Soul-Show und Swingtime
An den Langenthaler Jazztagen gastierte Soulsängerin Nicole Bernegger im bis auf den letzten Platz besetzten Saal des katholischen Kirchgemeindehauses und begeisterte das Publikum ebenso wie Raphael Jost & Lot of Strings, der zum Abschluss der 33. Jazz-Tage gleich an zwei Konzertabenden gastierte.
Nicole Bernegger: Diese Sängerin ist wie eine Naturgewalt, verbunden mit ihrem leidenschaftlichen Auftreten und der erstklassigen Performance. Mit ihrer Stimme erreicht sie Intervallsprünge über mehrere Oktaven. Der Vergleich mit der verstorbenen Sängerin Janis Joplin ist nicht zu weit hergeholt. Hingebungsvoll, mit jeder Faser ihres Körpers, interpretiert Nicole Bernegger die emotionalen Momente. Immer in Bewegung, voller Leidenschaft und Energie verausgabt sich die 46-Jährige bis nahezu zur Ekstase. Ihr eigener Sound zwischen treibenden Rhythmen, Sexiness, frechen Shouts und melancholischen Balladen erinnert an durchtanzte Nächte. Überzeugend die persönlichen, ruhigen Nummern, die von Liebesschmerz und Alleinsein erzählen.
Geboren für die Bühne
«Wir zelebrieren unseren Sound, laut, wild und dann wieder einfühlsam wie der Titeltrack ‹Back to you›, er war wie ein Motor für das gleichnamige Album», erklärt die Soulqueen. Produziert von Nicole Bernegger entstand ein Sound «zum Anfassen», authentisch mit viel Gefühl und Herzblut. Sie hat sich musikalisch weiterentwickelt und kombiniert den erdigen Sound des Southern Soul mit dem poppigen Stil des einflussreichen Motown-Labels aus Detroit.
Zusammen mit ihrer hochkarätigen Band und den beiden Backgroundsängerinnen Steffi Klär und Nza Smith erobert sie das Langenthaler Publikum von Beginn an. Nahtlos spielen Stefan Strittmatter (Gitarre), Yves de Groot (Hammond), Marco Nenniger (Bass)und Florian Haas Schneider (Drums)die Übergänge von einer Nummer zur andern. Massgeschneidert auf die Powerlady «The Boss», ein Song, den Nicole Bernegger in musikalischer Zwiesprache mit Gitarrist Stefan Strittmatter interpretiert und dafür Begeisterungsstürme erntet. Mit «Love Indeed» folgt verträumte Soulmusik. «Dieser Song, ist mir eines Nachts wie zugeflogen, als einmal alles ruhig war zuhause», erzählt die dreifache Mutter, die mit ihrem Mann in Birsfelden lebt. Am Schluss des Konzerts eine Show der Soulqueen, als sie «Don’t stay away» singt, sich zur Band dreht, mit laszivem Hüftschwung im schwarzen Lederrock und High Heels tanzt, in der Hand ein Frottiertuch und mit einer Orkanstimme Gänsehautfeeling verbreitet. Der Saal kocht, Beifallsstürme und Standing Ovations. «Langenthal, ihr macht mich sprachlos. Ich nehme euch im Herzen mit auf Tour, ganz bestimmt», zeigt sich die Sängerin bewegt.
Nicole – The Voice
National bekannt wurde Nicole Bernegger 2013 als Siegerin der Castingshow «The Voice of Switzerland». Nach dem Konzert erzählt sie gegenüber dem «Unter-Emmentaler», dass sie schon als Mädchen zusammen mit ihrer Grossmutter gesungen hat. Als 14-Jährige erhielt sie Unterricht bei einer Opernsängerin, die ihr drei Jahre vorwiegend Gesangstechnik gelehrt hat. Angesprochen auf ihre High Heels meint sie lachend, dass sie zwar leidet, aber diese trägt, bis die Tournee fertig ist: Die sehen doch einfach toll aus.
«I’ve got the world on a string»
Welcher Jazzstandard als dieser Klassiker, einst für den New Yorker Cotton Club geschrieben, würde besser zu dem zehnköpfigen Streichorchester passen, das mit Raphael Jost auftrat. Er präsentiert sein eigens für die Langenthaler Jazztage arrangierte Programm gleich an zwei Konzerten. Eröffnet wird die Premiere mit «Pennies from Heaven», einem populären Song aus dem gleichnamigen Film mit Bing Crosby im Jahr 1936. Das virtuose Trompetensolo von Bastien Rieser erinnert an die Version mit Louis Armstrong, welche zu einem Jazzstandard wurde. Raphael Jost darf getrost als Ausnahmetalent bezeichnet werden. Sein virtuoses Klavierspiel, seine Souplesse und Sicherheit verblüffen. Hinzu kommt seine warme, wandlungsfähige Stimme. Schon früh spielte Raphael Jost die Songs von Michael Jackson oder Elton John auf seinem Klavier. «Die Faszination für den Jazz und das Singen hingegen hat der britische
Singer-Songwriter und Pianist Jamie Cullum geweckt. Als bestes Bachelorprojekt spielte die Band 2011 am
Montreux Jazz Festival.
Premiere mit Streichorchester
Zusammen mit seinem Quintett, der aussergewöhnlichen Kombination mit zehn Streichern und der Sängerin Stefanie Suhner, präsentiert der junge Musiker ein mitreissendes Programm gespickt mit packenden Swing-Tunes, sanften Balladen, coolen Beats und viel Groove. Locker und humorvoll kommuniziert Raphael Jost mit dem Publikum.
Mit der Interpretation von «Nature Boy» begann Nat King Coles Welterfolg als Sänger. Komponist des ersten One-Hit-Wonders war jedoch Eden Ahbez, der 1947 im Lincoln Theatre in Los Angeles Nat King Cole seine Komposition schenken wollte, die er auf einem zusammengerollten Stück Papier skizziert hatte. Der Türsteher liess den obdachlosen Mann nicht herein. Aber ein Bühnenarbeiter übergab die Notenblätter an Cole, der das Potenzial der sentimentalen Melodie und dem Text erkannte. Über Nacht wurde seine Aufnahme zum Millionenseller. Raphael Jost singt den melancholischen Song begleitet von leicht arabesken Streichern und Hörnern. Mit rhythmischen Drive spielt Drummer Luke Tomlinson den energetischen Improvisationspart, unterstützt von Raphael Walser am Kontrabass.
Als Special Guest Stefanie Suhner die Bühne betritt, wird sie von Raphael Jost mit Hello Steffi begrüsst. Sie überzeugt im beschwingten Duett mit ihrer Sopranstimme. Die vielseitige Sängerin singt unter anderem bei der Swiss Army Big Band und hat auf den letzten beiden Tourneen von Udo Jürgens mitgewirkt. Mit den Strings interpretiert sie den verjazzten Popsong «Easy on me» von Adele, wunderschön arrangiert von Raphael Jost. Ebenso gefühlvoll ertönt «I’ve got you under my skin», vor allem bekannt geworden durch Frank Sinatra. Mit einem dynamischen Tenorsaxsolo beeindruckt Christoph Grab, einer der grossen Schweizer Jazzmusiker. Nach «Shape of you», einem erfolgreichen Song von Ed Sheeran, folgt «Big Yellow Taxi», komponiert von der kanadischen Singer/Songwriterin Joni Mitchell. Auffällig das wunderbare Stringsolo von Mischa Tapernoux, einem ehemaligen Klavierschüler von Raphael Jost, den er zum Master für Jazzgeige motivieren konnte. Mit der Aufforderung «Come fly with me» liess er die Besucherinnen und Besucher zum Abschluss auf klingenden Wolken schweben.
Von Brigitte Meier