Stiller Abschied vom «Rössli»
Fast 20 Jahre hat Mathilde Minder das Rössli in Huttwil geführt. Aus finanziellen Gründen entschloss sie sich, es Ende März zu schliessen. Doch die Corona-Krise zwang sie bereits zwei Wochen vor dem offiziellen Ende, den Schlüssel zu drehen. Sich nicht von ihren treuen Gästen verabschieden zu können, schmerzt sie dabei am meisten.
«Meine Zeit im Rössli ist Ende März vorbei. Es war eine schöne Zeit und ich habe mich über jeden Besuch gefreut», so steht es auf der Internetseite des Restaurant Rössli geschrieben, das für seine gutbürgerliche Schweizer Küche bekannt war. Die «Austrinkete» hätte am 28. März stattfinden sollen, doch die aussergewöhnliche Situation durch die schnelle Verbreitung des Coronavirus hat der 60-jährigen Huttwilerin einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie auch alle anderen Gastgewerbebetriebe musste sie schweren Herzens ihr «Rössli» ebenfalls Mitte März schliessen. Ein gebührender Abschied von ihren treuen Gästen blieb ihr dadurch verwehrt.
Treffpunkt für Jung und Alt
Das Rössli war ein Treffpunkt für jede Generation. Manch schönes Fest wurde in den vergangenen Jahren dort gefeiert. Viele schöne Stunden wurden bei einem feinen Winzer-Fondue, beim Galgen-Spiess, dem berühmten Gemüseteller oder bei einem schönen Stück Fleisch mit oder ohne Hausmusikanten verbracht.
Jeder fühlte sich beim «Hiudi», wie sie von allen genannt wurde, herzlich willkommen. Das laute Lachen der immer fröhlichen Rössli-Wirtin, die witzigen Sprüche von der Küchentüre aus, all das fand ein jähes Ende. «Viele langjährige Mitarbeiterinnen und Helfer wie auch die treuen Gäste haben ermöglicht, das Rössli zu dem zu machen, was es gewesen ist», sagte Mathilde Minder. «Mir bleibt nur noch, mich auf diesem Weg bei meinen Gästen von Herzen für das zu bedanken, was wir im Rössli zusammen erleben durften.»
Restaurant mit persönlicher Note
Mathilde Minder sitzt im leeren «Rössli» am Stammtisch und schwelgt in Erinnerungen. Die Gaststube sieht aus wie immer, nichts deutet darauf hin, dass sie so nicht mehr geöffnet wird. Die vielen Dekorationsstücke, welche Mathilde Minder passend zur jeweiligen Jahreszeit liebevoll im ganzen Restaurant platzierte, sind noch da. Unzählige Stunden und Unmengen an Material hat die leidenschaftliche Wirtin in den vergangenen Jahren in diese Dekorationen gesteckt.
«Besonders zur Fasnachtszeit ging das schnell einmal ins Geld», erzählt sie. Plakate für die Fenster, venezianische Masken aus Karton und die Fasnachtskostüme für sich und die Mitarbeiterinnen, alles hat sie selbst gemacht. «An der Fasnacht habe ich kein Geld verdient, das hat mir ja nie jemand glauben wollen. Aber wenn ich alles gerechnet habe, bin ich mit etwas Glück gerade so herausgekommen», sagt sie. Ihre Vorfreude auf die Fasnachtszeit war trotzdem jedes Jahr aufs Neue ungebrochen gross. Ausser in diesem Jahr.
Sie wusste nicht, woher sie die Zeit dazu noch nehmen sollte. Denn als die Gäste erfuhren, dass sie Ende März das Rössli schliessen wollte, war «wahnsinnig viel los», wie Mathilde Minder es formulierte. «Im Februar und anfangs März war der Umsatz so hoch wie in den vergangenen 19 Jahren noch nie.»
Viel in der Schweiz herumgekommen
Eröffnet hat Mathilde Minder das Rössli im Herbst 2000. Ein Neuling im Gastgewerbe war sie aber nicht. Nach ihrer Ausbildung in Bern als Köchin folgten verschiedene Arbeitsstellen im Gastgewerbe. Ob in der Lenk, im Stadthaus Huttwil, im Restaurant Brauerei in Huttwil, welches zu dieser Zeit ihre Schwester führte, oder in Glion oberhalb Montreux, Mathilde Minder kam als junge Frau viel in der Schweiz herum.
Aber nicht nur im Gastgewerbe war sie tätig. Im Labor der Firma Melior in Herzogenbuchsee analysierte sie Futtermittel. Zu dieser Zeit machte sie auch die Jägerprüfung. Einige Jahre später zog es sie wieder nach Bern und fortan war sie Chauffeuse für eine Comestibles Firma. Ihren Wohnsitz verlagerte sie in einen Wohnwagen und lebte danach zehn Jahre auf einem Campingplatz in Hinterkappelen. «Das war eine geniale Zeit, ich konnte in der halben Schweiz herumgondeln mit meinen tiefgekühlten Poulets», erzählt sie lachend. Als die Firma verkauft wurde, stimmte jedoch für Mathilde Minder das Arbeitsklima nicht mehr. Sie wechselte zur Firma «Bischofszell» und lieferte Glace an Denner-Filialen aus.
Als dieser Zweig eingestellt wurde, kehrte sie wieder ins Gastgewerbe zurück und war kurze Zeit im technischen Zentrum der PTT vorwiegend in der Abwaschküche tätig. Danach folgte eine Anstellung im Restaurant Hirschen in Oschwand. Kurz darauf erhielt ihre Chefin die Kündigung und das Restaurant musste schliessen. «Danach war ich drei Monate arbeitslos, mit einem sehr schlechten Gewissen», erzählt Mathilde Minder. Eine Anstellung in einem kleinen Quartier-Restaurant in Thun brachte sie wieder zurück ins Arbeitsleben.
Neues Leben im Rössli
In der Zwischenzeit ging in Huttwil das Restaurant Rössli in Konkurs und das Gebäude wurde verkauft. So fasste sich Mathilde Minder ein Herz und brachte ihren Wunsch, dem Rössli wieder Leben einzuhauchen, dem neuen Besitzer vor. Ihrem Wunsch wurde entsprochen und so absolvierte sie im Sommer 2000 den Wirtekurs und eröffnete das Rössli kurz danach im Herbst. Seither prägte Mathilde Minder das beliebte Restaurant, bei dem man die Grösse des Fleisches noch selbst bestimmen konnte.
Vom ersten Tag an arbeitete auch Therese Schütz bei ihr. Die beiden hatten sich viele Jahre zuvor in der Lenk kennengelernt. Die unterdessen vierfache Mutter aus Wasen ist Mathilde Minder und dem Rössli bis zum Schluss treu geblieben.
Nun wird das Restaurant in den nächsten Monaten saniert und umgebaut. Neu eröffnet wird es voraussichtlich Ende August als Pizzeria.
Mathilde Minder hingegen freut sich auf ihre neue Anstellung als Köchin in einem Pflegeheim und dass sie wieder mehr Zeit für ihre Leidenschaft, das Jagen, hat.
Von Marion Heiniger