Von diesem Projekt profitieren am Schluss alle
Die Bauarbeiten für die Realisierung des Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekts Kammernmoos in Huttwil sind im
vollen Gange. Vor kurzem sind die grossen Baumaschinen auf dem offenen Feld aufgefahren. Das 3,275 Millionen Franken teure
Projekt soll im kommenden Frühjahr abgeschlossen werden. Die erneuerte Badi im Krummacker erhielt die vorzeitige Baubewilligung damals nur dank dieses Projektes. Ebenso wichtig ist die Überbaubarkeit des eingezonten Industrielandes östlich der
Firma Trüssel.
Der Weierbach und das Ziegelwaldbächli stellen heute eine Gefahr für das Huttwiler Industriegebiet dar: Eingezwängt in ein enges Bett, wälzen sich die kleinen Bäche durch die Industrie, dem BLS-Trasse entlang in die Langete. Die beiden Bäche werden kurz nach dem Kammernwald in eine Bachleitung geführt. Im Hochwasserfall weist die Bachleitung zu wenig Querschnitt auf, so dass sich die Bachläufe über die Gemeindestrassen im Gebiet Rüttistalden entlasten. In der Folge werden Bauland, Strassen, Industriebauten und die Bahnlinie überflutet. Die Hochwasserschutzmassnahmen müssen ergriffen werden, da die Abflusskapazitäten der beiden Bäche zu gering und die bestehenden Systeme nicht robust genug sind, um ordnungsgemäss zu funktionieren (der «UE» berichtete). Die Herdgemeinde Huttwil wollte das Projekt rasch möglichst vorantreiben, da auf den bestehenden und noch freien Baulandparzellen keine Baubewilligungen mehr erteilt werden, bis ein entsprechendes Hochwasserschutzprojekt realisiert wird, welches den Bereich sichert. Der Herdgemeinde Huttwil geht es aber nicht primär darum, einen wirtschaftlichen Nutzen davon zu tragen, sondern mit dem Projekt auch etwas an die Bevölkerung zurückzugeben.
Industriegebiet vor Auswirkungen eines Hochwassers schützen
«Das Ziel der baulichen Massnahmen besteht darin, das Huttwiler Industriegebiet vor den Auswirkungen eines Hochwassers zu schützen», betont Roger Flückiger, Projektleiter der «c+s ingenieure AG» gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Die Hauptproblematik sei zudem, dass zwei Gewässer in das Industriegebiet fliessen und dort aktuell wegen der Hochwassergefahr ein Bauverbot herrscht, da die Bäche zu nahe am Bauland liegen beziehungsweise dieses durchqueren. Weiter ist der aktuelle Wasser-Durchlass zu gering und es ist in der Vergangenheit bereits zu Aufstauungen und Überschwemmungen gekommen. «Ein Teil der Huttwiler Industrie befindet sich daher in der Gefahrenzone», sagt Michael Minder von der Herdgemeinde Huttwil. Auf dem freien Bauland, welches die Herdgemeinde eingezont hat, werden bis zur Realisierung eines Hochwasserschutzprojekts keine Baubewilligungen erteilt. «Gestützt auf diese Faktoren hat die Herdgemeinde Huttwil, die wasserbaupflichtige Stelle wäre grundsätzlich immer die Einwohnergemeinde, aber weil die Herdgemeinde Baurechtsgeber ist, entschloss sich diese, entsprechende Massnahmen zu ergreifen», sagt Roger Flückiger weiter. «98 Prozent des für das Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekt benötigten Landes gehört der Herdgemeinde Huttwil und die restlichen zwei Prozent der Familie Bärtschi», erwähnt Christian Scheidegger von der Herdgemeinde. «Nur dank der angenehmen und wohlwollenden Zusammenarbeit mit der Familie Bärtschi konnte das Projekt schnell vorangetrieben werden», sagt Roger Flückiger. Die Bauarbeiten finden dort zwischen dem Viehstall und dem Bauernhaus statt. «Es ist nicht selbstverständlich, eine derart gute Zusammenarbeit mit der Herdgemeinde und dem Privatanstösser zu haben», führt der Projektleiter weiter aus.
Kooperation mit Einwohnergemeinde, um Subventionen zu erhalten
Für das Projekt entstehen Bruttokosten in Höhe von 3,275 Millionen Franken, die von der Herdgemeinde Huttwil bewilligt wurden. Wie viel die Herdgemeinde dann davon tatsächlich selbst berappen muss, steht noch aus, da die Höhe der Unterstützung von Bund und Kanton noch nicht festgelegt wurde. «Wir gehen aber derzeit von mindestens 70 % Subventionen aus», so Projektleiter Roger Flückiger. Weiter haben auch die BKW und die Mobiliar Gelder für das Revitalisierungsprojekt gesprochen, die mit ihren Fonds solche Projekte finanziell unterstützen. «Die Einwohnergemeinde Huttwil muss als Bauherrin auftreten, um die Subventionen überhaupt geltend machen zu können», sagt der Geschäftsleiter der Gemeindeverwaltung Huttwil, Martin Jampen, auf Anfrage. Bei den Vorbereitungen und der Umsetzung des Projekts hat die Einwohnergemeinde zudem ohne Kostenverrechnung mitgewirkt und nimmt an den jeweiligen Bausitzungen teil. Weiter läuft die gesamte finanzielle Abwicklung über die Finanzverwaltung der Gemeinde. «Das Projekt wird nach Abschluss durch die Gemeinde Huttwil unterhalten und die Kosten fallen somit zu deren Lasten», so Jampen weiter. «Diese Regelungen wurden im Erschliessungsvertrag ‹Kammernmoos› zwischen der Herdgemeinde Huttwil, der Einwohnergemeinde Huttwil und durch die Industriellen Betriebe Huttwil AG geregelt», so der Geschäftsleiter abschliessend.
Nun sind die Baumaschinen auf dem Feld aufgefahren
Mit der Umlegung des Weierbachs und des Ziegelwaldbächlis wird das Industriegebiet Rüttistalden/Kammernmoos zukünftig besser vor einem Hochwasser geschützt. Der Weierbach wird neu offen entlang eines Weges geführt, der parallel zum Waldrand Richtung Ziegelacker führt. Bei der Mündungsstelle des Ziegelwaldbächlis wird ein Teich erstellt. Anfangs September sind nun die grossen Baumaschinen und Bagger aufs offene Feld gefahren. Der Humus wurde entfernt und die Aushebungen für den neuen Bach sind im vollen Gange. Für das rund 1300 Meter lange Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekt werden bis zum Abschluss rund 20 000 Kubikmeter Umschlag nötig sein. Während der längste Teil hindurch offen durch den Wald und das Feld fliesst, erreicht das Wasser später die 100cm grosse Eindohlung, die unterirdisch, über den Hang hinab via Rüttistalden in die Langete weiterfliesst.
Ohne dieses Projekt hätte die Badi keine Chance gehabt
Die Waldrodungen haben im Frühjahr 2024 begonnen. Die gesamte Rodungsfläche wird an Ort und Stelle wieder aufgeforstet. «Die regnerischen Witterungsbedingungen waren zu diesem Zeitpunkt schlecht und auch der Baugrund war im Wald unerwartet schlecht», so Roger Flückiger. Daher mussten die Verantwortlichen einen aufwendigen und pfahlbauartigen Dammaufbau erstellen. Beim Bau wurde zudem eine 13 Meter lange Höhle entdeckt. Man geht aktuell davon aus, dass dort früher nach Wasser gegraben worden ist. Der Umweltschutz und die Ökologie sind bei diesem Projekt ebenso von besonderer Bedeutung. Zusammen mit dem Wald wird ein Naturerholungsgebiet geschaffen, von dem am Schluss alle profitieren. «Wenn dann zum Beispiel beim Teich ein Grossvater mit seinem Enkelkind die Enten füttern kann, ist das doch etwas Wundervolles», sagt Projektleiter Roger Flückiger. Wenn die Herdgemeinde kein Hochwasserschutzprojekt lanciert hätte, hätte die Gemeinde Huttwil die erneuerte Badi im Krummacker nicht bauen können, da diese in der Gefahrenzone liegt. Dafür wurde damals eine vorzeitige Ausnahmebewilligung erteilt. Wäre das Hochwasserschutzprojekt nicht bereits unter Dach und Fach gewesen, hätte die Badi nicht erneuert werden dürfen. Auch die Überbaubarkeit des eingezonten Industrielands östlich der Firma Trüssel wäre ohne dieses Projekt nicht möglich.
Auswärtige Firma realisiert Projekt, da Einheimischen Referenzen fehlen
Man musste das Projekt vor Baubeginn öffentlich ausschreiben, damals in der Hoffnung, dass eine Huttwiler Baufirma das Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekt realisieren kann. Doch schlussendlich musste man auf die Kästli Bau AG aus Rubigen ausweichen, da diese Firma auf solche Projekte spezialisiert ist und die entsprechenden Erfahrungen hat. «Den einheimischen Baufirmen fehlten die entsprechenden Referenzen für ein solches Projekt», sagt Michael Minder. «Schliesslich haben sie es verstanden, dass wir uns für eine Firma ausserhalb von Huttwil entscheiden mussten.» Der Hochwasserschutzbau, welcher in Huttwil an den Tag gelegt wird, entspricht laut mehreren unabhängigen Fachquellen allerhöchster Qualität. Huttwil kann sich neben einem sichereren Industriegebiet auch auf die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume freuen, von welchen am Schluss alle profitieren werden.
Von Yanick Kurth