Statthalter, Jurist, Buchautor – und manchmal beinahe Viehdoktor
Marc Häusler war acht Jahre lang als Regierungsstatthalter des Verwaltungskreises Oberaargau tätig. Der 45-jährige Familienvater blickt auf eine interessante Zeit zurück. Zweifellos wurde diese vom Grossbrand in der Kirche Herzogenbuchsee an Heiligabend im Jahr 2019 geprägt, rückblickend hat Marc Häusler aber nicht nur negative Erinnerungen an diesen emotionalen Höhepunkt seiner Karriere. Mit dem «Unter-Emmentaler» blickt er im Monatsinterview aber nicht nur auf seine letzte Tätigkeit zurück, sondern gibt auch einen interessanten Einblick in seinen neuen Job als Verwaltungsrichter des Kantons Bern. Auch begründet er, wieso der Juristenjob für ihn keine trockene Angelegenheit ist.
Oberaargau · Leroy Ryser im Gespräch mit Marc Häusler, ehemaliger Regierungsstatthalter und aktuell Richter am Verwaltungsgericht.
Marc Häusler, seit Jahresbeginn sind Sie nicht mehr als Regierungsstatthalter tätig. Das war eine exponierte Position – kann man deshalb behaupten, dass es um Ihre Person ruhiger geworden ist, oder sogar noch ruhiger wird?
Marc Häusler: Ja, das hat durchaus etwas. Durch die Tatsache, dass ich noch ein Buch veröffentlicht habe, war ich trotzdem ab und zu in den Medien, aber es ist tatsächlich so. Auch meine Kinder haben mich mittlerweile gefragt, ob ich denn nun jeden Abend immer zu Hause sei (lacht). Sie nehmen das sehr positiv zur Kenntnis.
Also darf man in Ihrem neuen Job erwarten, dass Sie auch künftig weniger in der Öffentlichkeit sind?
Das ist sicherlich so. Ich werde noch das eine oder andere Amt ausführen, so helfe ich beispielsweise beim Oberaargauischen Schwingfest 2025 mit, aber grundsätzlich kann man sagen, dass die Arbeit eine andere und weniger im Fokus der Öffentlichkeit ist.
Und dennoch: In der letzten Zeit waren Sie einerseits durch Ihren Jobwechsel und andererseits auch als Autor immer mal wieder in den Medien. Beginnen wir bei Ihrem Buch, welches Sie geschrieben haben. Erzählen Sie uns von «Jakobsmuschel mit Erdbeeren».
Im Jahr 2009 bin ich den Jakobsweg gegangen und habe dort zahlreiche spannende Begegnungen in einem Tagebuch festgehalten. Mir wurde dann rasch klar, dass ich daraus gerne einen Roman schreiben würde. Mein Gedanke war in diesem Zusammenhang, dass ich dies tun würde, wenn ich einmal pensioniert bin. Und dann kam Corona sowie der Lockdown, und weil ein grosser Teil meiner Arbeit das Besuchen von Anlässen war, hatte ich mehr freie Zeit. Ich bin dann viel und oft gewandert, meistens zwischen Riedtwil und dem Mutzbachfall, dort habe ich viel Zeit verbracht.
Dort spielt ja dann auch ein Teil Ihrer Geschichte, der andere Teil hängt mit Ihren Erlebnissen am Jakobsweg zusammen.
Richtig. Eigentlich wollte ich zuerst nur die Geschichten vom Jakobsweg erzählen und habe diese auf etwa 200 Seiten herausgearbeitet. Und kurz darauf traf ich dann auch Daniel Gaberell am Mutzbachfall, wo ich mich letztlich traute, ihn zu fragen, ob er mein Buch durchlesen und beurteilen würde. Er und ein professioneller Literaturkritiker überbrachten mir dann aber zuerst ein ernüchterndes Urteil, dass die Geschichte auf diese Weise kaum publizierbar sei, weil es zu viele versteckte Botschaften habe. Deshalb musste ich mein Werk in der Folge irgendwie überarbeiten.
Wie passierte dies?
Ich habe mich in dieser Zeit oft mit einem guten Freund unterhalten und irgendwie kamen wir auf die Kurzgeschichte von Gotthelf: «Das Erdbeeri Mareili». Ich habe das dann gelesen und plötzlich war mir klar, dass ich dies perfekt mit meinem Buch verbinden könnte. Aus dieser Idee ist entstanden, dass sich die beiden Hauptfiguren Michael und Marie zufällig beim Mutzbachfall treffen und Michael Marie aus seinem Erlebnistagebuch vorliest, welches er während seiner mutmasslichen Wanderung auf dem Jakobsweg schrieb. Weil Marie zudem sehr wissbegierig ist und oft nachfragte, konnte ich die versteckten Botschaften in der Folge besser herausarbeiten.
Die Geschichte wurde also neu geschrieben.
Richtig. Und was mir in dem Moment noch gar nicht klar war: Als sie für mich fertig war, begann die Arbeit erst. Ich habe eine Lektorin beschäftigt und mein Produkt mit ihr gemeinsam mit viel Engagement überarbeitet und korrigiert. Teilweise haben wir über einzelnen Sätzen gebrütet, was ich zuvor unterschätzt hatte. Vor allem war es mir ein Bedürfnis, das Buch fertig zu schreiben, bevor ich meinen Jobwechsel vollziehe. Das hat mir dann ein paar stressige Tage eingebracht.
Aber wieso gerade ein Buch – das scheint mir kein einfacher Start in ein neues oder gar unbekanntes Metier. Sie hätten ja auch mit einer Kolumne beginnen können ...
(Lacht) Tatsächlich habe auch ich mich gefragt, ob das eine gute Idee ist, oder ob es etwas grössenwahnsinnig ist, einfach so ein Buch zu veröffentlichen. Aber zwischenzeitlich haben viele Personen gesagt, dass man das so veröffentlichen kann und mir ist es wichtig, zwischendurch auch meine Komfortzone zu verlassen. Das Buch handelt ebenfalls von Mut und soll auch zum Denken anregen. Und deshalb habe ich es dann veröffentlicht.
Wer ein Buch schreibt, der muss zwangsläufig ein Flair fürs Schreiben haben. Wie haben Sie dieses entdeckt?
Ich habe schon immer gerne geschrieben. In meiner Schulzeit zwar noch nicht wirklich gut, aber als Jurist habe ich dann gelernt, strukturiert und lesbar zu schreiben. Zugleich bin ich ein Mensch, der schon immer eine grosse Fantasie hatte. Und während man im Beruf des Juristen an Sachzwänge gebunden ist, kann man beim Schreiben eines Buches auch Dinge erfinden und kreativer sein. Und nicht zuletzt hatte ich an gewissen Tagen aufgrund von Corona einen gewissen Frust in mir. Das Schreiben war in dieser Phase so etwas wie eine Flucht vom Alltag.
Wie waren die Reaktionen auf das Buch?
Bisher ist die Anzahl Reaktionen noch eher bescheiden, schlechte Reaktionen hatte ich aber noch gar keine. Es gab vereinzelt Menschen, die sich bei mir gemeldet haben, beispielsweise auch über die sozialen Medien. Da habe ich Meinungen und Beiträge von Menschen gesehen und erhalten, die ich nicht kenne und die mich sehr gefreut und auch überrascht haben. Letztlich geht es in meinem Buch auch darum, zum Denken anzuregen und dass das bei gewissen Lesern geklappt hat, freut mich sehr. Es gab Menschen, die sich mit meiner Geschichte oder Teilen daraus identifizieren konnten und das finde ich toll.
Nach dem Interview im Restaurant Oschwand kommt die Wirtin Alessandra Ryser-Schöni auf Marc Häusler zu und bittet ihn, ihr Exemplar von «Jakobsmuschel mit Erdbeeren» zu signieren. Marc Häusler ist begeistert und fragt nach, ob sie schon begonnen habe. Die Wirtin meint, dass sie bald fertig sei und die Geschichte bisher gerne gelesen habe, weil sie sehr interessant sei. Später, als das Bild zum Artikel entsteht, sagt Marc Häusler lachend, dass dies nicht etwa geplant gewesen sei. Er habe nicht einmal gewusst, dass sie das Buch habe. Begeistert sagt er: «Genau solche Momente sind dann besonders schön.»
Ihr neuer Job am Verwaltungsgericht dürfte eine Menge Stoff für ein neues Buch bieten. Lesen wir also schon bald einen Krimi oder einen Thriller aus Ihrer Feder?
Tatsächlich gäbe es viel Spannendes zu berichten, aber im Vordergrund würde sicherlich eine Fortsetzung der Geschichte von Marie und Michael stehen. Ideen vorhanden, aber hier stellt sich dann auch die Frage, ob das entsprechende Interesse der Öffentlichkeit vorhanden wäre. Dieses ist bisher noch verhalten, falls es aber etwas anziehen würde, kann ich gut sagen: Wieso nicht. Letztlich ist es zwar schon so, dass Schreiben mitunter egoistische Gründe hat, weil man es für sich selbst tut, zugleich wollte ich aber auch, dass das Buch gelesen wird und die Menschen erfreut oder inspiriert.
Das klingt, als hätten Sie sich mehr Reaktionen erhofft.
Um ehrlich zu sein: Wie gut das Buch ist, ist schwierig einzuschätzen. Um eine fachkritische Meinung zu erhalten, müsste das Buch wahrscheinlich von einer grossen Zeitung im Feuilleton besprochen werden, was eher unrealistisch ist. Beim ersten Versuch war ich selbst noch etwas unsicher, mittlerweile habe ich an diesem Werk aber grosse Freude und bin zufrieden. Mich freuen auch die vielen positiven und anerkennenden Rückmeldungen aus meinem Bekanntenkreis. Und auch die Figuren, die Marie beispielsweise, die ich von Gotthelf in die Gegenwart holen konnte, habe ich sehr ins Herz geschlossen. Daher ist es nicht auszuschliessen, dass ich noch ein zweites Buch schreiben werde. Schliesslich ist es beim Schreiben möglich, dass man durch seine Figuren quasi ein zweites Leben «fremderleben» kann. Das ist schön. Aber jetzt schreibe ich auch berufsbedingt wieder etwas mehr als früher, sodass ich nicht weiss, ob ich dann in meiner Freizeit auch noch so viel schreiben möchte.
Sie sprechen Ihren Beruf und damit auch Ihren Jobwechsel an, den Sie zum Jahresstart vollzogen haben. Sie blicken auf acht Jahre als Regierungsstatthalter im Oberaargau zurück. Woran erinnern Sie sich aus dieser Zeit?
Ich habe zahlreiche schöne Erinnerungen, beispielsweise an Momente, in denen in der Region etwas Grosses über die Bühne ging, an dem ich mitarbeiten durfte. So gab es beispielsweise das Jodlerfest in Wangen an der Aare, welches ich in dieser Zeit genies-sen durfte.
Auch gab es sehr viele Gelegenheiten, Menschen zu helfen. So durfte ich beispielsweise oft bei der Suche nach einer Lösung für ein Problem Unterstützung bieten. Und ausserdem hatten wir auf dem Statthalteramt ein wirklich tolles Team, mit welchem wir Prozesserneuerungen, Umstrukturierungen oder Veränderungen rund um die Digitalisierung erleben konnten.
Daneben dürfte vor allem der Brand der Kirche in Herzogenbuchsee an Heiligabend prägend gewesen sein.
Das stimmt, tatsächlich war das ein sehr emotionaler Moment. Ein Kirchenbrand an Heiligabend – da waren natürlich auch die Medien sehr schnell auf dem Platz. Selbstverständlich bin ich für solche Momente geschult worden, zweifellos war das aber ein spezielles Ereignis. Dass rückblickend niemand verletzt worden ist und dass die Zusammenarbeit und die Solidarität sehr gross war, lässt aber auch positive Aspekte zu. Beispielsweise hat der in der Nähe wohnende Bauer ständig für warme Verpflegung gesorgt, das Pub hat Getränke geliefert. Der Zusammenhalt hat mich begeistert.
Vermissen Sie auch Dinge aus Ihrem alten Job? Oder war es sogar einfach, sich davon zu trennen?
(Überlegt lange) Es ist überraschend, wie schnell ich mich vom vorherigen Job lösen konnte. Ich gehe in meiner neuen Aufgabe auf, habe extrem viel gelernt und das Arbeiten ist ganz anders. Heute, nach vier Monaten, vermisse ich meinen alten Job nicht. Eher die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte.
Aber mein neuer Job gefällt mir sehr – so wie ich auch den alten mit grosser Begeisterung ausgefüllt habe.
Erzählen Sie uns davon – Sie arbeiten mittlerweile als Richter beim Verwaltungsgericht. Was tun Sie?
Grundsätzlich entscheiden wir bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem öffentlichen Recht. Und zwar vom Steuerrecht, über Ausländer- und Sozialhilferecht, Gemeinderecht bis zum Baurecht, in welchem ich vor allem tätig bin.
Was genau ist denn Ihre Aufgabe?
Meistens ist es so, dass wir in einem Dreierverbund ein Urteil fällen. Davor ist es nötig, dass wir uns in die entsprechenden Gebiete sehr tief einlesen. Die Qualität der Arbeit ist hier sehr wichtig, weil nach uns nur noch das Bundesgericht kommt. So gibt es dann viele Schreibarbeiten zu erledigen, allgemein ist es so ein ganz anderes Arbeiten, als noch als Statthalter. Dort war mein Arbeitstag von Sitzungen dominiert. Im Moment habe ich kaum Telefonanrufe und höchstens zwei oder drei E-Mails, die ich bearbeiten muss. Ich kann mich voll und ganz in ein Thema vertiefen, und das gefällt mir besonders.
Juristische Arbeit ist für aussenstehende eine trockene Angelegenheit. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Tatsächlich dürfen wir ein sehr breites Spektrum abdecken. Aktuell beschäftigen wir uns beispielsweise mit der Frage, ob man für das Aufstellen von 5G-Antennen ein ordentliches Bauverfahren mit Baugesuch durchlaufen muss oder nicht. Vor einigen Wochen hingegen musste ich mich damit beschäftigen, ob ein Bauer die Untersuchung seiner Kuh bezahlen muss, weil an einer Viehschau ein Euter-Ödem festgestellt wurde. Und genau deshalb ist die juristische Arbeit nicht trocken oder langweilig. Ich darf quasi Vieh-arzt und Physiker zeitgleich sein.
Als Richter müssen Sie zwischen Recht und Unrecht entscheiden. Wie stark beschäftigt Sie anschliessend ein gefälltes Urteil? Belastet es Sie psychisch auch im Privatleben?
Einerseits ist es so, dass wir solche Urteile wie die oben genannten nicht alleine, sondern in der Regel zu dritt fällen. Das verteilt die Verantwortung etwas. Andererseits entscheidet das Verwaltungsgericht auch darüber, ob Menschen zu Recht in Ausschaffungshaft genommen wurden. Solche Schicksale können einem dann tatsächlich etwas näher gehen. Es ist nicht so, dass mich dieser Job nach meiner Arbeit besonders stark beschäftigen würde, aber von der einen auf die andere Minute kann ich meine Arbeit schon nicht immer ablegen und vergessen.
Die ersten 100 Tage im Amt haben Sie hinter sich. Was hat Sie am meisten erstaunt oder überrascht?
Ich bin überrascht, wie viel ich selbst operativ tätig bin, insbesondere beim Verfassen von Urteilen. Ich kann wirklich mitarbeiten und weiss nach einem anstrengenden Tag, wie viel ich geleistet habe. Ausserdem ist der Job sehr interessant, breitgefächert und dennoch habe ich die Möglichkeit, mich zu spezialisieren oder ein Thema wirklich bis in die Tiefe zu studieren. Bei einem Urteil wird immer eine hohe Qualität und die Richtigkeit dessen vorausgesetzt, was man entscheidet.
Blicken wir nun noch voraus: Als Regierungsstatthalter sagten Sie einst, dass Sie diesen Job nicht bis zur Pensionierung machen wollen und ein Wechsel quasi die logische Konsequenz war. Wie sieht das in Ihrem neuen Job aus?
Es gibt viele, die seit 20 Jahren an diesem Ort arbeiten und das weiterhin gerne tun. Auch ich kann mir das heute vorstellen, dass ich noch lange dort arbeiten werde.
Von Leroy Ryser