«schritt:weise» ins Spielen einführen
Das Frühförderprogramm «schritt:weise» unterstützt Kleinkinder und deren Eltern mit einem Spiel- und Lernprogramm und ermöglicht ihnen so einen guten Start in den Kindergarten und in die Schule. Das von Interunido initiierte Angebot für sozial belastete Familien gibt es seit elf Jahren.
Langenthal · Das Frühförderprogramm «schritt:weise» feierte kürzlich – coronabedingt mit einem Jahr Verspätung – das 10-Jahr-Jubiläum. Doch was bietet das von Interunido, der Fachstelle für Bildung und Integration, initiierte Programm für Kinder im Alter zwischen einem und drei Jahren an und weshalb braucht es das überhaupt? «‹schritt:weise› ist eine Starthilfe, die den Kindern eine gesunde Entwicklung und später einen guten Start in den Kindergarten und in die Schule ermöglicht», erklärt Céline Dürr. Die 43-Jährige ist die Programmkoordinatorin und als solche von Interunido angestellt.
Auch wenn man es sich als Schweizerin oder Schweizer nicht vorstellen könne, so seien sich viele der am Programm teilnehmenden Mütter nicht gewohnt, mit den Kindern zu spielen. «Sie kennen das nicht. Ihre Kleinkinder werden als Ablenkung oft vor den Fernseher gesetzt, mit einem englischen Programm, mit der guten Absicht, sie so auf den Kindergarten vorzubereiten. Die Kleinen lernen so zwar ein paar Brocken englisch, aber manchmal kaum ihre eigene Muttersprache und schon gar kein Deutsch», weiss Céline Dürr. ‹schritt:weise› ist also ein Lernprogramm für Kinder und Eltern.»
Die gewünschten Familien zu erreichen, sei gar nicht so einfach und funktioniere in erster Linie über die «Mund-zu-Mund-Propaganda», da viele meistens sehr isoliert leben. Besonders dann, wenn sie nicht über Sozialhilfestellen unterstützt werden und noch keine schulpflichtigen Kinder haben. «Viele von ihnen werden durch ehemalige Teilnehmerinnen darauf aufmerksam gemacht. Einige kommen über Interunido, weil sie dort einen Kurs besuchten und ein paar von der Mütter-Väter-Beratung, den Asyldiensten sowie einzelne von den Sozialdiensten», erklärt Céline Dürr. «Am besten wäre es, wenn wir das Programm via den Kinderärzten bekannt machen könnten, da jede Mutter mindestens einmal mit ihrem Kind dorthin geht.»
Hausbesucherinnen auf Augenhöhe
Für das erste Gespräch geht Céline Dürr zu den Familien nach Hause, wo nötig mit einem Übersetzer oder einer Übersetzerin von Interunido oder im besten Fall mit einer der Hausbesucherinnen. Diese sind es denn auch, welche die Familien beim Spiel- und Lernprogramm begleiten. «Aktuell haben wir vier Hausbesucherinnen, je eine aus Afghanistan, Marokko, Brasilien und dem Kosovo. Diese sind schon lange in der Schweiz, kennen die Sprache und die Gepflogenheiten.» Froh wäre Céline Dürr derzeit um eine Mitarbeiterin aus Eritrea.
Beim ersten Besuch wird das Programm vorgestellt. Da sei oft der Vater dabei, der in der Regel besser deutsch spreche und verstehe. «Das ist optimal, denn so weiss er, worum es geht.» Wenn die Hausbesucherin nicht schon beim ersten Mal dabei ist, so nimmt diese nach dem Erstgespräch mit der Familie Kontakt auf. Ab dann besucht sie die Familie während neun Monaten jede Woche einmal 30 Minuten lang, danach neun Monate lang alle zwei Wochen für 60 Minuten, also für eine Dauer von total 18 Monaten. Im Gepäck hat die Hausbesucherin Boxen mit altersgerechten Spielsachen wie einem Ball, Farben, Bücher, Puzzles, Memories, Lotto, Puppen und vieles mehr. «Es geht einerseits darum, überhaupt spielen zu lernen, aber auch darum, zu teilen und Anweisungen zu befolgen.» Das sei vor allem für Knaben aus einigen Ländern gar nicht so einfach, da sie mehr Rechte hätten als die Mädchen. Die Eltern wiederum lernen, auf das Kind und dessen Bedürfnisse zu achten. Ebenfalls erhalten die Eltern Ordner mit Instruktionen. Ab der elften Woche wird von Müttern erwartet, dass sie sich alle zwei Wochen zu moderierten Gruppentreffen einfinden, wo sie sich mit anderen zu verschiedenen Erziehungs- und Entwicklungsthemen austauschen können. Ganz wichtig sei dabei immer die Niederschwelligkeit. «Die Familie wie die Hausbesucherin befinden sich auf Augenhöhe. Dadurch gelingt der Vertrauensaufbau. Dies ermöglicht, dass die Inhalte des Programms verinnerlicht und im Alltag auch umgesetzt werden.»
Kindergärten begrüssen Förderung
Aktuell nehmen 15 Kinder am Programm teil, ein Kind pro Familie. «Manchmal sind halt auch Geschwister mit dabei und profitieren mit», so Céline Dürr. Die Familie werde durch ‹schritt:weise› gestärkt und könne sich besser positionieren. Wie wichtig Frühförderung ist, weiss auch Kindergartenleiterin Nathalie Scheibli. «Wir merken sehr gut, wenn Kinder keine Vorerfahrung mitbringen. Diese haben im Kindergarten Startschwierigkeiten», sagt sie. «‹schritt:weise› schlägt zu Familien mit Migrationshintergrund Brücken, bringt ihnen unsere Bildung und Erziehung näher, was meiner Meinung nach sehr wichtig ist.» Ein weiterer Vorteil sei, sagen Nathalie Scheibli wie auch Céline Dürr, dass dadurch allfällige Beeinträchtigungen wie Hör- oder Sehprobleme, frühkindlicher Autismus und so weiter, frühzeitig abgeklärt werden können. Zusammenfassend könne gesagt werden, finden beide Frauen, dass mit «schritt:weise» nicht nur die Kinder, sondern auch die Frauen gefördert werden und damit das ganze Familiensystem.
Teilfinanzierung Stadt Langenthal
Dass Frühförderung ein für unsere Gesellschaft ganz zentrales Thema sei, habe er schon vor längerer Zeit gemerkt, sagt Thomas Niklaus, Geschäftsleiter von Interunido. Aus diesem Grund habe er 2007 eine Studie in Auftrag geben, um Erfolgsfaktoren der frühen Förderung und lokale Bedürfnisse ausfindig zu machen. Die Ergebnisse der Studie haben ihn schliesslich zu «schritt:weise» und deren Trägerorganisation Aprimo geführt. Der Verein mit Sitz in Winterthur hat das Programm für die Schweiz entwickelt, liefert die Dossiers sowie Spielkisten und ist für Ausbildung und Evaluation des Programms zuständig.
Auf Wunsch des Kantons liegt die Trägerschaft für «schritt:weise» nicht mehr bei Interunido, sondern bei der Stadt. Finanziert wird das Ganze zu einem Drittel vom Kanton Bern und zu zwei Dritteln von der Stadt Langenthal und von Stiftungen. Gemäss Thomas Eggler, Vorsteher des Sozialamtes der Stadt Langenthal, läuft die 3-Jahres-Regelung Ende 2022 aus, danach muss der Stadtrat eine weitere Finanzierung bewilligen.
Neben Langenthal macht als einzige die Nachbargemeinde Thunstetten-Bützberg vom Angebot Gebrauch. Sie hat mit Langenthal einen Untervertrag abgeschlossen. Die Familien selbst bezahlen einen symbolischen Beitrag von 15 Franken pro Monat.
Und wie hat sich «schritt:weise» in den elf Jahren entwickelt? «Es hat sich sehr erfreulich etabliert», findet Thomas Niklaus. Eine kürzlich durchgeführte Befragung ehemaliger Teilnehmenden habe ergeben, dass das Angebot für die Integration der Familien und die schulische Entwicklung der Kinder äusserst wertvoll war. «Ältere Kinder wollten beim Umzug sogar die alten Spielsachen aus der Box mitnehmen, weil sie daran so gute Erinnerungen hatten.»
Von Irmgard Bayard