Sandro Schafroth: «Dieser Entscheid ist auch für die Gemeinde Huttwil ein Gewinn»
Sandro Schafroth durfte als Gemeinderat von Huttwil (Ressort Soziales, Kultur und Freizeit) bei der denkwürdigen Gemeindeversammlung vom 10. Juni das Geschäft «Gemeindeinitiative Eisbetrieb» vertreten. Im Monats-Interview mit dem «Unter-Emmentaler» blickt der 38-jährige SP-Gemeinderat auf diesen Abend zurück. Obwohl sich die 745 stimmberechtigten Huttwilerinnen und Huttwiler gegen den Vorschlag des Gemeinderates entschieden, wertet der 38-jährige SP-Gemeinderat dieses Verdikt nicht als Niederlage für den Gemeinderat. «Im Gegenteil, die Gemeinde Huttwil zählt ebenfalls zu den Gewinnern des Abends, weil das Volk zu einem wichtigen Geschäft in grosser Anzahl Stellung bezogen und eine klare Ausgangslage für den Gemeinderat geschaffen hat.»
Sandro Schafroth, am 10. Juni erlebte die Gemeinde Huttwil eine denkwürdige Gemeindeversammlung mit 745 Teilnehmenden, die über einen höheren Gemeindebeitrag an den Eisbetrieb auf dem Campus Perspektiven zu befinden hatten und dabei beschlossen, den jährlichen Unterstützungsbeitrag der Gemeinde Huttwil von aktuell 96 000 Franken auf 295 000 Franken zu erhöhen (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Wie haben Sie diese Versammlung als Gemeinderat miterlebt?
Ja, es war in der Tat eine denkwürdige Gemeindeversammlung, aber im positiven Sinne. Dass so viele Leute zu dieser Versammlung erschienen, ist höchst erfreulich. Wir haben an diesem Abend gesehen, dass die direkte Demokratie nach wie vor funktioniert. Für mich war es ein unvergesslicher, interessanter und lehrreicher Abend. Es gibt nur wenige Gemeinderäte, die so etwas einmal erleben dürfen. Auch die Spannung, die an diesem Abend
in der Luft lag, war einmalig und faszinierend. Es war schlicht eindrücklich, die Bevölkerung von Huttwil in so grosser Anzahl einmal so nah und direkt zu spüren.
Im Vorfeld der Gemeindeversammlung sorgte die Thematik in Huttwil für viel Diskussionsstoff. Zuweilen schien es, als könnte die Problematik zu einer Spaltung der Gemeinde führen, waren doch mit dem Thema viele Emotionen verbunden. Wie haben Sie den Abstimmungskampf wahrgenommen?
Nein, eine Spaltung der Gemeinde habe ich zu keinem Zeitpunkt befürchtet. Wir leben in einer Demokratie und da muss man damit leben können, wenn einmal ein solcher Vorstoss eingereicht wird. Dies gilt es zu akzeptieren. Die Gemeindeinitiative ist ein legitimes, demokratisches Mittel, das genutzt werden kann. Ich hatte bereits im Vorfeld der Versammlung das Gefühl, dass für die grosse Mehrheit der Huttwilerinnen und Huttwiler klar war, dass die Erhaltung der Eishalle für die Gemeinde wichtig ist. Nicht ganz einig war man sich, zu welchem Preis? Auch der Gemeinderat war und ist für die Fortsetzung des Eisbetriebs auf dem Campus Perspektiven, allerdings war es unsere Pflicht, den Stimmbürgern aufzuzeigen, welcher Betrag unserer Meinung nach im Bereich der finanziellen Möglichkeiten liegt.
Entsprechend überrascht war man dann am Abend der Gemeindeversammlung, wie diszipliniert, sachlich und ohne Emotionen oder aggressive Äusserungen die Versammlung verlief. Erstaunlich, angesichts der Vorgeschichte?
Nein, davon war ich nicht sonderlich überrascht, denn die Ausgangslage war relativ klar: Praktisch alle Anwesenden gingen davon aus, dass der Eisbetrieb auf dem Campus erhalten bleibt. Es ging an diesem Abend lediglich darum, was die Versammlung bereit ist, dafür zu investieren. Die Leute kamen alle sehr gut vorbereitet an die Versammlung und alle mit dem gleichen Grundgedanken. Damit war ein ruhiger und sachlicher Versammlungsverlauf bereits einigermassen gewährleistet.
Dennoch, der Abend verlief so reibungslos, wie man das nicht unbedingt erwarten konnte …
Ja, auch für den Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung war der Abend ein voller Erfolg, weil alles schnörkellos, störungsfrei und problemlos verlief, von den gesamten Abläufen über die Technik bis hin zum ganzen Abstimmungsprozedere.
Der Gemeinderat trat mit einem Gegenvorschlag vor die Versammlung. Er war nicht bereit, die vom Initiativkomitee geforderte Erhöhung des Gemeindebeitrags für den Eisbetrieb auf dem Campus Perspektiven von 96 000 auf 295 000 Franken zu akzeptieren, der Gemeinderat war lediglich bereit, den Betrag um 54 000 auf 150 000 Franken jährlich zu erhöhen. Damit erlitt das Gremium an der Gemeindeversammlung klar Schiffbruch. Schmerzt Sie diese Niederlage auch persönlich?
Ich würde das Verdikt nicht als Niederlage für den Gemeinderat werten. Im Gegenteil: Das Volk hat an diesem Abend klar gesagt, was es will und damit zählt eigentlich auch der Gemeinderat und Huttwil zu den Gewinnern des Abends, denn dadurch wurde eine klare Ausgangslage geschaffen. Dass sich die Anwesenden zudem dafür aussprachen, die Beitragserhöhung mit der Bedingung zu verknüpfen, dass der Campus Perspektiven Gegenleistungen zugunsten der Gemeinde Huttwil in der Höhe von 40 000 Franken zu erbringen hat, werte ich als weiteren, wertvollen Pluspunkt für die Gemeinde.
Aber, die Stimmbürger haben an diesem Abend klar zu verstehen gegeben, dass sie mit dem Gemeinderat nicht einverstanden sind.
Genau deshalb hoffe ich, dass all diejenigen, die nun Ja zur Erhöhung des jährlichen Beitrags auf 295 000 Franken gesagt haben, auch an der nächsten Gemeindeversammlung anwesend sein werden, um zu sehen, welche Auswirkungen dieser Entscheid hat und dass sie mithelfen werden, die Konsequenzen zu tragen. Ich mache mir aber nichts vor, wenn schon nur die Hälfte der Leute, die an der Versammlung vom 10. Juni teilnahmen, im Dezember an der Gemeindeversammlung erscheinen würde, wäre das ein weiterer Grosserfolg für die Gemeinde und unsere Demokratie.
Welche Konsequenzen zieht der Gemeinderat aus der Abstimmungsniederlage?
So weit sind wir noch nicht, denn was dieser Entscheid für den Gemeinderat und die Gemeinde bedeutet, wird sich erst zeigen. Doch wir verfügen nun über eine klare Ausgangslage für die künftige Finanzpolitik der Gemeinde. Der Gemeinderat wird sich in den nächsten Wochen intensiv mit dem Budgetprozess 2025 beschäftigen. Das zuständige Ressort Finanzen hat diesbezüglich die Arbeit bereits aufgenommen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der Gemeinderat an diesem Abend so wenig Unterstützung aus der Versammlung erfuhr?
Im Grundsatz war aus der Bevölkerung eine grosse Unterstützung für das Anliegen einer Beitragserhöhung spürbar. Der Gemeinderat muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es dem Initiativkomitee gelungen ist, eine grosse Menge Leute zu mobilisieren. Hier verfügt der Gemeinderat nicht über die gleichen Möglichkeiten, da die gesetzlichen Grundlagen ein aktives Werben für den Gegenvorschlag verbieten, weil dies als Beeinflussung des Stimmbürgers gewertet werden könnte. Der Gemeinderat muss sich auf die formelle Information des Geschäfts konzentrieren und kann seine Argumente für den vorgebrachten Gegenvorschlag darlegen. So gesehen verfügte der Gemeinderat im Abstimmungskampf nicht über gleich lange Spiesse wie das Initiativkomitee.
Doch gerade die Redaktion des «Unter-Emmentaler» hat Vertreter des Gemeinderates mehrfach aufgefordert, Stellung zu beziehen, bei einem Streitgespräch oder in anderer Form. Doch das wurde vom Gremium klar abgelehnt.
Ja, weil uns, wie eben beschrieben, weitgehend die Hände gebunden waren. Wir haben unsere Argumente dargelegt und informiert. Mehr war nicht möglich, weil es für den Gemeinderat auch darum geht, das Gleichheitsgebot zu achten und nicht darum, den eigenen Gegenvorschlag zu «vermarkten».
295 000 Franken jährlich aus der Gemeindekasse für den Betrieb der Eishalle beim Campus Perspektiven ist eine Menge Geld. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Dabei geht mir nichts Spezielles durch den Kopf. Hier handelt es sich einfach um eine Entscheidung der Stimmbürger, die wir als politisch Verantwortliche der Gemeinde zu respektieren haben und mit der wir nun zurechtkommen müssen, ohne dass wir andere Leistungen kürzen. Dies stellt für den Gemeinderat zweifellos eine Herausforderung dar.
Der Sport hat sich in unserer Gesellschaft fest etabliert und ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens geworden. Dafür sind viele bereit, sehr viel Zeit, Geld und Aufwand zu betreiben. Und dies verlangen sie vermehrt auch von der öffentlichen Hand. Eine berechtigte Haltung?
Grundsätzlich würde ich diese Frage mit Ja beantworten. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang jedoch, dass künftig die Sportförderung und Infrastrukturbauten regional organisiert und finanziert werden, wie dies bereits im Bereich Kultur, mit dem Gemeindeverband Kulturförderung, erfolgt. Es wird nötig sein, dass im Bereich Sport künftig gemeindeübergreifende Lösungen erarbeitet werden, weil die Standortgemeinden je länger desto weniger in der Lage sein werden, die hohen Sport-Infrastrukturkosten alleine zu tragen. Dass die öffentliche Hand den Sport zu einem Teil finanziell unterstützt, finde ich in Ordnung, denn die Gemeinden profitieren ebenfalls von den Sportvereinen und deren Aktivitäten.
Die Huttwilerinnen und Huttwiler müssen sich bewusst sein, dass sie künftig den Gürtel etwas enger schnallen müssen. Aber, der Eisbetrieb alleine ist an der angespannten Finanzlage der Gemeinde nicht schuld. Wie beurteilen Sie diese momentan?
Die aktuelle Finanzlage der Gemeinde ist tatsächlich problematisch, aber sie ist meiner Meinung nach zu bewältigen. Es gilt nun, tragfähige Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten. Die Erhöhung des Unterstützungsbeitrags für den Eisbetrieb beim Campus Perspektiven ist nicht der Auslöser der angespannten Finanzlage der Gemeinde, aber er ist ein Bestandteil davon. Die finanzielle Lage der Gemeinde muss man nicht bloss aus dem heutigen Blickwinkel betrachten, sondern langfristig anschauen. Es wäre falsch, jetzt deshalb in Panik zu verfallen und irgendwelche Schnellschüsse zu inszenieren. Die ganze Problematik muss man besonnen analysieren und anschliessend gilt es, transparent aufzuzeigen, weshalb welche Massnahmen zu ergreifen sind. Langfristig betrachtet wäre es schön, wenn Huttwil irgendwann wieder einen Selbstfinanzierungsgrad von 100 Prozent aufweisen würde. Aktuell liegt dieser bei knapp 75 Prozent.
Huttwil hat zuletzt einige negative Schlagzeilen verkraften müssen, Institutionen und Firmen haben dem «Städtli» den Rücken gekehrt? Dabei liegt Huttwil mitten in der Schweiz, am Rande des Emmentals, einer der touristisch schönsten Regionen der Schweiz und umgeben von einem tollen Naherholungsgebiet. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe, dass Huttwil mit diesen Vorzügen bei der Wirtschaft und bei Zuzügern nicht in gewünschtem Mass punkten kann?
Huttwil verfügt von seinem Standort her über eine spezielle Situation. Obwohl wir mitten in der Schweiz liegen, befinden wir uns am Rande der Region Oberaargau und direkt an der Grenze zum Kanton Luzern. Dadurch befinden wir uns in einem Gebiet, das vor allem durch den öffentlichen Verkehr (öV) schlecht erschlossen ist. Das führt beispielsweise dazu, dass sich Leute ohne PW gut überlegen müssen, wann und wo sie ihre Freizeit verbringen, weil es sein kann, dass sie spätabends nicht mehr nach Huttwil zurückkehren können. Das ist eine unbefriedigende Situation. Deshalb strebt der Gemeinderat von Huttwil in diesem Bereich bereits seit Jahren eine Verbesserung an. Denn es ist unbestritten, dass die künftige öV-Erschliessung dieser Region direkte Auswirkungen auf die Entwicklung der Gemeinde hat. Ohne öV findet keine wirtschaftliche Entwicklung statt und ohne wirtschaftliche Entwicklung kann sich auch die restliche Gemeinde nicht im gewünschten Mass weiterentwickeln.
Sie stellen sich im Herbst nicht mehr für eine Wiederwahl in den Gemeinderat zur Verfügung. Welche Gründe haben Sie zu diesem Schritt bewogen?
Weil ich beruflich als Gemeindeschreiber in Gondiswil tätig bin, engagiere ich mich gleichzeitig für zwei Gemeinden. Dies bedeutet, dass ich alles doppelt mache, Sitzungen, Versammlungen und Aktenstudium. Es führt auch dazu, dass ich manchmal in einer Woche gleich an mehreren Abenden für die eine oder andere Gemeinde unterwegs und im Einsatz bin. So habe ich hin und wieder das Gefühl, dass sich in meinem Leben (zu) vieles um das Thema «Gemeinde» dreht. Das ist nicht negativ gemeint, aber diese Ausgangslage erschwert es mir, mich auf eine Gemeinde und Aufgabe zu fokussieren. Deshalb habe ich entschieden, mich künftig auf eine
Gemeinde zu konzentrieren und dabei fiel meine Wahl logischerweise auf meine Arbeitgeberin, die Gemeinde Gondiswil.
Wenn Sie nun auf Ihre Tätigkeit im Gemeinderat zurückblicken, wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ich persönliche ziehe eine positive Bilanz meiner vier Jahre im Huttwiler Gemeinderat. Es waren für mich sehr interessante Jahre. Vor allem war es für mich als Gemeindeschreiber ungemein wertvoll, einmal auf der anderen Seite zu stehen und diese Sichtweise hautnah kennenzulernen. Dies ist für meine berufliche Tätigkeit als Gemeindeschreiber sehr hilfreich. Die Zusammenarbeit im Gremium in Huttwil und der Einsatz für unsere Gemeinde stufe ich persönlich als sehr positive Erfahrung ein.
Was wünschen Sie sich als Huttwiler für die Zukunft der Gemeinde?
Ich hoffe und wünsche mir, dass Huttwil die bevorstehenden Herausforderungen erfolgreich meistern kann und dass die offenen Stellen auf der Verwaltung rasch besetzt werden können, damit die Gemeinde wieder voll funktionsfähig ist. Zugleich würde ich mir eine etwas grössere Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber den Leistungen, die von der Gemeinde erbracht werden, wünschen. Ich habe in den letzten vier Jahren gesehen, was in unserem Gemeinwesen alles geleistet wird. Das ist beachtlich und wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen. Abschliessend kann ich die Huttwilerinnen und Huttwiler nur ermuntern, sich für das Amt als Gemeinderat oder Gemeinderätin zur Verfügung zu stellen, weil es eine schöne Aufgabe ist, sich für die eigene Gemeinde einzusetzen.
Zum Schluss verraten Sie uns doch noch, wie Sie ab Herbst die wiedergewonnene Zeit nutzen werden?
Privat habe ich noch einige Projekte, die ich gerne realisieren würde. Auch liegen bereits Angebote vor, wie ich mich anderweitig für die Gemeinde engagieren könnte. Ich werde sicher nicht auf der «faulen» Haut liegen und mich auch künftig in irgendeiner Form für die Gemeinde einsetzen, dafür ist mir Huttwil einfach zu wichtig.
Zur Person
Sandro Schafroth
Geboren: 1986
Aufgewachsen/wohnhaft: Huttwil
Zivilstand: verheiratet
Beruf: Gemeindeschreiber; Beruflicher Werdegang: Ausbildung als Kaufmann bei der Einwohnergemeinde Huttwil (2003 bis 2006), EWG Huttwil (2006 bis 2010) Stadt Burgdorf (2011 bis 2015), Ausbildung zum emeindeschreiber und zum Bauverwalter (2013 bis 2016 und 2017 bis 2018), Gemeindeschreiber in Ochlenberg (2015 bis 2018) und seit 2019 Gemeindeschreiber in Gondiswil
Politische Laufbahn: Parteimitglied SP Schweiz
Ehrenamtliche Tätigkeiten: Vorstand Verein Gemeindekader
Oberaargau, Prüfungsexperte Branche öff. Verwaltung
Hobbies: Brett- und Miniaturen-basierte-Tabeltopspiele,
Motorradfahren, Lesen