Studentinnen geniessen Lehrerinnenjob
Seit diesem Sommer unterrichten an der Primarschule in Lützelflüh wegen akutem Lehrermangel zwei noch nicht diplomierte Studentinnen der Pädagogischen Hochschule in Bern. Lisa Sterchi (22) und Deborah Burkart (23) profitieren von dieser Notsituation und sammeln wichtige Erfahrungen für ihre Zukunft als Lehrpersonen. Gerade zu Beginn des Schuljahres war die Hektik bei beiden aber gross. Beide sagen: «Über die Hilfe von Mentoren waren wir sehr froh.»
Lützelflüh · Plötzlich musste alles schnell gehen. Zwei Wochen vor den Sommerferien startete die Pädagogische Hochschule in Bern einen Aufruf an ihre Studenten. Der Lehrermangel führte dazu, dass gleich mehrere Stellen nicht besetzt werden konnten, weshalb Studenten aus dem letzten Studienjahr in die Bresche springen sollten. «Wir hatten zwei Tage Zeit, uns zu melden. Wir haben uns gemeldet, zuerst schien es aber, als wären alle Stellen besetzt – eine in Lützelflüh kam dann kurzfristig dazu», erinnert sich Deborah Burkart. In der letzten Woche vor den Ferien hat sie gemeinsam mit Lisa Sterchi ihren jetzigen Arbeitsort besucht und sich vorgestellt. «Es war nie ein Thema, ob wir die Stelle nehmen oder nicht», sagt Lisa Sterchi mit einem Lachen. «Normalerweise nimmt man sich Zeit und überlegt es sich – hier war notgedrungen alles sofort klar.» Die beiden Frauen wurden ihren künftigen Schülerinnen und Schülern vorgestellt und mit einem Berg an Vorbereitungsarbeiten in die Ferien entlassen.
Hilfe durch Mentoren
Diese konnten die beiden dann dennoch geniessen, obwohl nicht gerade viel Zeit zum Vorbereiten blieb. «Für uns war vieles sehr neu. Wir wurden ins kalte Wasser geworfen», sagt die Bernerin Lisa Sterchi rückblickend. Gerade die ersten Vorbereitungen seien durchaus zeitraubend gewesen, auch weil sie sich diese Arbeiten nicht gewohnt waren. «Wir besuchen zwar Praktikas während dem Studium, aber dort hat man nie die komplette Verantwortung», meint die Hünibacherin Deborah Burkart. Grundlegende Dinge wären deshalb beinahe untergegangen. Wie startet man in ein Jahr? Wie rüstet man das Klassenzimmer aus? Wie leitet man einen Elternabend, was passiert am ersten Tag – solche Fragen kamen für sie teilweise unerwartet auf. «Wir hatten sehr viel Hilfe von der Schule und durch ein Mentorenprogramm. Ohne diese Hilfe hätten wir es nicht geschafft», sagt Lisa Sterchi, beide geben schliesslich auch zu, zu Beginn fast ein bisschen überfordert gewesen zu sein. «Es war ein grosser Vorteil, dass wir zu zweit waren. In den ersten Wochen haben wir gemeinsam unterrichtet. Nur für den Fall, dass wir etwas vergessen würden, oder wir Hilfe brauchen könnten.» Diese mentale Absicherung sei wichtig und hilfreich gewesen, auch wenn solche Notsituationen gar nicht unbedingt eintraten. Letztlich ist die Zusammenarbeit aber auch wichtig, weil die beiden Studentinnen nebenbei ihr Studium weiterführen müssen. Das 100-Prozent-Pensum einer Klassenlehrperson könnten sie folglich alleine gar nicht erst bewältigen. «Auch deshalb hat die PH den Vorschlag gemacht, dass wir uns zu zweit melden sollen», erinnert sich Deborah Burkart. Gemeinsam die Klasse zu führen sei besser, aber auch fordernd. «Wir müssen uns gut absprechen, damit immer alles passt und wir beide wissen, wo genau wir mit dem Unterrichtsstoff sind», sagt Lisa Sterchi. Gerade wenn parallel die Ausbildung an der PH wieder beginnt, sei das bestimmt herausfordernd, weil sich die beiden dann kaum noch treffen. Eine besucht schliesslich die Uni, während die andere in Lützelflüh unterrichtet.
Ein geschützter Testlauf
Bereits jetzt, nach fünf Schulwochen, können die beiden Studentinnen etwas mit Sicherheit sagen: Die Erfahrungen, die sie mit diesem Arbeitseinsatz sammeln, schaffen für ihre Zukunft einen enormen Mehrwert, beide würden auch beim zweiten Mal nicht zögern und sich dieser Chance annehmen. «Wir erfahren eine enorme Unterstützung wie wir sie vielleicht ein Jahr später nach dem Ende des Studiums nicht erhalten würden», sagt Deborah Burkart. Dadurch fühle sich das unterrichten ein bisschen wie ein geschützter Testlauf an, bei dem alles zugleich aber sehr realitätsnah ist. «Letztlich merkt man auch, wie es ist, Lehrer zu sein. Man sammelt sehr realitätsnahe Erfahrungen», sagt Lisa Sterchi. Das alles sei sehr positiv, oder, so sind sich beide einig, nur positiv. Und nicht zuletzt stimmt auch der Draht zu den Kindern, die es bereits jetzt bedauern, wenn das Semester endet und sie sich von ihren zwei Klassenlehrerinnen verabschieden müssen. Vorerst ist die Anstellung nämlich auf ein Semester beschränkt.
Arbeitseinsätze fördern
Das finden auch Deborah Burkart und Lisa Sterchi schade, beide würden auch im zweiten Jahresteil gerne weiter unterrichten. Dass die PH Bern demgegenüber bis zuletzt aber nicht offen eingestellt war, bedauern sie gerade wegen ihren neusten Erfahrungen. «Durch die Vorlesungen an der PH haben wir uns nicht unbedingt gut vorbereitet gefühlt. Am meisten gelernt haben wir in Praktikas und vor allem jetzt, hier bei diesem ungeplanten Arbeitseinsatz», sagt Lisa Sterchi. Die Ausbildung sei in vielen Belangen zu theoretisch und zu praxisfern. Bereits jetzt scheuen sich die beiden ein bisschen, an die PH zurückzukehren. Mit eigenen Erfahrungen im Gepäck denken sie aber, dass sie besser gewichten können, welche Inhalte für sie relevant sind und welche nicht. Auch deshalb finden die beiden, dass ein solcher Arbeitseinsatz mit kompletter Verantwortung der Ausbildung guttun würde. Nicht nur dass die Ausbildung in einem anderen Zusammenhang gesehen werden kann, sondern dass sie überhaupt erst komplettiert wird.
Deborah Burkart und Lisa Sterchi sind zwar beide noch Studentinnen, schon jetzt dürfen sie sich aber als Lehrerinnen fühlen. Für die Kinder mache ihre noch nicht fertige Ausbildung keinen Unterschied, finden beide. Durch ihr noch junges Alter seien sie sogar noch etwas näher bei den Kids, was vieles vereinfacht. «Ich denke, ich werde auch nach meinem Studium Lehrerin sein», sagt Deborah Burkart. «Vielleicht nur in einem 60-Prozent-Pensum, weil ich andere Pläne auch noch habe. Aber es macht Spass.» Lisa Sterchi stimmt ihr zu, will sie doch ebenfalls weiterhin Lehrerin werden, womöglich aber auch noch weiterstudieren. Dieser Arbeitseinsatz hat die Tendenz, dem Lehrerberuf treu zu bleiben, aber eher gestärkt als geschwächt.
Von Leroy Ryser