• Unglaubliche 47 Jahre lang war Ruth Jäggi als Porzellanmalerin bei der Porzellanfabrik Langenthal tätig. Geschäftsführer René Trösch und Assistentin Meret Gurtner verabschieden die letzte Porzellanmalerin in der Geschichte der Porzellanfabrik Langenthal. · Bilder: Walter Ryser

01.09.2023
Langenthal

Sie hat allen «Porzi-Stürmen» getrotzt

Am 6. September endet eine unglaubliche Berufslaufbahn: An diesem Tag wird Ruth Jäggi in der Porzellanfabrik Langenthal zum letzten Mal Porzellan bemalen, nachdem sie diese Tätigkeit 47 Jahre lang im gleichen Betrieb ausgeübt hat. Dabei hat die 64-jährige Gutenburgerin sämtliche «Stürme», die das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten erlebt hat, überstanden. Zweimal wurde ihr gekündigt, doch Ruth Jäggi ist im Gegensatz zu vielen anderen, die das Unternehmen längst verlassen haben, noch immer da. «Die Arbeit, der Betrieb und die Atmosphäre in der Porzellanfabrik haben mir immer gefallen», begründet sie ihre aussergewöhnliche Treue zur «Porzi».

Wer heutzutage einen Beruf erlernt, der weiss bereits zu diesem Zeitpunkt, dass er diese Tätigkeit mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht bis zum En­de seiner Berufslaufbahn im gleichen Betrieb ausüben wird. Was früher noch häufiger der Fall war, ist mittlerweile undenkbar. Auch Ruth Jäggi hätte sich so etwas nicht vorstellen können, als sie 1976 in der Porzellanfabrik Langenthal ihre Ausbildung als Porzellanmalerin begann. 47 Jahre später ist die heute 64-jährige Gutenburgerin aber noch immer hier und bemalt Porzellan. Eine unglaubliche Berufslaufbahn, nicht zuletzt angesichts des grossen Wandels, den die Porzellanfabrik Langenthal in dieser Zeit durchgemacht hat.

Zweimal wurde ihr gekündigt
Doch Ruth Jäggi hat all den «Porzellan-Stürmen» getrotzt, die das Unternehmen erfasste, mit Entlassungen, Nachlassstundung, Umstrukturierungen, der Auslagerung der Produktion nach Tschechien und vielen weiteren Anpassungen. «Natürlich hatte auch ich einige Male Angst um meinen Job», blickt sie auf die ereignisreichen Zeiten des Unternehmens zurück. Zweimal sei ihr sogar gekündigt worden, erzählt sie. Dies sei während der Nachlassstundung gewesen, als sie bloss noch von Monat zu Monat eine Anstellung hatte. Viele Mitarbeitende haben in den letzten 47 Jahren die Porzellanfabrik verlassen, in der Chefetage gab es viele Wechsel – nur eines blieb stets gleich: Ruth Jäggi hielt die Stellung und bemalte weiterhin pflichtbewusst das Porzellan. «Es hat sich einfach so ergeben», sagt sie bloss dazu – auch ihr fehlen die Worte, die unglaubliche Berufslaufbahn zu beschreiben.
Angefangen hat alles mit einem Inserat im Anzeiger. Die Porzellanfabrik suchte Porzellanmaler-Lehrlinge. Ruth Jäggi absolvierte eine «Schnupperlehre». «Ich wollte einen kreativen Beruf erlernen, denn schon als Kind habe ich gerne gezeichnet oder Handarbeiten verrichtet», erzählt sie. Das Porzellanmalen hat ihr auf Anhieb gefallen, aber auch die spezielle «Künstler-Atmosphäre» in der damaligen «Porzi». «Das Material, die Formen und Farben haben mich begeistert. Porzellan ist ein edles Material. Damit etwas Kreatives herzustellen, fand ich stets etwas Schönes», schwärmt sie von ihrem Beruf als Porzellanmalerin.

Zehn Jahre um Akzeptanz gekämpft
Doch der Einstieg ins Berufsleben gestaltete sich für Ruth Jäggi nicht einfach, nein, man könnte ihn sogar als steinig bezeichnen. Denn zu jener Zeit war Porzellanmalen praktisch eine reine Männer-Domäne. Es habe rund zehn Jahre gedauert, bis sie von den etablierten und angesehenen Porzellanmalern akzeptiert und anerkannt worden sei, erinnert sie sich. Sie habe sich in dieser Zeit immer wieder beweisen müssen, vor allem, was Schnelligkeit und Kreativität anbelangt. Mittlerweile sind die Porzellanmaler alle verschwunden, nur noch Ruth Jäggi ist übriggeblieben. Nach ihrer Pensionierung wird es in Langenthal keine Porzellanmalerin mehr geben. Der Beruf kann in der Schweiz nicht mehr erlernt werden. Die Arbeit für die Porzellanfabrik Langenthal wird künftig von Malerinnen und Malern im Mutterhaus in Karlsbad (Tschechien) erledigt. Denn noch heute wird ein Grossteil des Porzellans von Hand bemalt. Ruth Jäggi hat in den 47 Jahren tausende von Tassen, Tellern, Krügen und anderen Porzellan-Gegenständen bemalt, die in die Welt hinaus verkauft wurden. Natürlich sei sie im Verlaufe ihres Lebens dem von ihr bemalten Porzellan immer wieder begegnet, auch auf Reisen in ferne Länder. Das sei oft ein spezielles Gefühl gewesen, bemerkt die Porzellanmalerin.

Liebe auf den zweiten Blick
Aber nicht immer gefiel ihr, was sie zu sehen bekam, denn auf die Motive auf dem Porzellan hatte Ruth Jäggi keinen Einfluss. «Nein, die künstlerische Freiheit als Porzellanmalerin war gering», sagt sie. Motive und Farben seien vorgegeben gewesen. Die Auftraggeber hätten diese selber erstellt oder von Künstlern ein Design erstellen lassen. «Zu Beginn meiner Berufslaufbahn verspürte ich oft den Drang, selber Kreationen zu entwerfen oder ein Motiv zu designen. Doch das durfte ich nicht, denn meine Tätigkeit war ganz klar eine Ausführende und nicht eine Gestalterische», gibt sie zu verstehen. Mit der Zeit habe sie sich dann gar nicht mehr gross Gedanken über die zu bemalenden Motive gemacht. «Zweifellos gab es schönere und weniger schöne Dekos», sagt sie bloss dazu.
Dazu zählt sie auch das wohl bekannteste «Porzi»-Deko «Bopla». Dieses habe ihr zu Beginn gar nicht gefallen, bemerkt Ruth Jäggi. «Aber mit dem Hype, der diese Linie begleitete, habe ich mich immer mehr mit dieser Stilrichtung identifiziert und Gefallen an dieser Deko gefunden.» In Zukunft wird sie sich gar keine Gedanken mehr über Porzellan-Dekorationen machen. Von einem weinenden Auge nach 47 Jahren will Ruth Jäggi aber nichts wissen. Für sie sei dieser Abschnitt abgeschlossen und es sei gut so, sagt sie. Den Pinsel lege sie nun definitiv weg, auch privat habe sie nicht im Sinn weiter zu malen. Für das Leben nach der «Porzi» habe sie noch keine grossen Pläne gemacht. Sie freue sich einfach darauf, dass sie nun weniger gebunden sei und das Leben ganz anders gestalten könne.
Mit der Pensionierung von Ruth Jäggi geht bei der Porzellanfabrik Langenthal ein weiteres geschichtsträchtiges Kapitel in der langen Firmengeschichte zu Ende. Aber bereits steht ein neues, interessantes Kapitel bevor, das der Porzellanfabrik weiter Aufschwung verleihen soll. Mehr dazu lesen Sie im Artikel unten.

Von Walter Ryser