• Romy Lustenberger beim «Chäppeli» in Luthern Bad: «Ein Kraftort», sagt sie. Bild: Liselotte Jost-Zürcher

24.07.2019
Luzerner Hinterland

Selbst dazu beitragen, dass der Ort, in welchem man lebt, lebenswert bleibt

Jahr der Freiwilligen (1): Romy und Isidor Lustenberger, Luthern Bad. Die Familie Lustenberger ist tief mit dem Luthern Bad verwurzelt. Seit Generationen gilt sie im kleinen Wallfahrtsort am Fusse des Napfs als eine «Anlaufstelle» für Bewohner und Besucher, steht meistens an der Front, wenn es darum geht, Menschen im Ort zu unterstützen und das Luthern Bad zu fördern.

Das Jahr der Freiwilligen 

2019 gilt weltweit als Jahr der Freiwilligen. In einer Serie nimmt auch der «Unter-Emmentaler» das Thema auf und porträtiert Menschen in der Region, die sich für ihr Umfeld, für ihren Ort oder für andere Menschen einsetzen – jahrelang, für Gotteslohn. In dieser Ausgabe des «Unter-Emmentaler» starten wir mit Romy und Isidor Lustenberger aus Luthern Bad. Wir wünschen der Leserschaft des «UE» in den nächsten Wochen einen spannenden Einblick in die grenzenlose Vielfalt der Freiwilligenarbeit. 

 

LUTHERN BAD · «Man ist füreinander da. Das ist doch normal, ist eigentlich gar nichts Spezielles. Was wir getan haben, tun andere auch», ist Romy Lustenberger überzeugt. «Man tut es einfach.» Nun ja, so «einfach» wohl doch nicht. Wenn es darum geht, den idyllischen kleinen Wallfahrtsort zu fördern und zu pflegen, ist dem Ehepaar kein Weg zu steil und kein Schritt zuviel. Die Freiwilligenarbeit in und um Luthern Bad wurde insbesondere Isidor Lustenberger in den Schoss gelegt. Romy Lustenberger dagegen ist hineingewachsen, meint im Rückblick sogar, dass es ihr anfangs etwas Mühe bereitet habe. Die Geschichte der Lustenbergers ist ein Blick zurück wert. 1910 kauften die Grosseltern von Isidor Lustenberger der Kirchgemeinde das inzwischen vierhundertjährige Haus mitten im Dorf neben dem Dreilindenplatz ab, welches im Familienbesitz geblieben und inzwischen längstens stilgerecht saniert ist. 

Die rechte Hand des Lehrers

Das Rätsel, woher die Grosseltern das Geld hatten, hat sich für die Nachfahren vor noch nicht sehr langer Zeit gelöst. Die Grossmutter ging, wie alle Kinder in Luthern Bad, beim damaligen Dorflehrer zur Schule, der gleichzeitig als Posthalter amtete. Sie fiel durch ihr gutes Rechnen und Schreiben auf. Am Ende der Schulzeit stellte der ledige Lehrer – er war damals schon über 60-jährig – «das Marieli» als Haushalthilfe und als seine rechte Hand an. Die junge Frau hielt im vielfältigen Haushalt mit Schule, Post und anderen Ämtern die Zügel zusammen. 

Als Jahre später der Lehrer an einem Herzstillstand mitten in einer Schulstunde starb, war sie die einzige Person, die Bescheid wusste. Das mag der Grund gewesen sein, dass sie 1910 offiziell von der Schweizerischen Oberpostdirektion in Bern für einen Jahreslohn von 1400 Franken zur «Postgehülfin» von Luthern Bad angestellt wurde. Für eine Frau war dies in der damaligen Zeit eine besondere Ehre. Zudem muss ihr der Lehrer, der keine Nachfahren hatte, Geld hinterlassen haben, das es dem jungen Ehepaar dann ermöglichte, das Haus zu kaufen. Die Posthalterei blieb fortan in der Familie, solange es die Poststelle Luthern Bad gab. 

Und damit zahlreiche (freiwillige) Dienste an den Mitmenschen. So hatte die Grossmutter beispielsweise sehr viele Patenkinder. Sie war allen Kindern eine gute Gotte, und wann immer diese Kinder Gelegenheit hatten, kehrten sie für einen Besuch nach Luthern Bad zurück. Genauso erging es Isidor Lustenberger, ihrem Sohn. Er war ein gefragter Firmgötti. Viele Göttikinder stammten aus dem nahen Kinderheim, das durch das «Seraphische Liebeswerk» hervorragend und ethisch vorbildlich geführt war. Viele Beziehungen sind bis heute geblieben. «Mein Schwiegervater hat für fast alle Haushaltungen in Luthern Bad Buch geführt, schaute, dass die Landwirte zu ihren Zollrückerstattungen kamen, schrieb Todesanzeigen, Danksagungen, Lebensläufe und viele amtliche Schreiben für die hier lebenden Menschen, die ihre Fähigkeiten in andern Bereichen als im Schreiben hatten», erzählt Romy Lustenberger im Gespräch mit dem «UE». 

Ein offenes Haus

So kam sie also als junge Ehefrau in ein buchstäblich offenes Haus. Man war es gewöhnt, die Leute dann zu bedienen, wenn sie kamen, und nicht bloss während den eineinhalb Nachmittagsstunden, an welchen die Post eigentlich offen gewesen wäre. Der Sonntagmorgen nach dem Gang zur Messe war dabei besonders beliebt. Denn dann kamen die Menschen von allen Högern ins kleine Dorf herunter. «Das machte mir am Anfang Mühe», gesteht Romy Lustenberger. Aber man fand sich. Einerseits wuchs die aus Hofstatt stammende junge Frau schnell in diese dörfliche Grossfamilie hinein, anderseits wurden die «Dienstzeiten» der Post dann doch etwas eingeschränkt. Aber da waren die vom Eigentümer vernachlässigten Gebäude im Dorf. Der «Hirschen» und auch das einstige Kinderheim. Dieses diente vorerst noch als Unterkunft für Klassenlager und Militär, wurde aber nie unterhalten. Der «Hirschen» war einst von der Familie Galliker betrieben worden. Hier legte diese Familie mit der Fuhrhalterei den Grundstein für die heutige riesige Galliker-Unternehmung in Altishofen. Max und Peter Galliker, die Söhne der Fuhrhalterei und angehenden Grossunternehmer, haben ihre sehr enge Beziehung zum Luthern Bad allerdings stets behalten. 

IG Luthern Bad AG und Förderverein

Peter Galliker gründete 1992 zusammen mit sechs gleichgesinnten Personen die IG Luthern Bad AG, welche die beiden Gebäude kaufte, den «Hirschen» komplett sanierte und das ehemalige Kinderheim zurückbaute und ein herrliches Mehrfamilienhaus mit preiswerten Wohnungen in der Idylle erstellen liess. Weit vorne an der Front stand immer auch Isidor Lustenberger. Die ersten Bausitzungen wurden an seinem Stubentisch abgehalten, die Gastgeberin war seine Frau. Selbst als die Küche im neuen «Hirschen» schon erstellt war, brachte sie jeweils Kaffee und «etwas dazu» hinüber.

«Noch nie stand in den letzten 25 Jahren in unserem Mehrfamilienhaus eine Wohnung leer, und der «Hirschen» ist zum beliebten Ausflugsrestaurant geworden», erzählt Isidor Lustenberger. Nicht nur der Ausgangsort für eine Napfwanderung ist der Grund dazu, sondern vor allem der inzwischen über 400 Jahre alte Wallfahrtsort mit der Heilquelle. Trotzdem – eine Arbeitsgruppe aus Vertretern verschiedener Organisationen kam 2006 zum Schluss, dass Luthern Bad eine besondere Förderung verdient. 2007 wurde der Förderverein Luthern Bad gegründet. Unter dem Präsidenten Max Galliker arbeitete seit Beginn Romy Lustenberger im Vorstand mit.

Dank ihrer Grosszügigkeit und dank vielen wertvollen Beziehungen von Max und Peter Galliker gelang es in den letzten Jahren, zahlreiche Projekte zu realisieren. In der Kirche gab es schon bald einen vielbesuchten Gebetsraum mit einem neuen Schriftenstand, Kondolenzkarten und einer Sorgenurne. Bäume wurden gepflanzt, ein Video wurde erstellt mit dem Titel «das kleine Einsiedeln», mit viel Fronarbeit wurde der Dreilindenplatz gepflästert und gestaltet, und ebenfalls durch Fronarbeit entstanden der Jakob Minder Weg, wurden ein Kreuz ersetzt und der Kirchenplatz mit dem Luthernbrunnen gestaltet. 

Mit der Platzierung von Sitzbänken – ein Geschenk der Stadt Luzern –, mit Stelen, auf welchen die Geschichte von Luthern Bad erzählt wird, mit einem rollstuhlgängigen Weg zum Badbrünnli und der Kapelle, dem Bau des Arm- und Fussbades und vielem mehr wurde der kleine Ort zum Kleinod im Lutherntal, in der Region überhaupt.

«Wenn so viele Menschen von auswärts so viel Gutes tun für den Ort, wo wir leben, so müssen wir doch Gottfriedstutz selbst auch etwas dazu tun, dass er schön und lebenswert bleibt», sagt Romy Lustenberger. 

Eine «wandelnde» Reklamesäule

Das heisst, sie sagt es nicht nur, sie tut es auch. Mit dem Organisieren der traditionellen 1.-August-Wanderung – dieses Jahr übrigens mit der Gastgemeinde Sumiswald –, mit ständigem Bewerben des Orts und immer mit treuer Präsenz, wenn es eine Hand, einen Krug Kaffee, einen Korb mit Gebäck oder etwas braucht, unterstützt sie den Förderverein. Ihr Mann dagegen führt Besuchergruppen durch den Kraftort. «Isidor ist eine wandernde Reklamesäule für Luthern Bad», lacht sie. Doch auch nebst dem Förderverein läuft im Haus der Familie Lustenberger immer noch viel. Die Poststelle wurde 1995 aufgehoben. Danach führte das Ehepaar die Poststelle in Luthern bis zu deren Schliessung 2015. Romy wurde noch einige Jahre in verschiedenen regionalen Poststellen eingesetzt. Beide wurden schliesslich frühpensioniert. 

Weder Freude noch Bedauern über dieses Sparprogramm der Post waren bei beiden gross. Immerhin, man weiss sich ja sonst mehr als nur zu beschäftigen. Da gilt es zuweilen, Wanderer von einem Ziel zum andern zu transportieren. Denn der Napf hat es so an sich, dass einen ein verfehlter Weg viele Kilometer weit weg vom Ziel führen kann. Lustenbergers haben auch schon verirrte Kinder aufgespürt und mit dem «berggängigen Allrad» abgeholt. Und bis heute kehren Dorfbewohner hier ein, wenn etwas «Heikles» geschrieben werden muss und ihnen selbst die Worte oder die Kenntnisse fehlen. «Mä mues äm Poscht-Romy alüüte», heisst es gerne. «Man muss sich gegenseitig helfen», ist Poscht-Romy überzeugt.

Von Liselotte Jost-Zürcher