Ueli Maurer: «Eine Partei ist parteiisch»
Wo einst die Gründung der SVP Langenthal – damals als «Neue Bürger-Partei Langenthal» – stattgefunden hat, feierte die Partei nun auch ihren 100. Geburtstag: Im altehrwürdigen Barock-Saal des Hotels Bären in Langenthal. Parteipräsidentin Corinna Grossenbacher konnte unter den Gästen zahlreiche Frontleute der SVP begrüssen. Auch Bundesrat Ueli Maurer fand am letzten Freitagabend den Weg in die Oberaargauer Metropole.
«Über 300 Mannen», alles «vaterländisch gesinnte Bürger» waren es, die am Dienstag, 17. Dezember 1918, abends um 8 Uhr im Langenthaler Hotel Bären zusammenstanden, die «Neue Bürger-Partei Langenthal» ins Leben riefen und den Beitritt mit ihrer Unterschrift bezeugten. Mit starkem Willen, dem ersten Parteipräsidenten E. Geiser-Kohler (Landesprodukte und späterer Gemeindepräsident) und einem gesammelten Startkapital von 335.50 Franken machten sie sich dazu auf, die demokratischen Grundrechte der Schweiz zu verteidigen.
Es war eine überaus harte Zeit damals, als eben der 1. Weltkrieg zu Ende gegangen war und die weltweit grassierende Spanische Grippe Millionen von Menschen dahingerafft hatte. Die Grippe hatte auch vor der Schweiz keinen Halt gemacht.
Und da gab es laut der SVP-Festschrift noch ein weiteres Problem für bodenständige Bürger: Nachdem der Berner Regierungsrat nach den Kriegswirren Ende November 1918 endlich wieder die Versammlungsfreiheit gestattet hatte, entschied der Langenthaler Souverän anfangs Dezember an der letzten Gemeindeversammlung in der Kirche Geissberg erstaunlich knapp die Einführung der neuen Gemeindeordnung per 1. März 1919. Keine der damaligen drei Ortsparteien FDP, SP und Grütlianer hatte sich grundsätzlich dagegen gewehrt. Zufrieden waren trotzdem viele bürgerlich denkende Bürger nicht; sie hatten ihr Ver-trauen in die dominierende Ortspartei FDP verloren, fanden unter anderem, diese vertrete häufig nur noch die Interessen der Industrie.
Nun denn, die Zeit drängte. Die erste Vorstandssitzung der neuen demokratischen Partei (DP) wurde auf den 15. Januar 1919, die erste HV auf den 22. Januar 1920 festgelegt. Denn die ersten nach der neuen Gemeindeordnung stattfindenden Wahlen standen vor der Tür, und da wollte die DP mitmischen. Die Wahlen sollten ein Triumph werden; die gemeinsame bürgerliche Liste erzielte 23 Sitze im Gros-sen Gemeinderat (21 DP, 2 FDP), während die SP 12 gewann und die Grütlianer deren 5. In den Gemeinderat wurden nach zwei Wahlgängen je drei Vertreter der DP, FDP und SP/Grütlianer gewählt.
Überarbeitete Festschrift
Die vorliegende Festschrift wurde vom Langenthaler Grossrat und Geschäftsführer Region Oberaargau, Stefan Costa, auf Basis der 75-Jahre-Festschrift der SVP Langenthal überarbeitet. Die redaktionelle Leitung hatten Helena Morgenthaler und Albert Schaller.
Auch Stefan Costa musste sich mit den Fakten begnügen, die vor 25 Jahren vom Langenthaler Chronisten Max Jufer zusammengetragen worden waren. So fehlen im Parteiarchiv weitgehend die Beweggründe der Umwandlung der Demokratischen Partei Langenthal zur Ortssektion der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei des Kantons Bern (BGB).
Die Langenthaler Demokraten mussten in den Jahren nach der Gründung und dem ersten grossen Erfolg Federn lassen. Stets fassten sie aber wieder Boden und gewannen in den Räten die Oberhand, bis sich im Laufe des Zweiten Weltkriegs die Sozialdemokraten zu manifestieren begannen. 1944 erlebte Langenthal den grössten politischen Erdrutsch in seiner Geschichte. Die Bürgerlichen mussten Mandate abgeben, die Sozialdemokraten bestätigten ihren Vormarsch. Erstmals hatte die Stadt eine «rote» Mehrheit in der Exekutive und eine ebensolche in der Legislative. Das Kopf-an-Kopf-Rennen hielt und hält bis in die Gegenwart an.
«Fast unanständig»
«Eine Partei ist parteiisch», stellte Bundesrat Ueli Maurer vor den Versammelten fest. «Das muss sie sein, auch wenn es manchmal fast unanständig ist.» Wichtig sei es, sich mutig zu engagieren, überhaupt einer Partei beizutreten, denn Parteilosigkeit sei kein Qualitätsmerkmal. «Es gibt mir zu denken, dass sich immer mehr Leute aus der Verantwortung ziehen wollen.» Der Bundesrat und Vollblutpolitiker gehört der SVP seit 50 Jahren an. Als Lehrling war er von seinem Chef zu den Versammlungen der damaligen BGB und späteren SVP «mitgschläikt» worden, wie er in seinem breiten Zürcher-Dialekt erzählte. Man machte ihn zum Aktuar, was ihm die Ärmel vollends in die rechte Politik zog.
Verdienst der Ortssektionen
«Es geht uns gut», stellte der Bundesrat in Langenthal fest. Dass die Partei auf schweizerischer Ebene so stark sei, sei vor allem den Ortssektionen zu verdanken. In ihren Ortschaften kenne man die Vertreter, vertraue ihnen; das wirke sich auf die nationale Politik aus. «Deshalb ist eure Arbeit so wichtig», sagte er zu den Versammelten. «Die Ortssektionen sind das A und O der Parteien.»
Aber – es brauche alle Parteien. «Stellen Sie sich unser System ohne Par-teien vor – es würde niemals funktionieren!» Die Parteien würden Personal zur Verfügung stellen, Abstim-
mungen organisieren, Initiativen ergreifen ... jede im Rahmen ihrer Bestrebungen. «Unsere Demokratie funktioniert, weil aus Parteimeinungen Kompromisse entstehen.»
Die heutige schweizerische Demokratie sei eine Gratwanderung zwischen «Halbtagesgeschäften mit den Sozialen Medien» und den Werten des Landes. Letztere seien enorm wichtig, das Wichtigste überhaupt um die Demokratie und damit schlussendlich auch den Wohlstand des Landes zu erhalten. «Deshalb hat unsere Partei eine wichtige Rolle. Ihr ist es wichtig, dass es ein Bewusstsein für unseren Staat, für unser Land gibt. Wir Schweizer haben eine Identifikation mit den Deutschen, Franzosen, Italienern, Spaniern ... aber wir haben keine mit der EU. Weil die EU nicht in unseren Werten verankert ist. Für unsere Werte aber leben, arbeiten wir, profilieren wir uns. Unsere Bescheidenheit, unser Fleiss zeichnen uns aus.»
Die Demokratie sei ein «Verband mit «Verantwortung»: «Ihr alle seid mein Chef. In unserem Land ist das Volk zuoberst, der Chef zuunterst. In vielen Ländern ist es umgekehrt. Was das bedeutet wissen wir. Darum gilt es, unser System zu wahren. Es ist Teil der Grundwerte unseres Landes.» Es lohne sich, dafür zu kämpfen.
Ueli Maurer zitierte den Spruch des griechischen Historikers Thukydides, der 400 Jahre vor Christus gelebt hatte: «Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.» Der Bundesrat hatte ihn auf einer seiner weiten Velofahrten bei einem Bauernhof entdeckt. «Das ging mir unter die Haut.»
Unabhängigkeit und Freiheit
Das Wichtigste für die Schweiz sei es, ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit zu bewahren. Das müsse die Zukunft der Schweiz sein, «für uns persönlich und für unser Land als Ganzes.» Und dazu brauche es Mut. Zuhause, in der Politik, in der Armee.
Während im fröhlichen Geschehen im «Bären»-Saal zuweilen das eigene Wort kaum zu verstehen war, hätte man während der Rede von Ueli Maurer eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Seine Worte gingen tief.
«Es braucht nun auch Mut, auf eine solche Rede noch etwas zu sagen», meinte denn der Langenthaler Stapi und SP-Verfechter Reto Müller. Er gratulierte, und er freue sich sehr über das 100-jährige Bestehen der SVP. «Ich mag es euch gönnen, und das meine ich ernst.»
Weitere Votanten waren der SVP-Na-tionalrat Werner Salzmann mit einem Rückblick auf die Geschichte der BGB/SVP und, mit viel Elan, der Präsident der SVP Schweiz, Albert Rösti. «Ich komme immer gerne zu euch in den Oberaargau, hier lebt die SVP.»
Eindrücklich war auch der Auftritt des 96-jährigen Langenthaler Chronisten Max Jufer, der es sich nicht hatte nehmen lassen, für die vorliegende Festschrift noch seine Weltanschauung zu schreiben. «Es ist ein Segen, in diesem hohen Alter nochmals etwas für eine Festschrift schreiben und nun vor euch stehen und reden zu dürfen», meinte er.
Durch den Abend führten die Parteipräsidentin SVP Langenthal, Corinna Grossenbacher, Gemeinderätin Helena Morgenthaler, Gemeinderat Robert di Nino und Lars Schlapbach.
Für Unterhaltung sorgte der bekannte Satiriker Andreas Thiel, der Ueli Maurer den ganzen Abend amüsant flankierte, das Jodlerdoppelquartett Langenthal mit den beiden Solisten Franz Flückiger und Hansjürg Kölliker sowie das Trio Stephani.
Von Liselotte Jost-Zürcher