste Kontrolle jedoch beruhigte ihn wieder. Der Wintereinbruch hatte der Brut nichts anhaben können. Für ein Gelege mit vier Jungvögeln werden pro Nacht etwa 20 Mäuse benötigt, um die hungrigen Mäuler zu stopfen. Dieses Jahr braucht es gar ein paar Mäuse mehr.
Ist jedoch das Nahrungsangebot zu gering, wie er anfangs durch den späten Wintereinbruch befürchtete, kann wie bei manch anderen Tierarten auch bei den Eulen Kannibalismus vorkommen. Hierbei werden die jüngeren und schwächeren Jungtiere von den älteren und stärkeren Geschwistern oder manchmal auch von den Eltern aufgefressen.
Doch in Wasen herrscht glücklicherweise noch immer ein Überschuss an Nahrung. «Um die Mäuse wieder unter der Schneedecke hervorzulocken, habe ich auch schon Sonnenblumenkerne ausgestreut», gesteht Martin Leuenberger. Bringen die Waldkauzeltern mehr Mäuse ins Nest als gegessen werden können, werden diese als Vorrat gelagert oder wieder hinausgeworfen. «Ich habe bei meinen Kontrollen schon bis zu 57 tote Mäuse in einem einzigen Nest vorgefunden», erzählt Martin Leuenberger. Die bevorzugte Nahrung der Waldkäuze sind zwar Mäuse, doch auch kleinere Säugetiere und Vögel, Würmer und Amphibien wie Frösche stehen auf ihrem Speiseplan.
Das Ausbrüten der Eier dauert in der Regel einen Monat. Nach dem Schlüpfen verbringen die Jungkäuze noch etwa 30 bis 35 Tage im Nest. Danach verlassen es die noch nicht flugfähigen Vögel als sogenannte «Ästlinge». Sie flattern auf einen nahe gelegenen Ast oder auf den Boden und klettern danach auf den nächsten Baum. Bereits eine Woche später können sie schon kleinere Strecken fliegen. Zu Beginn der nächsten Herbstbalz werden die Jungvögel dann aus dem elterlichen Revier vertrieben und müssen sich ein Eigenes suchen. Nur etwa die Hälfte überlebt das erste Lebensjahr. Häufige Gründe für einen frühen Tod sind frühe Wintereinbrüche, der Strassen- und Schienenverkehr sowie natürliche Fressfeinde wie der Uhu oder andere grössere Beutegreifer. Auf die Jagd gehen die nachtaktiven Eulen erst ab der Dämmerung. Das Gehör des Waldkauzes ist sehr gut ausgebildet. Sie sitzen nicht wie bei uns Menschen links und rechts an der gleichen Stelle, sondern sind leicht verschoben: Ein Ohr sitzt tiefer und weiter hinten als das andere. Die grossen Augen nehmen besonders viel Licht auf, sind aber starr und können nicht bewegt werden. Deshalb kann der Waldkauz den Kopf in alle Richtungen drehen und sogar nach hinten schauen. Bei völliger Dunkelheit verlassen sich die jagenden Waldkäuze jedoch ausschliesslich auf ihr Gehör. Geräusche werden durch die Trichterwirkung des Gesichtsschleiers schallverstärkt an die Ohren weitergeleitet.
Unzählige Stunden investiert
Der Waldkauz hat es Martin Leuenberger besonders angetan, der hübsche Vogel ist auch das Kennzeichen des aktiven Natur- und Vogelschutzvereins und entsprechend im Vereinslogo wiederzufinden. «Als Schuljunge wollte ich einmal in der Abenddämmerung das Laichen der Erdkröten beobachten und hörte plötzlich von einer mächtigen Tanne den Ruf des Waldkauzes. Da ich nicht wusste, was das war, lief ich angsterfüllt nach Hause. Noch nie zuvor hatte ich so etwas Unheimliches gehört», erinnert sich der leidenschaftliche Ornithologe. Dieses Erlebnis prägte Martin Leuenberger.
Noch im Schulalter montierte er seine ersten beiden Nistkästen, die prompt im kommenden Frühling von Waldkäuzen besetzt wurden. Seither sind viele Jahre vergangen, doch die Liebe zur Natur und zum Waldkauz hat der selbstständig arbeitende Gärtner noch immer nicht verloren. Unzählige Stunden investiert er in seine Leidenschaft, bereitet jedes Jahr unzählige Nistkästen für den Waldkauz, für Mauer- und Alpensegler oder Schwalben vor, bringt sie rechtzeitig an geeigneten Orten an, kontrolliert sie regelmässig und reinigt die Nester nach der Brut. Hierbei kann er zuverlässig auf die tatkräftige Hilfe seiner Vereinskollegen zählen.
Der Waldkauz als Totenvogel
Der Gesang des Waldkauzmännchens ist besonders im Oktober und November sowie im Februar und März während der Balzzeit zu hören. Obwohl die Vögel kaum jemand zu Gesicht bekommt, ist sein Ruf fast jedem bekannt. Das unheimliche klingende «Hu-hu-huuu» in der Abenddämmerung kündigte auch in zahlreichen Filmen drohendes Unheil an. Der Ruf des Waldkauzweibchens dagegen mit «Kju-witt» wurde im Mittelalter von den abergläubischen Menschen als «Chumm mit» verstanden. Man dachte, der Waldkauz sei vom Teufel geschickt und er hole die Seele des Menschen ab.
Denn häufig hörte man den Ruf des Waldkauzes, während bei einem sterbenden Menschen Nachtwache gehalten wurde. Die hell erleuchteten Häuser zogen Insekten an und diese wiederum den Waldkauz und vor allem auch den damals noch weitverbreiteten Steinkauz. Die deswegen als Totenvögel bezeichneten Käuze wurden bejagt und die toten Vögel an der Hauswand aufgehängt, um die bösen Geister fernzuhalten. Diese mittelalterlichen Ansichten wurden auch vom lautlosen Flug des Eulenvogels untermauert. «Die äusseren Schwungfedern sind beim Waldkauz wie ein Kamm, der die Luft durchfliessen lässt. Man hört den Vogel also nicht kommen», erklärt Martin Leuenberger. Dieses lautlose Fliegen, das dem Waldkauz Vorteile bei der Jagd beschert, bekam Martin Leuenberger letzthin schmerzlich zu spüren, als er eine Brut inspizieren wollte.
Das Waldkauzweibchen, welches zuerst den Kasten aus der Nähe beobachtete, flog lautlos heran, attackierte ihn und hinterliess eine blutende Wunde im Gesicht. «Seitdem kontrolliere ich die Kästen nur noch mit einem Helm auf dem Kopf», versichert Leuenberger.
Von Marion Heiniger