Steht im Dezember in der Marktgasse der weltgrösste Weihnachtsbaum?
Was ist zu tun, um die Attraktivität Langenthals als Einkaufsort zu steigern? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit letztem Herbst eine elfköpfige Arbeitsgruppe. An einem Informationsanlass wurde eine erste Zwischenbilanz gezogen und wurden mögliche Massnahmen vorgestellt. Durchaus möglich, dass im Dezember, während der Adventszeit, in der Marktgasse der weltgrösste Weihnachtsbaum zu bewundern sein wird …
Die Digitalisierung, der Onlinehandel und der Einkaufstourismus machen dem hiesigen Detailhandel zu schaffen. Betroffen davon sind fast sämtliche Kleinstädte in der Schweiz, auch Langenthal. Schon seit mehreren Wochen stehen mitten im Ortszentrum von Langenthal Ladenlokale leer, und in fast regelmässigen Abständen kommt ein weiteres, leeres Ladenlokal dazu. Dieser Entwicklung wollte man bei der Stadtvereinigung Langenthal nicht länger tatenlos zusehen. Letzten Herbst wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, in der auch Vertreter des Gewerbevereins und der Politik Einsitz nahmen. Dazu holte man sich externe Hilfe und engagierte Thomas Bretscher, Inhaber der Firma Retail Impulse GmbH in Basel, als Leiter des Projekts «z’Langetu – Märitgass 2020».
Ziel der elfköpfigen Arbeitsgruppe ist es, dem «Lädelisterben» Einhalt zu gebieten, Langenthal als Einkaufsort zu stärken und attraktiver zu machen. Dabei lege man den Fokus prioritär auf die Marktgasse, betonte Thomas Bretscher an einer gut besuchten Infoveranstaltung in der Alten Mühle. «Wenn diese Strasse funktioniert, dann strahlt dies gegen aussen, in andere Quartiere und weit über die Stadt hinaus», ist der Projektleiter überzeugt, der von entscheidenden 300 Metern für die Zukunft der Stadt spricht. «Diese Strasse muss funktionieren, dann entsteht hier eine Dynamik, die vieles in Bewegung setzt», betonte Bretscher.
Zalando schickt täglich 30 000 Pakete
Gleichzeitig machte er den Anwesenden Mut und sprach davon, dass Langenthal als Zentrumsstadt grosse Chancen habe. Ob diese Chancen alleine beim Detailhandel liegen würden, wage er jedoch zu bezweifeln. Es brauche auch in Zukunft den Detailhandel, aber heute gehe es dem Besucher in erster Linie um Aufenthaltsqualität und Unterhaltung. Hier gelte es den entscheidenden Hebel anzusetzen und Langenthal als Aufenthaltsstadt mit interessanten Angeboten zu etablieren. Man müsse die eigenen Chancen entschlossen wahrnehmen, forderte er die Anwesenden auf. Es nütze nichts, ständig über die fortschreitende Digitalisierung, den boomenden Onlinehandel und den beliebten Einkaufstourismus zu lamentieren. «Das sind Dinge, die nun einmal da sind und sich nicht mehr ändern lassen, im Gegenteil, dieser Trend wird weiter zunehmen und zwar rasant», machte Thomas Bretscher dem örtlichen Detailhandel sowie dem Gewerbe wenig Hoffnung auf eine Trendwende.
Mit beeindruckenden Zahlen und Fakten konnte der Projektleiter seine Aussagen untermalen. So habe der Onlinehandel in der Schweiz letztes Jahr bereits 7,8 Milliarden Franken generiert. Das entspreche einer Steigerung von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. «Alleine in den letzten drei Jahren hat der Detailhandel in der Schweiz drei Millionen Franken Umsatz verloren», fügte er hinzu. Der Online-Gigant Zalando versende täglich 30 000 Pakete in die Schweiz und habe letztes Jahr einen Umsatz in der Schweiz von 534 Millionen Franken gemacht. Im ersten Quartal 2017 habe Zalando in der Schweiz ein sattes Wachstum von 24 Prozent verzeichnet. Aber auch der Einkaufstourismus werde noch zunehmen, entstünden doch in der Schweiz (Ebikon) und im grenznahen Ausland (Weil am Rhein, De) weitere grosse und attraktive Einkaufs-, Erlebnis- und Shoppingcenter.
Dennoch ist man in der Arbeitsgruppe der Überzeugung, dass mit geeigneten Massnahmen Gegensteuer gegeben werden kann. Eine wichtige Rolle spiele dabei auch die lokale Politik. Stadtpräsident Reto Müller, Mitglied der Arbeitsgruppe, versicherte, dass die Stadt ein Interesse daran habe, dass es dem örtlichen Handel und dem Gewerbe gut gehe. Die Behörden seien mitverantwortlich für die Attraktivierung des öffentlichen Raums, und man sei von Seiten der Stadtentwicklung daran interessiert, Nutzungslücken zu schliessen, betonte Müller.
Fehlende Sitzbänke, Boulevard-Gastronomie und mehr Service
Entscheidend für den Stadtpräsidenten ist jedoch die Beantwortung gewisser Fragen. «Sind wir bereit, uns aktiv einzusetzen und uns zu bewegen? Die Zeit, in denen jeder Chrämer sein eigenes Gärtli bewirtschaften und damit überleben konnte, sind vorbei. Sind wir bereit, uns zusammenzuschliessen und gemeinsam im Markt positiv aufzutreten?», fragte er die Anwesenden. Die Arbeitsgruppe sei dazu bereit, betonte der Stadtpräsident und bekam Unterstützung von Thomas Bretscher, der das Gremium für die gute Stimmung, den Willen und die Bereitschaft, etwas verändern zu wollen, lobte.
Aufgrund zahlreicher Abklärungen und Workshops habe die Arbeitsgruppe mittlerweile 13 Chancen für Langenthal eruiert. Bretscher betonte, dass es sich hier um Ideen und Vorschläge handle, die es weiter zu verfolgen gebe und die allenfalls zu konkreten Massnahmen führen würden. «Arbeiten Sie am Service-Gedanken und bieten Sie Home-Service an», erläuterte der Projektleiter einen der Vorschläge. Man müsse innovativ und der Konkurrenz einen Schritt voraus sein, beispielsweise, dass man Parkuhren ohne Bargeld, mit Karten, bezahlen könne. «Wo kann man in Langenthal Elektrofahrzeuge aufladen», fragte Thomas Bretscher weiter. Die Anbieter in der Marktgasse müssten alle über eine Top-Webseite verfügen, wies er auf ein weiteres Manko hin. «Die Marktgasse braucht zudem eine gute Boulevard-Gastronomie, die zusätzliche Frequenz generiert», hat man weiter erkannt. Gute Sitzgelegenheiten («Bänkli») seien in der Marktgasse ebenfalls Mangelware. «Kommunizieren sie besser und häufiger, nutzen sie dazu die Social-Media-Kanäle», fuhr Thomas Bretscher fort und forderte die Langenthaler auf: «Machen Sie etwas, das sie absolut einzigartig macht und dadurch Leute aus der ganzen Schweiz in die Stadt lockt. Stellen Sie doch nächsten Dezember während der Adventszeit den weltweit grössten, mindestens 45 Meter hohen Weihnachtsbaum in die Marktgasse.»
Für den Projektleiter von «z’Langetu – Märitgass 2020» gibt es deshalb nur ein Fazit: «Fangen Sie an zu bewegen, sonst werden Sie bewegt», schloss er seine Ausführungen. Der weitere «Fahrplan» sieht vor, dass bis Ende 2018 alle Massnahmen definiert sind. Anschliessend folgt die Umsetzungsphase, die bis 2020 dauern und das Projekt abschliessen soll.
Von Walter Ryser