Rotstift des Kantons gefährdet Kinderbetreuung
«Sparmassnahmen des Kantons führen zum Ende der Betreuung von Schulkindern» – mit diesem Titel in der Medienmitteilung wandte sich der Verein KIBE (Kinderbetreuung) Region Huttwil Ende Februar an die Öffentlichkeit. Der Entscheid des Regierungsrats, die Vergütung für Kinderbetreuung zu senken, hat grosse organisatorische und finanzielle, aber auch soziale Folgen für die Gemeinden. Die Leidtragenden sind vor allem die Kinder.
Ab 1. Januar 2017, mit Wirkung per 1. August 2017, will der Bernische Regierungsrat die Vergütung für Kinderbetreuung pro Stunde und Kind für eingeschulte Kinder um 25 % senken.
Was sich auf dem Papier so einfach lesen lässt, ist für die Betroffenen gravierend. In Huttwil und in den acht umliegenden Gemeinden sind 111 Kinder und 24 Tageseltern betroffen. Für die Kinder ist die familiäre Betreuung nicht mehr gewährleistet; die Tageseltern bangen um ihren Job.
Wenn die Tagesfamilienorganisationen für Schulkinder ab dem ersten Kindergartenjahr nur noch 75 % von dem erhalten, was sie bisher erhalten haben, würden sie kaum noch betreuende Tageseltern finden. «Da unsere Kosten zu 97 % aus Lohnkosten bestehen, hätten wir gar keine andere Wahl als die Löhne entsprechend zu senken», begründet Philippe Groux, KIBE-Präsident Region Huttwil, gegenüber dem «Unter-Emmentaler». «Doch die Löhne im Kanton Bern sind bereits heute sehr tief, 20 % unter der Mindestlohnempfehlung des Dachverbands kibesuisse. Wir sind überzeugt, dass wir nicht genügend Eltern finden werden, die bereit sind, zu diesem noch tieferen Lohn, das heisst 40 % unter der Lohnempfehlung des Dachverbands, Kinder zu betreuen.» Schon jetzt habe man Mühe, genügend Tageseltern zu finden.
Dazu komme, dass der Kanton vor zwei Jahren alle Tageseltern und ihre Angehörigen als potenzielle Kriminelle hingestellt und von allen einen Strafregisterauszug verlangt habe. Die Kombination dieser Forderung und nun die Senkung der Vergütung sei besonders stossend; potenziell kriminell und weniger Wert seien zusammen eine deutliche Geringschätzung der Tageseltern. Abgesehen davon werde die Kinderbetreuung von der KESB kontrolliert.
Letzteres finde sie zwar grundsätzlich in Ordnung, sagt dazu die Geschäftsleiterin der KITA Huttwil, Sandra Wüthrich. «Aber dann müsste der Kanton die Tageseltern auch lohnmässig ernst nehmen.»
Aufschrei im ganzen Kanton
Nicht nur Huttwil steht vor einer schwierigen Lage. Der Aufschrei im ganzen Kanton war gross, als der Regierungsrat seinen Beschluss bekanntgab. Die Motion von Gabi Schönenberger (SP), auf die Senkung der Vergütung zu verzichten, hat der Regierungsrat abgelehnt. Das Geschäft wird nun in der Märzsession des Grossen Rats behandelt. Nur der Grosse Rat könnte den Entscheid des Regierungsrats noch kippen. Anfangs April wird definitiv feststehen, wie es um die Vergütung steht.
Doch den Gemeinden bleibt wenig Zeit; sie müssen umgehend reagieren und stehen vor der schwierigen Frage, entweder die finanziellen Löcher zu stopfen, die der Kanton aufreisst, oder Tagesschulen einzuführen.
Huttwil beispielsweise verfügt über keine Tagesschule – vor allem wohl, weil hier das Tageselternsystem sehr gut funktioniert. Die jährlichen Umfragen ergaben bisher zu wenig Bedarf. Die Tagesschule würde in verschiedenen zeitlichen und pädagogischen Modulen angeboten; ein entsprechendes Konzept besteht bereits. «Pro Modul müssten es zehn Kinder sein, damit es eingeführt würde», so Adrian Lienhart, der zuständige Gemeinderat für das Ressort Bildung.
Doch allein schon das dezentrale Schulsystem mit den Schulhäusern Städtli, Hofmatt, Schwarzenbach und Nyffel erschwert die Situation und auch eine allfällige Standortfrage der Tagesschule. Die Gemeinden sind laut Gesetz dazu verpflichtet, eine Tagesschule einzuführen wenn der Bedarf ausgewiesen ist.
Kein gleichwertiger Ersatz
«Wir sind uns bewusst, dass eine Tagesschule niemals ein gleichwertiger Ersatz für die Betreuung durch Tageseltern ist. In den Schulferien ist die Tagesschule geschlossen, und zeitliche Flexibilitäten sowie spezielle Abmachungen, wie dies mit Tageseltern möglich ist, wären ebenfalls nicht machbar», stellt Adrian Lienhart fest. «Auch die Kosten dürfen nicht ganz ausser Acht gelassen werden. Eine Lösung, basierend auf einer Tageschule, würde die Gemeinde finanziell mehr belasten als ein System, das auf Tageseltern basiert.»
Huttwil fährt mit der Suche nach Lösungen auf zwei Schienen. So hat die KIBE Region Huttwil bei allen ihr zugehörigen Gemeinden den Antrag gestellt, dass sie die Sparmassnahmen ausgleichen. Denn im Bereich Tageseltern laufen alle Kosten über die jeweilige Gemeinde des Schülers; somit ist eine allfällige Kompensationszahlung Sache jeder einzelnen Gemeinde.
Den auswärtigen Gemeinden wurden nun die genauen Berechnungen zugestellt, wie viele Betreuungsstunden/betroffene Kinder auf sie entfallen. Würden die Gemeinden dem Antrag entsprechen, könnten die bisherigen Löhne und die Betreuung der Schulkinder aufrechterhalten werden. 61 der betroffenen 111 Kinder stammen aus der Gemeinde Huttwil.
Das Ressort Soziales, Kultur und Freizeit sowie das Ressort Bildung der Gemeinde Huttwil arbeiten seit Wochen auf Hochtouren an verschiedenen Lösungsvorschlägen. Diese wollen sie dem Gemeinderat an seiner nächsten Sitzung unterbreiten. «Wir klären auf breiter Ebene alle möglichen Lösungsansätze ab, um einen optimalen Entscheid treffen zu können», beschreibt Adrian Lienhart. Käme ein überkommunales Tagesschulangebot zum Tragen, würden die zusätzlichen Kosten gemäss aktuellem Vertrag anteilmäs-sig zur Schülerzahl den Vertragsgemeinden belastet. Eine Ausnahme bilden dabei die direkten Kosten des Mittagessens, das direkt von den Eltern übernommen werden müsste.
Von der Neuerung nur am Rande betroffen ist zumindest zurzeit noch die Kita Huttwil. Der grösste Teil der hier betreuten Kinder ist im Vorschulalter; für sie hat der Kanton (noch) keine Reduzierung beschlossen. Abgesehen davon, dass momentan beim Kanton das Gesuch bearbeitet wird, eine zweite Kita-Gruppe in Huttwil zu eröffnen, um die Warteliste bewältigen zu können. Dennoch bezahlen auch die Kindergartenkinder, welche die Kita besuchen, nur noch 75 %. Hier hat es allerdings keine Auswirkung auf die Löhne. Würden mehr Kindergartenkinder dazukommen, würde eine grössere Kindergruppe mit gleichviel Personal gebildet werden müssen, um den fehlenden Finanzierungsbetrag aufzufangen. Weil aber eben nur wenige Kinder von der Änderung betroffen seien, falle diese zurzeit nur wenig ins Gewicht, stellt Sandra Wüthrich fest.
Wohl der Kinder im Vordergrund
Am 15. November 2016 haben der Tageselternverein Huttwil und Umgebung (TEV) und die Kita Huttwil fusioniert. Nur ein Tag später, am 16. November, gab der Regierungsrat den vernichtenden Entscheid bekannt, dass er den Betreuungsschlüssel für Schulkinder senkt. Mit einem solch turbulenten Start hatte der Verein KIBE Region Huttwil nicht gerechnet. «Doch wir sind froh, dass wir fusioniert haben, denn wir haben die Beteiligung des Vereins an allfälligen Tagesschulen in den Statuten integriert», so Philippe Groux.
So viele Mühlen wie momentan auch bei der Kinderbetreuung mahlen – für Sandra Wüthrich, Philippe Groux und Adrian Lienhart steht fest: «Das Wohl der Kinder, ihre gute und kontinuierliche Betreuung, stehen im Vordergrund. Unser grösstes Anliegen ist es, dies auch weiterhin zu gewährleisten.»
Von Liselotte Jost-Zürcher