• Grosse Freude: Marlise Fischer wurde an den Solothurner Filmtagen 2022 als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet · Bild: © Moduleplus

  • Hanspeter Müller-Drossaart hielt bei der Preisübergabe die Laudatio für Marlise Fischer. · Bild: © Moduleplus

  • 12. Februar 2009. Marlise Fischer im Dialog mit Reto Lang, ihrem einstigen Schüler im «alten» Stadttheater Langenthal. Gemeinsam haben sie das «Theater überLand» ins Leben gerufen. · Archivbild: Thomas Peter

  • 1. Dezember 2017: Öffentliche Probe für die Komödie «Cafeteria» von Franz Hohler in der Kantine der Hector Egger AG. Das Publikum konnte mitdiskutieren. · Archivbild: Thomas Peter

  • 16. April 2019: Probe zur Komödie «Alissa», mit Hauptdarsteller Urs Bihler und Marlise Fischer. · Archivbild: Thomas Peter

29.03.2022
Langenthal

Solothurner Filmpreisträgerin Marlise Fischer lebt und bebt für das «Theater überLand»

Marlise Fischer, Leiterin des «Theaters überLand» mit Sitz in Langenthal, ist eine brillante Schauspielerin mit 45-jähriger Theatererfahrung. An den Solothurner Filmtagen ist sie jetzt für ihre exzellent gespielte Grossmutter-Rolle im TV-Drama «Neumatt» als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet worden. Am 14. Mai steht sie bei der Uraufführung des Polit-Doku-Krimis «Die Geldwäscher» auf der Bühne des Langenthaler Stadttheaters.

Langenthal · Wer die inzwischen 69-jährige Marlise Fischer auf der Theaterbühne erlebt, ist beeindruckt von der Power-Frau. Sie interpretiert ihre ernsten wie auch lustigen Rollen mit prägnanter Stimme und subtiler Mimik so überzeugend, dass es ein Genuss ist, ihr zuzuschauen. Aufgetreten ist sie auf Bühnen in Bern, Luzern, Zürich, Chur, Frankfurt am Main, Ingolstadt, Hannover, Berlin – und mit dem «Theater überLand» seit 2008 stets auch im Stadttheater Langenthal. «Das Theater war immer meine Hauptbeschäftigung. In jungen Jahren wurde ich von der Comedia-Mediengewerkschaft ‹dell’Arte› und später vom Realismus geprägt. Die Comedia hat mich gelehrt, Unausgesprochenes zu suchen und umzusetzen. Der Realismus hat mich gelehrt, Texte genau unter die Lupe zu nehmen und hat mir in einem theatralischen Sinne ein politisches Verständnis gegeben», sagt Marlise Fischer, die neben dem Theater auch im Film, am TV und Radio zu geniessen war. Zudem hat sie von 2010 bis 2016 fünfmal als Regisseurin der Schlossspiele Jegenstorf geglänzt.

«Faszinierend und eindringlich»
Jetzt ist sie nicht für eine Theater-, sondern für eine Filmrolle ausgezeichnet worden. Dies an den Solothurner Filmtagen mit dem Prix Swissperform-Schauspielpreis (früher Schweizer Fernsehfilmpreis). Sie hat der Figur der an ihren Werten und ihrer Familie in turbulenten Zeiten festhaltenden Grossmutter Trudi Wyss in der SRF-Serie «Neumatt» «eine faszinierende und eindringliche Vitalität verliehen», so die Jury zum Preis für die beste Nebenrolle. Start der «Neumatt»-Dreharbeiten war der 25. August 2020. Die Ausstrahlung der ersten Staffel mit acht Folgen erfolgte im September 2021. «Ich habe drei Castings durchlaufen – wie alle Schauspielerinnen und Schauspieler», blickt sie zurück. Sie hatte mit der «Grossmutter»-Rolle «geliebäugelt» – und bekam sie. Marlise Fischer: «Für mich war das ein Abenteuer, war ich doch noch nie in einer Serie. Serie heisst lange Drehzeit. Ich habe das als sehr intensiv und herausfordernd erlebt, aber auch im Kontakt mit der ganzen Crew als schön und aufmerksam. In so einer Produktion muss jedes Rädchen, sprich alle Beteiligten, greifen. Für das Team bedeutet dies 12- bis 14-stündige Arbeitstage und ständige Präsenz. Vom ersten Satz über den Hosenknopf, der angenäht werden muss, bis zum Wetter, das stimmen muss – alles muss aufeinander abgestimmt werden. Deshalb habe ich grossen Respekt für alle am Set. Als besondere Situation kam die Pandemie dazu, die uns allen strikte Disziplin abverlangt hat.» Jetzt laufen die Dreharbeiten zur zweiten Staffel – leider ohne die «gestorbene» Grossmutter Trudi Wyss alias Marlise Fischer.

Bewerben oder umworben sein?
In ihrer langjährigen Karriere als Schauspielerin war Marlise Fischer mal mit festem Engagement an einem Theater tätig, mal war sie freischaffend unterwegs. Muss man sich jeweils bewerben oder wird man umworben? Die 69-Jährige: «Vorwiegend muss man sich bewerben. Manchmal ergeben sich Kontakte, die für kurze Zeit fortgesetzt werden. Diese sind aber beschränkt.»
Auf die Frage, ob ihr schauspielerisches Talent schon in ihrer Jugendzeit aufgefallen ist, antwortet die in Niederscherli wohnhafte Schauspielerin: «Meine Klassenlehrerin Frau Merz in der Sekundarschule im Monbijou Bern wollte immer, dass ich Gedichte und Geschichten vorlese, was mir Spass gemacht hat. Später besuchte unsere Schule zwei Schauspielerinnen des Stadttheaters bei einer Szene aus «Maria Stuart». Ich war derart fasziniert, dass es um mich geschehen war. Meine Eltern verlangten, dass ich einen seriösen Beruf erlerne. So ging ich drei Jahre in die Töchterhandelsschule Bern und war dann diplomierte Sekretärin. Danach habe ich in Lausanne in einer kleinen Buchhandlung gearbeitet. Ich wollte für die Schauspielschule sparen – doch dazu war das Salär zu klein. Ich kam zurück nach Bern, um in der ‹Schweizer Reisekasse – Reka› zu arbeiten. Als etwas Geld zusammen war, habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht. Das erste Ausbildungsjahr hatte ich angespart. Danach arbeitete ich jeweils am Sonntag in der Küche eines Restaurants im Bahnhof.»

16 Jahre am Stadttheater Bern
Prägend war für Marlise Fischer die Zeit von 1979 bis 1995, wo sie eines der meistbeschäftigten Ensemblemitglieder am Stadttheater Bern war. Die Vollblut-Schauspielerin erinnert sich: «Nach zwei Jahren mit sporadischen Engagements – ich fand damals einfach nichts – holte mich Regisseur David Esrig nach Bern. Mit ihm und seinem Ensemble habe ich meine Lehrjahre absolviert. Es war eine intensive und für mich prägende Zeit. Als Esrig Bern verliess, blieb ich. Die Zeiten im festen Engagement sind meistens arbeitsintensiv. Für mich waren es gute Jahre.»
Welches sind die grössten Unterschiede von damals zu heute auf den Bühnen, die die Welt bedeuten? Marlise Fischer: «Die Technik ist das Eine. Für mich war aber immer das Schauspielerische an sich wichtiger, weil dieses zeitlos ist und mich in einer Vorstellung immer noch tief anspricht.» Wie sieht es mit dem Erlernen neuer Rollen aus – und gibt es ein Rezept, eine allfällige Nervosität zu bekämpfen? Die an den Solothurner Filmtagen Ausgezeichnete: «Zuerst einmal lese ich immer wieder. Dann fange ich an zu lernen in der Meinung, dass ich Bescheid weiss. Während des Lernens kommt dann ganz viel ans Tageslicht, das ich zuerst gar nicht bemerkt habe. Das ist der Prozess ‹die Rolle und ich›, den ich sehr mag – und irgendwann kommt die Zeit, in der man den Kolleginnen und Kollegen zuhören, mit ihnen proben, die Regie integrieren will. Ich probe gerne, bin aber – wie alle – immer furchtbar nervös.»

Anekdote zu Gogols «Der Revisor»
Schauspielerinnen-Vorbilder habe sie «ganz viele», sagt Marlise Fischer, «aber alle aufzuzählen, würde zu weit führen.» Was auf der Theaterbühne alles passieren kann, erzählt sie anhand einer Anekdote: «In Gogols ‹Der Revisor› spielte ich Anna, die Frau des Gemeindevorstehers. Anna ist eine resolute, karrierebewusste Frau, die ihren Mann fest im Zügel hat. An einer Stelle muss Anna sagen: ‹Im Gegenteil Anton.› Voller Überzeugung und von Herzen habe ich in einer Vorstellung gesagt: ‹Im Gegenton Anteil.› Kurze Stille, danach lachte das ganze Theater laut. Nachdem ich realisiert hatte, was da gerade los war, musste ich mich kurz sammeln, das Lachen bändigen und mich voll konzentrieren.»
So oder so ist aus dem in einer kleinbürgerlichen Familie im Eisenbahnquartier am Stadtrand von Bern aufgewachsenen «Nesthäkchen» – der Vater war Grafiker bei den SBB, die Mutter kümmerte sich hingebungsvoll um die drei Töchter – eine gestandene Schauspielerin geworden. Sie und ihre beiden acht und neun Jahre älteren Schwestern hätten eine schöne Kindheit gehabt, wenngleich eine strenge Erziehung praktiziert worden sei.

Langenthals «Theater überLand»
2007 hat Marlise Fischer beschlossen, mit Reto Lang ein Autoren-Tournee-Theater, das «Theater überLand», für die deutschsprachige Schweiz aufzubauen. Dazu wurden weitere Fachleute aus dem Kolleginnen- und Kollegenkreis ins Boot geholt.
Seit 2008 ist das «Theater überLand» unterwegs – angefangen mit «Die Tote im Weiher». In 13 Jahren erfreute das Team das Publikum mit 16 Uraufführungen – alle im Stadttheater Langenthal –, bot 130 Vorstellungen und beglückte über 15 000 Zuschauer. Zu den Produktionen gehörten «Schiffbruch», «Es Läbe lang dr Gring am Bode u nie e Glogge ume Haus», «Der Tee der drei alten Damen», «Weder Glück no Gfeu», «Lööli-Show», «Die Besetzung», «Alissa» (die beiden Letzteren von Charles Lewins­ky), «Ds chlinere Übel» und «Dinner for one». Ein Highlight war 2018 die Komödie «Cafeteria» von Franz Hohler, wo sich Marlise Fischer als Bankangestellte nicht nur in die Herzen des Publikums spielte, sondern karrieremässig von der Angestellten der Cafeteria der Bank in die Chefetage kletterte. Köstlich dabei der mehrfache, jedoch vergebliche Versuch, die so gar nicht gefragten Linzer Törtchen an den Mann oder die Frau zu bringen. Dass die von Marlise Fischer genial gespielte Bankangestellte für die Kinder ausgerechnet ein Kasperli-Theater mit dem Titel «Der Banküberfall» inszenierte, war fürs Bankkader ein Schock, fürs Theaterpublikum ein Genuss.
Hat Autor Franz Hohler die «Linzer Törtchen» und den «Banküberfall» von sich aus so amüsant überzeichnet – oder hat Schauspielerin Marlise Fischer diese Szenen noch ausgeschmückt? «Olala. Das hat Franz alles so original geschrieben! Ich hätte mich nie getraut, ihm ins Handwerk zu pfuschen!», unterstreicht sie und schildert die Anfänge des «Theater überLand»: «Reto Lang war vor vielen, vielen Jahren einmal ein Schüler von mir. Danach haben wir uns aus den Augen verloren, bis er im Ballenberg inszenierte und mich fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, Landschaftstheater zu spielen. An einem lauen Sommerabend nach der Vorstellung sassen wir auf einer Bank und fanden, dass wir weiter zusammen arbeiten möchten und zwar mit neuen, heute geschriebenen Stücken, also Uraufführungen. Das war die ‹Zündung› fürs ‹Theater überLand›. Dass dann auch noch Marianne Weber-Peyer, Volker Dübener und Davina Siegenthaler Hugi eingestiegen sind, war ein Glücksfall. Mittlerweile hat uns Marianne Weber leider verlassen. Dafür ist Marianne Hauser Haupt seit gut einem Jahr mit und bei uns, eine geschätzte und wertvolle Kraft! Die Stadt Langenthal – und damit das Stadttheater – gibt uns die Möglichkeit zu produzieren, hier zu proben und unsere Uraufführungen zur Premiere zu bringen.»

Corona, «Vreneli», «Geldwäscher»
Im Februar/März 2020 mussten die Theater wegen Corona geschlossen werden. Inwieweit war das «Theater überLand» betroffen? Marlise Fischer: «Wir mussten eine Vorstellung von ‹Alissa› absagen – und die Premiere von ‹Vreneli› hat sich um ein Jahr verzögert. Im vergangenen Herbst/Winter mussten auch noch drei ‹Vreneli›-Vorstellungen abgesagt werden. Wir konnten nur in Langenthal und Hutt­wil auftreten, während die geplanten Auftritte in Niederbipp und Grasswil mangels Interesse und in Herzogenbuchsee wegen Erkrankungen abgesagt wurden. Es war für das Publikum und für uns eine schwierige Zeit. Das ‹Theater überLand› tritt nochmals mit ‹Vreneli› auf. Dies am 22., 24. und 29. April sowie am 1. Mai im Puppentheater Bern, am 15. und 16. September 2022 im Theater Alte Oele in Thun sowie am 22. und 23. April 2023 im Bernhard-Theater Zürich. Am 14. Mai 2022 bietet das ‹Theater überLand› im Stadttheater Langenthal eine weitere Uraufführung – jene mit dem Polit-Doku-Krimi ‹Die Geldwäscher› von Autor Peter Beutler. Regie führt Reto Lang, der inzwischen pensionierte langjährige hiesige Theaterleiter. Mit dabei sind Marlise Fischer und Stefan Gubser. Ebenfalls dabei ist Corinne Sutter, Karikaturistin. Für die Kostüme verantwortlich ist – einmal mehr – Brigitte Wolf Lang. Worauf darf sich das Publikum freuen? Die Protagonistin: «Es geht um Geldwäsche, Mordversuche und Einschüchterung, das FBI, eine Schweizer Bank und einen Whistleblower. Das Thema ist bitterernst und die Problematik höchst brisant. Die Verrenkungen der Geldwäscher sind so simpel und grotesk, dass ein Lachen manchmal hilfreich sein kann.»
Marlise Fischer freut sich auf diese Uraufführung im renovierten, sanierten, über 100-jährigen Stadttheater Langenthal, in dem sie gerne auftritt. «Es ist im Vergleich zu anderen Bühnen absolut konkurrenzfähig. Dies technisch und personell. Neben der neuen, immer wieder überraschenden Technik und neben den neuen Garderoben geniesse ich den Bühnenboden. Früher war da ein Spannteppich drauf. Das war zwar manchmal ‹gäbig›, aber jetzt ‹brettert› es halt besser. Ich kann das Gefühl nicht recht beschreiben, aber es ist ein Unterschied.»

Noch weitere Projekte im Köcher
«Natürlich hoffe ich, dass das ‹Theater überLand› nach wie vor das Publikum mit seinen Uraufführungen begeistern kann», sagt Marlise Fischer und ergänzt, dass nach den Geldwäschern bereits weitere Projekte im Köcher und Auftritte geplant sind: «Das Programm der Spielzeit 2022/23 des Stadttheaters Langenthal wird erst Mitte Juni veröffentlicht. Etwas kann ich schon verraten: ‹Vreneli› wird sicher noch einmal aufgeführt. Auch sind wir mit Pedro Lenz im Kontakt für ein Stück von ihm. Er ist schon am Schreiben. Weil Stücke nicht in zwei Wochen geschrieben werden, sind weitere Kontakte zu Autorinnen und Autoren geknüpft.» Marlise Fischer bleibt also weiterhin «voll im Saft» und sagt zu ihrem «Ruhestand»: «Wenn dann die Zeit reif ist, warten alle Bücher, die noch nicht gelesen sind, und alle CDs, die noch nicht genossen sind – und ich werde auch selbst mehr ins Theater gehen, was paradoxerweise bei Schauspielern immer zu kurz kommt. Zudem werde ich wieder mehr Besuch haben, gemütlich zusammensitzen, in langen Gesprächen eine ideale Welt entstehen lassen – und vielleicht auch mal mit meinen Händen arbeiten. Wer weiss …».

Von Hans Mathys