• Freuen sich in vorweihnächtlicher Stimmung über ihren Abstimmungserfolg bei den Kindergärten: FDP-Gemeinderat Markus Gfeller (vorne links) und Stadtrat Pascal Dietrich (parteilos, vorne rechts) zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern des Nein-Komitees am Sonntagnachmittag an der Langenthaler «Stärne Wiehnacht». · Bild: Thomas Peter

19.12.2023
Langenthal

«Schöne» Bescherung für Langenthal

Langenthals Stimmbürgerinnen und Stimmbürger goutierten an der Urne die Steuererhöhung und das Budget 2024, schickten aber gleichzeitig alle drei Kindergarten-Neubauten, die gesamthaft knapp 14 Millionen Franken gekostet hätten, deutlich bachab. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Abstimmungsresultate fing «Der Unter-Emmentaler» am Sonntagnachmittag bei den Befürwortern wie auch bei den Gegnern exklusiv vor Ort die Stimmungen ein. Fazit: Was sich für das Nein-Lager wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk anfühlt, stellt für das Pro-Komitee eine mittelgrosse Katastrophe dar.

«Nein! Also ernsthaft jetzt …?!». Nathalie Scheiblis Stimme aus dem Entrée verheisst nichts Gutes. Die SP-Stadträtin und höchste Kindergarten-Lehrperson Langenthals wird gerade telefonisch vom Gemeinderat über das auf der Stadtverwaltung eben bekanntgewordene Abstimmungsresultat informiert. Am Wohnzimmer-Esstisch bei Franziska Zaugg (Stadträtin FDP) zuhause im Kirchenfeld, wo das Pro-Komitee der Kindergarten-Vorlagen an diesem Sonntagnachmittag zusammengefunden hat, ist es mucksmäuschenstill. Insgeheim wissen bereits alle Anwesenden, was es geschlagen hat: Die drei Kindergarten-Neubauten für Langenthal sind soeben von einer Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abgeschmettert worden.
Nathalie Scheibli lässt ihr Handy langsam sinken und kehrt an den Esstisch zurück – bleich im Gesicht. «Alle drei Kindergarten-Vorlagen abgelehnt», be­stätigt sie den Kolleginnen und Kollegen vom Pro-Komitee knapp, was ­eigentlich gar nicht mehr bestätigt werden muss. Konsternation und Enttäuschung sind der Schulleiterin und Kindergärtnerin in diesem Moment mehr als deutlich anzusehen – den anderen in der Runde geht es nicht viel besser: Alle machen den Anschein, als durchlebten sie gerade einen Albtraum der schlimmeren Sorte.

Eher tiefe Stimmbeteiligung
Und effektiv: Das Abstimmungsresultat muss sich für die Befürworterinnen und Befürworter der Kindergarten-Vorlagen wie ein Albtraum anfühlen: Mit einem Nein-Anteil von rund 57 Prozent lehnen Langenthals Stimmbürger die Kindergarten-Neubauten allesamt deutlich ab – am wuchtigsten wird der Dreifach-Kindergarten im Schulzentrum Kreuzfeld bachab geschickt, und zwar mit 57,9 Prozent (2125 Nein-Stimmen gegenüber 1545 Ja-Stimmen). Die Stimmbeteiligung ist bei dieser Vorlage mit rund 37 Prozent – wie bei allen anderen Vorlagen übrigens auch – eher tief. Total hätten an diesem Sonntag in Langenthal 9928 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an die Urne gehen oder vorgängig brieflich abstimmen können. Was die Abstimmenden hingegen mit einer Mehrheit von knapp 59 Prozent gutgeheissen haben, ist die Budget-Vorlage mit einer Steuererhöhung um 0,6 Einheiten von 1,38 auf 1,44 sowie einem Defizit von 3,13 Millionen Franken. Damit ist klar, dass die Stadt einen erneuten budgetlosen Zustand – so, wie ihn die Langenthaler im zu Ende gehenden Jahr bis zur zweiten Budget-Abstimmung im Juni auszuhalten hatten – vermeiden kann.

Gemeinderat äussert sein Bedauern
Zu dieser an sich erfreulichen Nachricht lässt der Gemeinderat unmittelbar nach Bekanntgabe der Abstimmungsergebnisse interessanterweise nichts verlauten. Das Communiqué, das vonseiten der Stadt verschickt wird – und das selbstredend auch vom Kindergarten-Pro-Komitee regelrecht verschlungen wird –, beinhaltet vielmehr eine «erste Beurteilung nach der Ablehnung der Vorlagen zu den neuen Kindergärten mit Tagesschulen».
Ein Quäntchen Balsam auf die frischen Wunden der Befürworterinnen und Befürworter: In der Mitteilung äussert der Gemeinderat nämlich sein Bedauern über die Ablehnung der vorgelegten Bauprojekte in der Elzmatte, im Hard und im Kreuzfeld. Aus der Wortwahl geht hervor: Auch für das Exekutivgremium der Stadt Langenthal ist das Verdikt zu den Kindergarten-Neubauten eine herbe Enttäuschung und Klatsche, die in dieser Deutlichkeit wohl niemand erwartet hat.
Bei Zauggs am Wohnzimmer-Esstisch legen die Befürworter nach der anfänglichen Schockstarre langsam, aber sicher ihre Totengräber-Stimmung ab und gehen in den Frustrations-Modus über. «Für Langenthal ist das ganz
klar eine verpasste Chance!», eröffnet Franziska Zaugg den Reigen des Dampf­ablassens, in den die übrigen Tischgenossen umgehend mit einstimmen.
Eine der Stadtverwaltung nahestehende Person, die ebenfalls anwesend ist, die ihren Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, ergänzt: «Den Leuten ist wohl nicht bewusst, wie viel Geld man durch die Ablehnung der Geschäfte nun gerade in den Sand gesetzt hat. Die Ausarbeitung der Schulraumstrategie, die ganze Planung der drei Kindergarten-Neubauten, die unzähligen Arbeitsstunden – das alles macht unter dem Strich bestimmt mehrere hunderttausend Franken aus, wenn nicht noch mehr.»
Jemand anderes aus der Runde findet, der Weg, für welchen sich Langenthals Stimmberechtigte nun entschieden hätten, münde letztlich in einem Flickwerk. Ein Flickwerk, das unter dem Strich sehr viel Geld kosten, aber niemals dieselben Vorteile bieten werde wie die zentralisierten Kindergärten. «Es ist verrückt, wie lange jetzt wieder nichts gehen wird – dieser Entscheid wirft Langenthal in der Schulraumplanung um Jahre zurück», sind sich alle am Tisch einig. Der Prosecco, der im Falle eines Abstimmungserfolgs zum feierlichen Anstossen gedient hätte, hilft nun dabei, Frust und Verzweiflung hinunterzuspülen.

Investitionen sind so oder so nötig
Dass das dreifache Nein für Langenthal eine verpasste Chance ist, kann man durchaus so sehen. Denn Geld investieren wird die Stadt sowieso müssen. Dies macht auch der Gemeinderat unmissverständlich klar: «Das Nein der Bevölkerung bedeutet einen kurz- und mittelfristigen Bedarf an Investitionen in die teilweise bestehende Infrastruktur sowie in das Erstellen von Provisorien, wie schon in den Abstimmungsbotschaften in Aussicht gestellt, mit entsprechenden Kostenfolgen», heisst es in der Medienmitteilung. Bei einem gesamtheitlichen Ja hätte die Stadt Langenthal für knapp 14 Millionen Franken drei topmoderne Mehrfach-Kindergartengebäude erhalten, die überdies den heutigen Ansprüchen einer nachhaltigen, energieschonenden Bauweise entsprochen hätten. Im Kreuzfeld, im Hard und in der Elzmatte wären Schulräume geschaffen worden, die nicht nur den Kindern eine zeitgemässe und lernfreundliche Umgebung garantiert hätten, sondern auch den Lehrpersonen vieles erleichtert hätten – schliesslich sieht sich die Lehrerschaft «in unserer wachsenden Gesellschaft mit steigenden Anforderungen an Schulräume und Pädagogik» konfrontiert, hält der Gemeinderat weiter fest.
Hätte, wäre, wenn …, stattdessen wird man nun sehr viel Geld – vermutlich ebenfalls mehrere Millionen Franken – in alte Bauten investieren müssen, um diese auf einen akzeptablen, den heutigen Bedürfnissen entsprechenden Kindergarten-Standard anzuheben. Und nicht nur das: Übergangsweise wird man auch Provisorien erstellen müssen. So etwa als Ersatz für den Kindergarten Winkel, der heute nicht mehr dem geforderten Flächenbedarf entspricht und mit einer Ausnahmebewilligung des Kantons nur noch bis 2024 am jetzigen Standort betrieben werden darf. Und anscheinend, wie man hört, muss gut eine Million Franken der bereits investierten Planungskosten abgeschrieben werden. Ob das alles unter dem Strich nun eine bessere Lösung für Langenthal darstellt, darf zumindest angezweifelt werden.
Denn weiter muss befürchtet werden, dass den Langenthaler Kindergärten aufgrund der neuen Ausgangslage nun früher oder später die Pädagoginnen und Pädagogen davonlaufen könnten. Und neue Lehrpersonen zu finden, dürfte in Zeiten des Fachkräftemangels schwierig sein – denn wer will schon in Provisorien und Kellerräumen unterrichten, wenn anderswo – in umliegenden Gemeinden im Oberaargau etwa – moderne Kindergarten-Gebäude und durchdachte Schulraumplanungen auf die gefragten Kindergarten-Lehrpersonen warten?

«Keine Zentralisierung»
Szenenwechsel: Sonntagnachmittag, 14 Uhr, Marktgasse Langenthal. Die «Stärne Wiehnacht» ist in vollem Gang. Vor dem Choufhüsi bläst eine Schülerband ein paar traditionelle Weihnachtslieder. Die Lichter und Kugeln der grossen Weihnachtstanne bei der Bären-Kreuzung glitzern unter der tiefhängenden Mittelland-Nebeldecke. Ein Glitzern hat sich auch in den Augen der siegreichen Gegner der Kindergarten-Vorlagen breitgemacht. Bei Glühwein und Punsch freuen sie sich UDL («Unter der Linde» beim Hochwasserauslass) über ihren Abstimmungserfolg.
Ja, das Ergebnis könne man durchaus als verfrühtes Weihnachtsgeschenk bezeichnen, antwortet Pascal Dietrich, parteiloser Stadtrat und Mitglied des Nein-Komitees. Er und seine Kolleginnen und Kollegen interpretieren das Abstimmungsresultat so, «dass Langenthal keine Zentralisierung der Kindergärten will». Die Zentralisierungsstrategie sei aus ihrer Sicht nun definitiv vom Tisch. Zur Erinnerung: Die strategische Stossrichtung der Stadt sah vor, eine zentrale Organisation der Kindergärten und Tagesschulen bei den Schulzentren Elzmatte, Hard und Kreuzfeld anzustreben. Dagegen weibelten die Gegnerinnen und Gegner der Kindergarten-Vorlagen – unter anderen auch Gemeinderat Markus Gfeller (FDP) – gerade in den letzten Wochen vor der Abstimmung mit Argumenten, die bei der Stimmbevölkerung offensichtlich besser verfingen als die eher nüchternen Fakten des Pro-Lagers. So ist anzunehmen, dass es letztlich weniger die hohen Kosten waren, die zur klaren Ablehnung der Vorlagen geführt haben, als vielmehr die Argumente des Nein-Komitees, die auf das sogenannte Kindswohl abzielten. Die Gegnerinnen und Gegner strichen hervor, ein Teil der Kinder hätte deutlich längere und unzumutbare Schulwege zurückzulegen. Ausserdem behaupteten sie, die sogenannten Elterntaxis würden weiter zunehmen und es müssten schlimmstenfalls sogar Schulbusse eingeführt werden. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass Abstimmungen offensichtlich auch in Langenthal viel eher mit emotionsgeladenen Argumenten als mit nüchternen Fakten gewonnen werden. Ein Lehrstück, das sich – wenngleich der Stil doch eher fragwürdig ist – nun möglicherweise auch die unterlegenen Stadträte des Pro-Komitees für künftige Abstimmungen hinter die Ohren schreiben werden.

Bestehendes langfristig sanieren
Für Pascal Dietrich ist klar: «Ich hoffe, dass der Gemeinderat nun nicht die Faust im Sack macht, sondern endlich langfristig in die Sanierung der bestehenden Standorte – also auch in die Quartierkindergärten – investiert.» Denn dass die Gebäude saniert werden müssten, das sei auch in den Reihen des Nein-Lagers völlig unbestritten. Zur prekären Lage beim Kindergarten Winkel sagt Dietrich, diesen könne man unter Umständen durchaus noch weiterbetreiben –, aber man müsse dies halt auch wollen. Sollten die Platzverhältnisse im Winkel wirklich unzumutbar sein, sei für ihn denkbar, dort von zwei auf eine Klasse zu reduzieren. Und betreffend Ausnahmebewilligung des Kantons: Diese lasse sich möglicherweise verlängern, so Dietrich – aber auch hier: Man müsse es halt wollen. «Wenn man schon von Vornherein meint, es gehe nicht, dann geht es auch nicht», sagt der ehemalige FDP-Stadtrat, der im städtischen Parlament inzwischen als Parteiloser seinen oftmals sehr dezidierten Überzeugungen nachgeht.
Er war bei der Schlussabstimmung im Stadtrat einer von drei Abstimmenden, die sich gegen die Kindergarten-Vorlagen stellten – 31 Stadträte sprachen sich derweil für die Kindergarten-Neubauten aus. Auch das ein ziemlich trauriges Bild, wenn man bedenkt, dass der Stadtrat eigentlich das Abbild von Langenthals Stimmbevölkerung ist. Nicht so bei den Kindergärten: Einer Mehrheit der Stimmbürger war es offensichtlich schnurz, was ihre Volksvertreter im Stadtrat zu diesen Geschäften abgestimmt hatten.

Suche nach neuen Lösungen
Dass man bei der Zentralisierungsstrategie nun über die Bücher gehen muss, steht offensichtlich auch für den Gemeinderat ausser Frage: «Als Folge der Ablehnung aller drei Vorlagen steht eine Überprüfung des bisherigen Positionspapiers Kindergarten und Tagesschule, das als grundlegende Schulraumstrategie dient, im Raum», schreibt er. Die Bedürfnisse von Schulkindern und Lehrpersonen stünden an oberster Stelle. Die Ablehnung der Bauprojekte habe nun kurzfristige Auswirkungen auf die Ver­fügbarkeiten von Schulräumen. Der Gemeinderat sei bestrebt, in Zusammenarbeit mit den beteiligten Institutionen und der Bevölkerung tragfähige Lösungen zu finden.
Für tragfähige Lösungen wird sich auch Langenthals oberste Kindergärtnerin Nathalie Scheibli einsetzen wollen. «Irgendwie wird es weitergehen», schreibt sie am späteren Sonntagnachmittag, nach ein paar Gläsern Prosecco, in schwermütigen, aber irgendwie auch versöhnlichen Worten ihren Anhängern vom Pro-Lager. «Danke für die vielen aufmunternden Nachrichten – und Danke allen betroffenen Lehrpersonen, die weiterhin bereit sind, für Langenthal zu unterrichten.»

Von Patrick Jordi