Vom Oberaargau nach Kanada – das Leben von Peter Schärer in der Ferne
Der heute 71-jährige Peter Schärer lässt die Zeit Revue passieren. Im Jahr 1975, als 24-Jähriger, besuchte er Kanada erstmals, «mehr oder weniger um Ferien zu machen». Er arbeitete ein Vierteljahr auf einer Rinderfarm in St. Paul, verlängerte dann auf ein halbes. «Es hat mir dort drüben einfach gefallen.» Nach einem halben Jahr Rückkehr in die Schweiz entschied er sich auf gut Glück, mit seinen 26 Jahren wieder nach Kanada zu gehen – und zwar für immer.
Der UE geht um die Welt · Peter Schärer stammt aus Rohrbach und hat dort als zweitjüngster von sieben Geschwistern die Primarschule besucht. Nach seiner vierjährigen Lehre als Maschinenmechaniker bei Lanz AG in Huttwil fand er eine Stelle im Zürcher Oberland, wo er noch etwa zwei Jahre arbeitete. 1975, im Alter von 24 Jahren, besuchte er Kanada das erste Mal, um dort als Sommerhilfe für ein Vierteljahr auf einer Rinderfarm im Westen von Kanada zu arbeiten. «Mit rund 200 Kühen mit Kälbern auf 640 ha Land gab es immer viel Arbeit», erinnert sich Schärer. Das Leben dort sei ein riesiger Unterschied zum Leben in der Schweiz gewesen: Denn die riesigen und unverbauten Weiten mit hunderten von Seen und ohne kleinliche Vorschriften haben dem damals 24-Jährigen auf Anhieb gefallen und imponiert, so dass eben «aus dem geplanten Vierteljahr ein halbes Jahr wurde.» Zurück in der Schweiz angekommen, entschied sich Peter Schärer nach einem nicht so guten Winter und nachdem er auch nicht die Arbeit fand, die er wollte, in Kanada einen zweiten Sommer zu verbringen.
Der damals 26-Jährige arbeitete als Traktorfahrer oder Cowboy und genoss die fast unbeschränkten Freizeit- möglichkeiten im Land. «Nach dem zweiten Sommer hier in St. Paul war mir klar, dass ich hier bleiben werde.» Seine Reise war ungewiss, doch sein Entscheid war gefallen. Wo seine Wege hinführen werden, wusste der junge Schweizer nicht. Doch das Glück war stets auf seiner Seite, wie er mehrfach betont.
14 Stunden Fahrt mit 75 Dollar
Peter Schärer erhielt eine Arbeitsbewilligung und hatte Glück, als er per Zufall den Personalchef von Takla Forest Industries in Fort St James BC kennenlernte, der ihn im Norden von British Columbia sofort in einem Sägewerk als Maschinemechaniker anstellte. «Ich lernte immer im richtigen Moment die richtigen Leute kennen», stellt Schärer sein Glück fest. Er kaufte sich ein Auto, Werkzeug und anderes und machte sich mit 75 Dollar in der Tasche und seinem limitierten Englisch auf den Weg zu seinem neuen Arbeitgeber. «Ich hatte eine 14-stündige Fahrt vor mir und keine Idee davon, was mich dort erwarten wird», erzählt Schärer. Doch das Glück war auf seiner Seite, denn einer der Mitarbeiter war ein Schweizer, der ihm nicht nur mit der Sprache, sondern auch in anderen Dingen aushelfen konnte. Dabei erinnert sich Peter Schärer ganz genau an seine ersten Worte: «So, vo der Schwyz chunnsch, he! Hei jo, nüt weder Vorschrifte und Bewiuigunge. Muesch e Bewiuigung ha für uf Toalettä. U bis se hesch, hesch zwöi Mou id Hose gmacht.»
Ab in die Selbstständigkeit
Nach zwei Jahren in Fort St. James, am Ende der Welt, hat sich Peter Schärer entschlossen in St. Paul, Alberta eine mechanische Werkstätte zu eröffnen. Nach Kauf der nötigen Maschinen, eröffnete er im Mai 1979, im Alter von 29 Jahren, seine eigene Werkstatt «Swisco Machining». Dass eine solche Werkstatt in der Umgebung fehlt, die mechanische Ersatzteile herstellt und Maschinen repariert, habe er während seinen zwei Jahren auf der Farm gemerkt: «Wenn eine Maschine kaputt ging, war im Umkreis von 150 Kilometern nirgends eine Werkstatt zu finden, die Maschinen reparierte», betont Schärer, der mit seiner Firma eine Marktlücke schloss und daher sofort mehr als genug Arbeit hatte. Seine Aufträge waren anfangs mehrheitlich für Farm- und Baumaschinen gedacht, später für die Saskalta Öl Industrie, für welche «Swisco Machining» noch bis heute Spezialwerkzeuge und Geräte herstellt und repariert. Peter Schärer startete als Einmann-Betrieb: «Qualifizierte Mechaniker zu finden, war nicht einfach», erinnert sich Schärer. Er habe deswegen die Leute selbst ausgebildet und auch im Oberaargau via Inserat nach Schweizer Arbeitskräften gesucht: So gelang auch der Hans Heiniger aus Rohrbach zu ihm, der jahrelang bei ihm war und vor fünf Jahren «Swisco Machining» gekauft hat. Nach dem Tod seiner Frau, die im Jahr 2006 an Krebs starb, hat sich der zweifache Vater einer Tochter und eines Sohnes langsam aus dem Geschäft zurückgezogen und die täglichen Arbeiten seinem langjährigen Mitarbeiter Hans Heiniger überlassen.
Kanadier wissen um Käse und Berge
«Hier im Midwest von Kanada ist die Schweiz so ziemlich unbekannt», weiss Schärer. Die Leute wissen zwar, dass es dort Berge und Käse gebe, aber dennoch werde die Schweiz fast immer mit Schweden verwechselt. Peter Schärer selbst ist die Schweiz vor allem zu eng und er stellt sie einem Bienenhaus gleich: «Ich sehe die Schweiz als sehr schön an mit wirklich tollen Traditionen, aber es hat mir viel zu viele Leute. Es ist wie in einem Bienenhaus.» Peter Schärer besucht die Schweiz alle zwei bis drei Jahre einmal während den Ferien, das letzte Mal vor vier Jahren zu einer Klassenzusammenkunft. «Die nächste geplante Reise in die Schweiz ist im Mai 2022», erwähnt er. Damit er trotzdem über die Leute, seine Region und allgemein über die Aktualitäten in der Schweiz informiert bleibt, liest er ab und zu den «Blick» und zwei Mal in der Woche den «Unter-Emmentaler», der jeweils eine Woche später bei ihm eintrifft. «Es ist interessant, Bekannte und Freunde in der Zeitung zu sehen.» Sein Schwager sagt sogar, er wäre besser informiert als er, der selbst dort wohne, schmunzelt Schärer. Beim Lesen diverser Zeitungen müsse er jedoch immer wieder feststellen, wie sich die Schweizer über absolute Kleinigkeiten aufregen können und dabei grössere Probleme ignorieren. «Jeder will alles besser wissen. Vor allem in der Politik», betont Schärer und findet, dass sie im Vergleich zur Schweiz in Kanada viel mehr dürfen. «Unsere Freiheiten werden (noch) nicht mit unzähligen Gesetzen, Vorschriften, Verboten oder von beschwerenden Nachbarn eingeengt.» Eines vermisst Peter Schärer aber dann doch: «Natürlich waren es am Anfang vor allem die Familie und Freunde. Die Berge gehören aber auch dazu.» Denn diese seien bei ihnen in Kanada 260 Kilometer entfernt.
Kanadisches Leben mit Freiheiten
«Leben kann man überall», betont Schärer, aber «dieses Lebensgefühl, das ich in Kanada habe, könnte ich in der Schweiz nicht haben.» So geniesst Peter Schärer bis heute seine unzähligen Freiheiten und die endlosen Weiten, die er in St. Paul, dem Seeland des kanadischen Staates Alberta, hat. Übrigens: Alberta ist rund 16 Mal grösser als die Schweiz. Grösstenteils flach mit den Rockies im Westen.
«In einem Umkreis von einer halben Stunde hat es hier 16 Seen», so seiner Erzählung nach. In den Genuss dieser Umgebung kommen regelmässig auch seine Angehörige: «Jedes Jahr gab es häufigen Schweizerbesuch.» 2008 hat Peter Schärer sich einen Traum erfüllt und am Lake Bellevue, ungefähr 25 Kilometer südlich von St. Paul, angefangen ein Haus nach seinen eigenen Ideen zu bauen. In zwei Jahren hat er im Alleingang bis zu 90 Prozent selbst fertiggestellt. «Ich bin stolz darauf, dass es ein «Show Home» geworden ist.» Zurzeit wohnt er alleine im Haus und lebt dabei Hand in Hand mit der Natur, umgeben von See und Wald. «Es ist genug Platz da für meine grosse Canada-Familie, aber auch für Schweizerbesuche.» So geht es an den Wochenenden jeweils etwas lauter zu und her, wenn ihn seine Patchwork Family oder seine Freunde besuchen: «Da die Veranstaltungen meistens weit weg sind, unternehme ich viel mehr mit ihnen. Wir campieren dann zusammen oder sitzen mit ein paar Wienerli und einem Bier am Feuer.» Zum Haus gehört noch eine beheizte Garage sowie ein Pavillion.
Campen, Golfen und Offroad fahren
Früher waren die Freizeitbeschäftigungen von Peter Schärer unter anderem das Camping und Skifahren in den Rockies, aber auch Wasserski, Snowmobil, Hockey oder Fischen haben ihn begeistert. Heute ist er mehr beim Campieren, Golfen sowie Snowmobil und Offroad Quading geblieben. «Ich habe hier Hunderte von Kilometer Trails direkt vor dem Haus», sagt Schärer begeistert. «Kanada ist übrigens ein Campingparadies», so Schärer weiter. Es gebe unzählige schöne Plätze, meist im Wald oder Busch mit viel Privatsphäre. «Früher gingen wir in die Rockies campen, vor allem Jasper the Kootenays und Nechako Valley. Heute mehr hier in Albertas Lake Land mit Hunderten von Seen, die ideal für Wassersport oder das Fischen sind.» Vielerorts gebe es auch ein Golfplatz in der Nähe. «Na dann, lets go.»
Von Chantal Bigler