• Das Unterrichten der RIK+ Klassen ist für Klassenlehrerin Franziska Schenk besonders in der deutschen Sprache sehr zeitaufwendig, denn die Jugendlichen haben unterschiedliche Lernstände. · Bilder: Marion Heiniger

  • Hezbullah (rechts) hat eine Schnupperlehre als Fachmann Gesundheit vereinbart, sein Schulkollege Ahmed möchte Coiffeur werden.

  • Ihsan Ullah kam als Analphabet in die Schweiz. Seine Fortschritte sind beachtlich.

  • Schulleiter Lukas Flückiger (zweiter von rechts) unterstützt Mathematiklehrer Simon Stankowski (links) und hilft den Jugendlichen bei den Aufgaben.

15.02.2024
Huttwil

Unterricht für eine bessere Zukunft

Unter den vielen Migranten, welche für ein neues Leben in die Schweiz kommen, sind immer mehr Jugendliche, die kein Deutsch sprechen. Um ihnen eine berufliche Zukunft bieten zu können, unterrichten Franziska Schenk und Simon Stankowski zusammen mit vier weiteren Lehrpersonen in Huttwil Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren. Im ehemaligen Berufsschulhaus besuchen zurzeit 21 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Ländern den sogenannten RIK+ Unterricht.

«Wie hat euch letzte Woche der Kochunterricht gefallen», fragt Lehrerin Franziska Schenk die Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse. Niemand getraut sich, etwas zu sagen. Franziska Schenk lächelt freund­lich und hilft etwas nach. Sie spricht einen der Jugendlichen direkt an – langsam und deutlich. «Ahmed, hat dir das Kochen Spass gemacht?». «Ja», antwortet der Junge. Ahmed ist 16 Jahre alt und in Syrien aufgewachsen. Seit sechs Monaten lebt er in der Schweiz und wohnt zurzeit im Wohnheim für unbegleitete Jugendliche im Weier, er möchte gerne einmal Coiffeur werden. Neben ihm sitzt sein Klassenkollege Hezbullah, ebenfalls 16 Jahre alt. Er kommt ursprünglich aus Afghanistan und hat im Asyl-Wohnheim in Rohr­bach ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Der aufgeweckte Jugendliche hat kürzlich eine Schnupperlehre als Fachmann Gesundheit vereinbart.
Zurzeit besuchen 21 Schülerinnen und Schüler den RIK+ (Regionaler Intensivkurs PLUS) Unterricht, im ehemaligen Berufsschulhaus an der Oberdorfstrasse 4 in Huttwil. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Türkei und Mazedonien. Nicht alle Jugendlichen sind an diesem Montagmorgen anwesend. Einige sind krank oder in einer Schnupperlehre.
Der RIK+ Unterricht wird in Huttwil seit August 2022 angeboten. Zuerst war es eine Klasse, seit letztem Sommer sind es aufgrund der hohen Schülerzahlen zwei Klassen. Zur Begrüssung sitzen noch alle im gleichen Klassenzimmer, danach wechselt die Hälfte der Jugendlichen zusammen mit Lehrer Simon Stan­kowski in das daneben liegende Schulzimmer. Sie werden in den nächsten zwei Lektionen Mathematik büffeln. Das Thema: Umrechnungen von Volumen, Zeit, Gewicht und Länge. Simon Stankowski erklärt an der Tafel die verschiedenen Einheiten. Als er ein Übungsblatt verteilt, wird es still im Klassenzimmer. Die Jugendlichen brüten konzentriert über ihren Aufgaben. Auch die Schwestern Nergiz (16) und Benazir (14) machen sich an die Arbeit. «Wir sind seit etwa fünf Monaten in Sumiswald», erzählt Nergiz etwas später in erstaunlich gutem deutsch. Den beiden aus der Türkei stammenden Mädchen gefällt es in der Schweiz und sie denken auch bereits an ihre berufliche Zukunft. «Ich möchte Tierärztin werden», sagt Benazir bestimmt. Ihre ältere Schwester hat hingegen den Beruf Zeichnerin ins Auge gefasst.

Unterstützung gesucht
Auch Gesamtschulleiter Lukas Flückiger schaut kurz beim RIK+ Unterricht vorbei und unterstützt die Jugendlichen bei den Mathematikaufgaben. Bei der Deutsch-Klasse wird die Journalistin des «Unter-Emmentalers» ebenfalls zum Üben von Wörtern in der Einzahl und Mehrzahl eingespannt. Franziska Schenk und Simon Stankowski sind froh, dass sie, wenn auch nur für kurze Zeit, Unterstützung erhalten. «Obwohl die Klassen relativ klein sind, ist es schwierig, allen Jugendlichen, die selten den gleichen Lernstand haben, gleichzeitig im Unterricht gerecht zu werden. Wir haben auch Schulungewohnte, welche noch alphabetisiert werden müssen und auch in ihrer Muttersprache weder lesen noch schreiben können», erklärt Franziska Schenk.
Ein Analphabet war auch Ihsan Ullah, als er ohne seine Familie vor acht Monaten von Afghanistan in die Schweiz kam. Damit sein Name im Zeitungsartikel auch richtig erscheint, schreibt er ihn auf ein Blatt Papier. Schreiben, lesen und sprechen in der deutschen Sprache geht bereits auffallend gut. Der 14-jährige wurde im Wohnheim im Weier untergebracht und hatte nach kurzer Zeit das grosse Glück, in einer Pflegefamilie aus Langenthal aufgenommen zu werden. Auf die Frage, ob er irgendwann wieder zurück in sein Heimatland möchte, antwortet Ihsan Ullah: «Nein, in der Schweiz ist es gut, ich möchte hier Automechaniker lernen.»
Um die Jugendlichen angemessen unterrichten zu können, wünscht sich Franziska Schenk eine oder mehrere Klassenhilfen, welche sie und das ganze RIK+ Team in Freiwilligenarbeit unterstützen könnten.
«Es wären einfache Aufgaben, welche die Klassenhilfen übernehmen würden, wie zum Beispiel gelernte Wörter abfragen, Diktate diktieren, Leseübungen machen oder die Grundlagen der Mathematik erklären.» Unterstützung brauchen die Jugendlichen aber nicht nur während des Unterrichts. «Damit die Jugendlichen auf das Berufsleben vorbereitet werden können, sind wir immer wieder auf der Suche nach Schnupperplätzen aber auch nach Arbeitswochenplätzen, an welchen sie beispielsweise am Mittwochnachmittag für zwei bis drei Stunden irgendwo mithelfen könnten», erklärt Franziska Schenk.

Kochen für die Integration
Die Jugendlichen der RIK+ Klassen hatten die ersten beiden Lektionen ohne Pause durchgearbeitet, so bleibt ihnen mehr Zeit während der grossen Pause. Diese verbringen sie jeweils auf dem Pausenplatz des Oberstufenschulhauses Hofmatt, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern der Regelklassen. «Das sind zurzeit die einzigen Berührungspunkte mit den anderen Klassen. Wir wollen aber künftig mit Projekten wie das Kochen weitere Möglichkeiten schaffen, dass sich die Jugendlichen aus den RIK+ Klassen und aus den Regelklassen besser kennenlernen können. Die Idee ist, sich gegenseitig mit Speisen aus den jeweiligen Heimatländern zu bekochen. Beim gemeinsamen Essen können sie so miteinander ins Gespräch kommen», erhofft sich Franziska Schenk.

RIK+ (Intensivkurse für Kinder und Jugendliche)
Der RIK+ Unterricht hat zum Ziel, die Jugendlichen entweder auf die Regelklassen, eine Berufs-Vorlehre oder auf das «Berufsvorbereitende Schuljahr Praxis und Integration» (BPI) vorzubereiten, welches in etwa dem 10. Schuljahr entspricht. Das regional organisierte Volksschulangebot besteht in der Schweiz seit dem Sommer 2016 und ist auf den spezifischen Bildungsbedarf von neu zugezogenen Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren ohne Kenntnisse der Unterrichtssprache und ohne (lateinische) Alphabetisierung oder vergleichbare Schulbildung zugeschnitten. Die Jugendlichen können den Unterricht maximal zwei Jahre besuchen. Neben dem Schwerpunkt auf der deutschen Sprache werden, wie in den Regelklassen, auch alle anderen Fächer gemäss Lehrplan unterrichtet. Der Eintritt wie auch der Austritt in oder aus einer RIK+ Klasse ist jederzeit möglich.

Von Marion Heiniger