Tarnnetze «Made in Madiswil» für die Ukraine
Tarnnetze schützen in der Ukraine Leben und Infrastruktur vor den russischen Angriffen. Seit anderthalb Jahren werden in Madiswil von Ukrainerinnen mit viel Eifer Tarnnetze geknüpft. Zugleich stärkt dieses Engagement auch das Beziehungsgeflecht untereinander.
Oberaargau · Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seitdem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Hunderttausende mussten fliehen und hoffen nun verstreut in Europa auf ein Ende des Krieges und die Rückkehr in ihre Heimat.
Auch in Madiswil und Umgebung sind Dutzende Ukrainerinnen und Ukrainer gestrandet. Sie leben zwischen Warten, Sorgen, Verzweiflung, Hoffnung und Zuversicht. Sie sorgen sich um ihre Familien oder Freunde, die noch immer in der Ukraine leben und täglich den Bedrohungen eines rücksichtslosen Krieges ausgesetzt sind. Und sie versuchen, mit unterschiedlichen Strategien dieser Belastung zu begegnen und das Unfassbare auszuhalten. Viele verspüren den Drang, Hilfe zu leisten und aus der Ferne dazu beizutragen, dass die Ukraine sich verteidigen und als eigenständiger Staat fortbestehen kann.
So auch in Madiswil: Zweimal wöchentlich treffen sich Ukrainerinnen zum Knüpfen von Tarnnetzen. In der alten Landi versammeln sich meist zwischen 10 und 15 Ukrainerinnen zu diesem freiwilligen Engagement. Natalia Politova ist sehr froh über die Unterstützung von der Regiomarktplatz AG in Madiswil, da sie dank Brigitte Greub und Markus Staub die Räumlichkeiten der Alten Landi kostenlos nutzen können. Die aus der Ukraine stammende und seit über 20 Jahren in Madiswil lebende Tierärztin Natalia Politova organisiert diese Arbeit und besorgt auch das dazu benötigte Material. «Den speziellen, unbrennbaren Stoff für die Tarnnetze beziehen wir aus der Ukraine.» Die Kosten für die Stoffrollen tragen die hier beteiligten Ukrainerinnen und Ukrainer selbst.
Rund 3600 Quadratmeter Tarnnetze aus Madiswil
Im Mühlistübli des Regio-Marktplatzes wird das Material von Hand in Streifen und Fetzen geschnitten und in die Netze, die in Deutschland gekauft werden, eingeflochten und festgeknüpft. Momentan sind es Stoffe in den klassischen Camouflage-Tarnfarben, im Winter können es auch weisse Stoffe für den Einsatz im Schnee sein.
«Den genauen Bedarf an Farbe und Grösse der Netze wird uns direkt von unseren Kontakten in der Ukraine mitgeteilt», erzählt Natalia Politova. Sie und ihre Mitstreiterinnen bemühen sich, diese Bestellungen umgehend zu erledigen, und bereits eine oder zwei Wochen später erreichen die fertigen Netze die Ukraine. «Zuvor haben wir zahlreiche Tarnnetze für humanitäre Einsätze hergestellt, aber mittlerweile überwiegt der Einsatz für militärische Zwecke», erzählt die engagierte Tierärztin. «Tarnnetze sind eine wichtige Form der Verteidigung für die Soldaten. Sie helfen, die Ausrüstung und die Stellungen vor potenziellen Bedrohungen zu verbergen.» Konzentriert stehen die Frauen um das Netz und weben mit viel Eifer Stoffstreifen – und damit verbunden auch Hoffnung und Trauer – in die Netze ein. Mit jedem Handgriff und mit jeder Fingerbewegung wächst das Tarnnetz Stück für Stück. Seit über anderthalb Jahren wurden in Madiswil von diesen Tarnnetzen monatlich rund 200 Quadratmeter in Gemeinschaftsarbeit erstellt. Sie leisten bereits wenige Tage oder Wochen später in der Ukraine einen Beitrag zur Sicherheit und Effizienz der ukrainischen Truppen oder schützen die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur.
Gemeinschaft, Austausch und konkrete Hilfe
Neben dem nützlichen Einsatz zur konkreten Unterstützung der ukrainischen Verteidigung ist auch der Austausch und das Beisammensein ein wichtiger Teil dieser Treffen. Der dampfende Tee, das mitgebrachte Gebäck und die Schokolade täuschen aber nicht darüber hinweg, dass es um eine ernste Sache geht. Trotzdem kommt die Geselligkeit nicht zu kurz. Die Ukrainerinnen sprechen über ihren Alltag und ihre Probleme und versuchen, sich gegenseitig zu stützen und beizustehen. Es funktioniert wie eine Gemeinschaft, die Ukrainerinnen zusammenbringt, die vor der Gewalt geflohen sind und hierher ziehen mussten. Auch der jetzt in Grasswil lebende Dichter Oleksandr Demydenko ist dabei und liest Gedichte aus seinem Buch vor, während die Frauen zuhören und gleichzeitig emsig an den Tarnnetzen arbeiten. Sie fühlen sich durch diese sinnvolle Tätigkeit lebendig und schöpfen wieder Hoffnung, wie sie erzählen. Gemeinsam machen sie einen Unterschied für die Sicherheit und den Erfolg ihrer Truppen. Die Unterstützung der Ukraine beschränkt sich aber längst nicht auf diese Tarnnetze: Natalia Politova hat in den letzten zwei Jahren mehrere Hilfslieferungen mit Kleidung, Medikamenten und anderen Sachspenden für den täglichen Bedarf auf die Beine gestellt. «Wir organisieren weiterhin solche Lieferungen und sind dankbar für entsprechendes Material. Aufgeben ist keine Option!»
Von Patrick Bachmann