Volles Haus bei vermeintlichem Tabu-Thema
An einer Impulsveranstaltung hat der Wirtschaftsverband Oberaargau (WVO) psychische Erkrankungen bei Mitarbeitern zum Thema gemacht. Mit insgesamt fünf verschiedenen Referaten und einer Podiumsdiskussion wurde eingehend über das Thema informiert und aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert.
Aus der Überzeugung, dass eine bessere Kommunikation betroffenen Mitarbeitenden und Arbeitgebern helfen kann, hat der Wirtschaftsverband Oberaargau einen Anlass zum Thema «psychisch auffällige Mitarbeiter – Kommunikation statt Ohnmacht und Frustration» organisiert. Gleich fünf verschiedene Redner legten dabei unterschiedliche Sichten dar – und dies interessierte die regionalen Wirtschaftsvertreter offensichtlich. «Wir freuen uns, dass wir volles Haus haben», sagte der Gastgeber vom SRO, Manuel Moser, zu Beginn als Einleitung. Dabei sei dieses Thema weiterhin ein Stigma, etwas worüber niemand reden will, weil man sich auch heute noch schämt, wenn man psychisch erkrankt. Dabei sei es wichtig, darüber zu reden, egal ob im privaten oder aber auch im beruflichen Umfeld, weil gerade am Arbeitsplatz eine positive Perspektive den Heilungsverlauf bessern kann.
Dies bestätigte auch Niklas Baer. Er arbeitet für die Fachstelle psychiatrische Rehabilitation und war genau der richtige Redner um zuerst allgemeine Informationen über psychische Erkrankungen zu transportieren. «Heute gehen wir davon aus», begann Baer sein Referat, «dass rund 17 Prozent der Arbeitnehmer einst relevante psychische Probleme hatten oder haben.» Diese Schätzung stützt, dass in einer Umfrage auch knapp über 20 Prozent von befragten Kadermitarbeitern selbst Erfahrungen mit psychischen Problemen gemacht haben. Dabei sind Eingliederungsmassnahmen, beispielsweise von der IV, weit weniger erfolgreich als bei körperlichen Beschwerden. Was laut Statistiken weit mehr hilft, ist ein passendes Arbeitsumfeld. «Die Chancen auf eine erfolgreiche Rückkehr an den Arbeitsplatz verdoppeln sich, wenn sich der Mitarbeiter selbst ebenfalls um Lösungen bemüht oder ihm signalisiert wird, dass er trotz seiner Krankheit im Betrieb bleiben kann», erklärte Baer weiter. Gründe, die für ein Ende der Zusammenarbeit sprechen könnten sind, dass psychisch kranke Mitarbeiter meistens – laut einer Umfrage bei Führungskräften in der Region Oberaargau – eigene Fehler abstreiten, die Leistung schwankt und Reaktionen auf Kritik oft impulsiv sind.
Der Dialog mit dem Arzt fehlt dem Arbeitgeber
Eine KMU-Befragung in der Nordwestschweiz zeigte derweil, dass sich Arbeitgeber in solchen Situationen oft alleingelassen fühlen, weil der Dialog zu den Ärzten fehlt. Viele Chefs würden zwar gerne wissen, wie stark sie erkrankte Mitarbeiter belasten können und wie sie mit ihnen umgehen sollen, solche Fragen werden aber kaum geklärt. Dabei wäre es laut Baer wichtig, gut zu kommunizieren und den Mitarbeitenden unterstützen. Kommunizieren heisst derweil auch, dass man das Team über die aktuelle Situation offen informieren soll und den betroffenen Mitarbeiter weiterhin auch fordern darf. «Es wäre gut abzumachen, dass Reaktionen folgen, wenn sich die Leistung nicht bessert. Beispielsweise soll der betroffene Mitarbeiter eine Therapie eingehen müssen, wenn er bei gleichbleibender Leistungsschwankungen einer Kündigung entgehen will.»
«Depressive haben mich genervt»
Interessant war für die rund 75 Anwesenden vor allem auch die Sicht eines Betroffenen. Ruedi Josuran, bekannter Fernseh- und Radioreporter litt selbst unter einer psychischen Erkrankung und machte damit vor allem auch gedanklich eine schwere Zeit durch. «Ich selbst reagierte bei Menschen, die mir von psychischen Erkrankungen erzählten, immer gleich: «So chum itz, hüh, habe ich mir immer gedacht. Depressive haben mich genervt. Und dann war ich selbst so weit.» Lange Zeit habe er aber nicht gewusst, woran es ihm fehlte. Er erkannte lediglich, dass oftmals Emotionen fehlten, seine Leistungen schwankten und auch Ferien nicht mehr die nötige Erholung brachten. Er habe dann nach Lösungen gesucht und sei nach unterschiedlichen Arztbesuchen schliesslich an eine Psychiaterin gelangt, die ihm endlich eine Diagnose eröffnen konnte. «Ich hatte ziemlich rasch Angst, weil es verschiedene Baustellen gibt. Ich habe gute Arbeitskollegen, aber ich befinde mich auch in einem Haifischbecken in dem viele meinen Job gerne übernehmen würden», gab Josuran zu. Einen Herzinfarkt zu erklären, sei derweil einfacher, weil dieser handfester sei als eine psychische Erkrankung. Diese Erfahrung habe er zwei Jahre später auch gleich selbst gemacht. «Heute ist das Ganze aber ein Teil von mir und ich sehe es als neue Normalität an», schloss Josuran seinen Vortrag. Er sei nun eben gesund mit einer Krankheit und diese sehe er weniger als Belastung, sondern vielmehr als neue Kompetenz an.
Offen sein ist schwierig
In der rund zweieinhalbstündigen Vortragsreihe wurden schliesslich auch die Sichten von Arbeitgebern, Hausärzten und Juristen dargelegt. Während Ursula Grob, Hausärztin aus Herzogenbuchsee einen langwierigen Krankheitsverlauf eines Patienten mit stationären Behandlungen und mehreren Wochen krankheitsbedingter Arbeitsabwesenheit über mehrere Jahre hinweg präsentierte, sprach Meret Hottinger, die Leiterin der HR-Abteilung von Lantal Textiles über Vorurteile wie die Angst im Falle von psychischen Erkrankungen entlassen zu werden und über wünschenswerte Reaktionen von Ärzten, betroffenen Mitarbeitern und deren Chefs. «Offen sein ist in solchen Situationen verständlicherweise schwer. Aber dieses Vertrauen wird ein Vorgesetzter schätzen.» Daneben sind vor allem auch die Chefs gefordert, jene Empathie und Wertschätzung auch zu zeigen, sich aber auch der Rolle als Führungskraft, zwischen fordern und unterstützen bewusst sein. Wichtig sei diesbezüglich für einen Arbeitgeber vor allem auch eine sorgfältige Krankschreibung, Idealerweise motiviert ein Arzt seinen Patienten für eine partielle Aufhebung des Arztgeheimnisses, damit auch der Arbeitgeber gut informiert ist und besser handeln kann.
Arbeitgeber hat Schutzpflicht
Gerade für die letzte Rednerin, die Juristin Katrin Zumstein, ein heikler Punkt. Eine genaue Diagnose beispielsweise braucht ein Arbeitgeber gar nicht zu wissen und wer nicht von der Schweigepflicht durch den Patienten entbunden wird, kann sowieso kaum Informationen weitergeben. Gerade wenn Mitarbeiter aber an ihre Vorgesetzten herantreten, scheint ein offener Dialog auch mit dem Arzt möglich. «Letztlich ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, seinen Arbeitnehmer zu schützen. Schauen sie ihre Arbeitnehmer deshalb auch an. Wer einmal verstrubelt zur Arbeit kommt, ist nicht psychisch krank. Treten solche Fälle aber mehrmals auf, kann ein Gespräch hilfreich sein», erklärte Katrin Zumstein. Des weiteren sei es wichtig, solche Gespräche genau zu protokollieren und unterschreiben zu lassen. Und sollte es zu einer Kündigung kommen, sind die gesetzlichen Fristen einzuhalten, wenn man einer Klage wegen missbräuchlicher Kündigung entgehen will. Letztlich sei im Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern auch immer der gesunde Menschenverstand und vor allem auch die Wertschätzung dieser Person gegenüber wichtig.
Beendet wurde der Event nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden mit einer kurzen Diskussions- und Fragerunde aller Referenten, geleitet durch Ruedi Josuran. Dort stellte der selbst betroffene Radioreporter auch fest, dass einem psychisch erkrankten Mitarbeiter Mitleid nicht weiterhilft. «Wenn jemand nach einer gewissen Abwesenheit wieder zum Arbeiten kommt, braucht er keinen Oberpriester als Arbeitskollegen», stellte er bildlich dar. Dass jene Menschen ernst behandelt und vor allem auch im Arbeitsumfeld wieder gefordert werden, gehöre nicht zuletzt auch zur menschlichen Würde. Und diese wollen auch Betroffene behalten.
Von Leroy Ryser