«... und plötzlich bemerkte ich: der ist kurz!»
Carole Howald ist bereits zum sechsten Mal Curling-Weltmeisterin. Der Titel, den die Langenthalerin in Schweden gewonnen hat, ist dennoch ganz besonders: Erstmals gewann die 30-Jährige einen WM-Titel als fester Bestandteil des Sieger-Teams – und nicht als
Ersatzspielerin.
Curling · Curling WM-Final der Frauen. Sandviken, Schweden. Just vor dem zehnten und letzten End sieht es so aus, als ob es ein Zusatzend geben dürfte. Die Schweiz führt mit einem Stein, Norwegen aber darf den letzten Stein spielen und dürfte dadurch zum 4:4 ausgleichen können. So scheint es logisch. Ein Showdown steht bevor, die Nerven werden strapaziert. Beim letzten Stein scheint Norwegens Aufgabe zudem lösbar. Der Stein muss an keinem Hindernis vorbei, die Norwegerin müsste ihn «nur» gerade ins Haus schieben und der Ausgleich ist perfekt. «Ich habe dann die Zeit gestoppt, wie lange der Stein von der ersten zur zweiten Linie unterwegs ist und die hat schon nicht ganz gepasst», sagt Carole Howald.
Die Langenthalerin erlebt gerade ihren ersten WM-Final direkt auf dem Eis – zuvor war sie in diesen Momenten jeweils «nur» als Ersatzspielerin mit dabei. «... und plötzlich bemerke ich: der ist kurz! Der ist zu kurz!» Und als dem dann tatsächlich so war und die Norwegerinnen den Ausgleich verpassen, weil es der Stein nicht bis ins Haus schafft, «da sind wir einfach nur noch durchgedreht.»
Unglaubliche Zahlen
Für die Schweizerinnen um Skip Silvana Tirinzoni, die mittlerweile sechsfache Weltmeisterin Alina Pätz und Briar Schwaller-Hürlimann, die in Recherswil wohnt und in Lotzwil als Lehrerin Schule gibt, sowie für Carole Howald, endet mit diesem einen Fehlstein eine besondere Woche. Mittlerweile sind die Schweizerinnen seit 36 Weltmeisterschaftsspielen ungeschlagen, vier Weltmeistertitel haben Silvana Tirinzoni und Alina Pätz schon aneinandergereiht und folglich blieb die Mannschaft auch in Schweden ungeschlagen. «Diese Zahlen sind unglaublich», sagt Carole Howald, die Freude über den Titel sei aber nicht speziell anders, als in früheren Jahren in der Position der Ersatzspielerin. «Ich habe immer schon versucht, mich direkt in die Spielerinnen hineinzuversetzen. Und gerade im letzten Jahr konnte ich bei der Hälfte der Spiele mittun – einfach nicht im Halbfinale oder im Finale.» Ebenjene Erfahrungen hätten aber geholfen, als es ernst wurde. Und bei ihrem persönlichen letzten Stein des Turniers wurde es auch für Carole Howald tatsächlich sehr ernst. Dieser vierte Stein im zehnten End musste nämlich genau passen, um den Norwegerinnen keinen Vorteil übrig zu lassen. Auch deshalb nahm das Schweizer Team genau dann ein Time-out. Howald blieb ruhig – und traf mit einem überragend platzierten Stein haargenau und räumte dadurch den drohenden Vorteil der Norwegerinnen aus dem Feld. «In diesem Moment habe ich mir gar nicht zu viel Gedanken gemacht. Man darf das auch nicht aufschaukeln – jeder Stein ist wichtig. Also habe ich ihn gespielt wie jeden anderen Stein auch.» Erst später wurde dann klar, dass dieser Stein keineswegs wie jeder andere war, vielmehr war er ein wichtiger Puzzlestein, damit der Druck beim letzten Stein für die Norwegerin offensichtlich zu gross wurde.
Aussergewöhnliche Saison
Dadurch ist dieser WM-Titel für Carole Howald dann doch noch etwas ganz Besonderes – im Vergleich zu den anderen drei Titelgewinnen. «Irgendwie anders und dennoch gleich», seien die Gefühle just nach dem letzten Stein gewesen, «nervös war ich aber weniger, weil ich auf dem Eis viel weniger Zeit dafür hatte, als im letzten Jahr auf der Tribüne. Das überrascht nicht, selbst als neu geformtes Team erleben die vier Frauen unvergleichbare Höhenflüge. Neben Europameisterschaftssilber und Weltmeisterschaftsgold gewann das Team auch einen «Grandslam of Curling» und wird noch an zwei weiteren «Grandslams» antreten dürfen. «Das ist aussergewöhnlich», findet auch Carole Howald. In diesem Jahr gewann die Langenthalerin sieben Finalspiele – in neun war sie angetreten. Nach ihrem letzten Sieg sei sie indes «einfach nur happy und zufrieden mit dem ganzen Team und sich selbst.»
Gerne in der Favoritenrolle
Am vergangenen Mittwoch wurde Carole Howald ausserdem noch 30 Jahre alt – auf eine zweite grosse Feier nach dem WM-Final verzichtete sie. Auffallend ist aber etwas anderes: Ihre zahlreichen Erfolge gewann die Langenthalerin noch vor ihrem 30. Geburtstag. Dazu gehört eine goldene Europameisterschaftsmedaille sowie Silber, sechs goldene Weltmeisterschaftsmedaillen und ein «Grand-slam-Sieg». Was jetzt noch fehlt, ist eigentlich nur ein Triumph bei Olympischen Spielen. «Natürlich ist das ein Ziel von uns. Aber das ist noch so weit weg, dass wir noch nicht daran denken können. Es gibt bis dahin noch viele Turniere zu spielen.» Dass für diese nach den letzten Erfolgen der Druck steigt, verneint Carole Howald aber. «Wir wissen, was wir können. Und wir sind gerne in der Favoritenrolle. Aber andere Teams trainieren auch, andere Teams wollen auch. Und deshalb werden auch wir weiter arbeiten.»
Von Leroy Ryser