Von Hexenverbrennungen und übler Spionage
Der ehemalige Langenthaler Pfarrer und Regionalhistoriker Simon Kuert bot im Kulturspycher Roggwil eine aufwendige Ausstellung zur Geschichte des Oberaargaus und das spannende Referat «Die Bedeutung des Amtes Aarwangen bei der Entstehung des neuen Bundesstaates von 1848». Kuert erinnerte in selbst erstellten Filmen unter anderem an Hexenverbrennungen beim Schloss Aarwangen (1577 bis 1628) und an Hieronimus von Erlach (1667 bis 1747), der Landvogt und Spion zugleich war.
Roggwil · Historisch Interessierte kamen voll auf ihre Kosten. Im Auftrag des Kultur- und Museumsvereins Roggwil präsentierte Simon Kuert, Historiker und ehemaliger Stadtchronist Langenthals, im Roggwiler Kulturspycher eine kleine, feine, mit viel Aufwand und Herzblut entstandene Ausstellung zum ehemaligen Amtsbezirk Aarwangen, der per 1. Januar 2010 aufgehoben und zusammen mit dem Amtsbezirk Wangen sowie den vier Gemeinden des Amtes Trachselwald Eriswil, Huttwil, Walterswil und Wyssachen zum Verwaltungskreis Oberaargau wurde. Im Untergeschoss des Kulturspychers waren die Wappen des Amtsbezirks Aar-wangen zu sehen – mit Fokus auf Roggwil, Aarwangen, Wynau und Langenthal. Bei Letzterem waren das alte und das neue Wappen zu sehen. Dazu hiess es: «In Gold drei blaue Rechtsschrägwellenbalken. Das alte Wappen war schon vor 1700 bekannt. Es könnte einen Bezug haben zum praktisch identischen Wappen der Zisterzienser (bis 1803 Grundherren von Langenthal).»
Wilhelm von Grünenbergs Verkauf
Ein Eldorado an historischen Dokumenten bot das Obergeschoss des Kul-turspychers – mit einer Präsentation über die Geschichte des Oberaargaus. «1340: Bern steht vor den Toren Hutt-wils», war zu lesen. Auf einer Urkunde von 1432 stand: «Wilhelm von Grünenberg verkauft Bern die Herrschaft Aarwangen mit Schloss und Brücke für 8400 Rheinische Gulden.» Auffallend war das Bild einer Hexenverbrennung. Der Text dazu: «Zwischen 1577 und 1628 werden beim Schloss Aarwangen gegen 20 Hexen geprüft, gefoltert und verbrannt.» Auf einer Tafel stand: «Die Landvogtei Aarwangen emanzipiert sich im Laufe des 16. Jahrhunderts von der Grafschaft Wangen und wird zu einer der reichsten Landvogteien im Kanton Bern. Nach der Reformation kam auch die Johanniterherrschaft Thunstetten und 1580 die geistliche Grundherrschaft Roggwil/Wynau zu Bern.» Beim Rundgang durch die Ausstellung blickte Simon Kuert auf Zeiten zurück, als in der Landvogtei Aarwan-gen zwei bedeutende Persönlichkeiten regierten: Johann Friedrich Willading (1641 bis 1718) und Hieronimus von Erlach (1667 bis 1748).
Hieronimus von Erlach war Spion
Hieronimus von Erlach verheiratete sich 1696 zum zweiten Mal. Nach Françoise Trouette de Montrassier nun mit Anna Margaretha Willading, der Tochter von Johann Friedrich Willading. Sie galt als reichste Berner Tochter. Hieronimus war Oberst in österreichischen Diensten, Kammerherr des Kaisers, Welschseckelmeister und Schultheiss zu Bern. Simon Kuert zeigte die politische Karriere des Hieronimus von Erlach auf. Diese begann 1702 mit der Wahl in den Grossen Rat. 1707 wurde er als Landvogt in die einträglichste Vogtei im Kanton gewählt. Von Erlach war eine zwielichtige Figur, schrieb er doch aus Aarwangen Spionageberichte ins französische Lager. Der Beweis: Zwei an der Ausstellung präsentierte Schreiben haben die gleiche Handschrift – eines geschrieben als Hieronimus von Erlach, das andere als Baron d’Elcin. Hieronimus zeichnete sich vordergründig aus als Heeresführer während des spanischen Erb-folgekriegs bei den Kämpfen am Unterrhein – in kaiserlichen Diensten. Zugleich aber spionierte er als Baron d’Elcin für Frankreich. Die Franzosen erpressten ihn wegen seiner Apostasie und Bigamie, die in Bern geheim bleiben musste. So meldete er den Franzosen Pläne über Stellungen und Bewegungen der kaiserlichen Truppen – auch bei der Schlacht von Rümersheim in Frankreich, wo Tausende Soldaten auch aus seinem Regiment das Leben lassen mussten, weil er den Angriffsplan verraten hatte. «Bern stürzt», hiess es zu einem mit 1798 datierten Bild – und «Auch im Oberaargau tanzt das Volk um den Freiheitsbaum. Die Zeit der ‹gnädigen Herren› ist vorbei. Die Oberaargauer Elite begrüsst Berns Sturz.» Für die am 12. April 1798 ausgerufene und am 10. März 1803 aufgelöste Helvetische Republik wurde der Oberaargau in die drei Distrikte Wangen, Langenthal und Niederemmental aufgeteilt – regiert von Distriktvorstehern. Der Oberaargau blieb bei Bern. Er formierte sich in den Ober-ämtern Wangen, Aarwangen und Trachselwald. 1840 plante Regierungsrat Stämpfli ein Amt Oberaargau mit Herzogenbuchsee als Hauptort.
Die Regierungsstatthalter ab 1831
Aufgelistet im Kulturspycher in Rogg-wil waren auch die ehemaligen Regierungsstatthalter des Amts Aarwangen. Der Lotzwiler Jakob Buchmüller (1831 bis 1844) war der erste Regierungsstatthalter, der Langenthaler Martin Lerch (1989 bis 2009) der letzte. In der Mediations- und Restaurationszeit (1803 bis 1831) haben Oberamtmänner regiert – unter anderem auch Sigmund Emanuel Hartmann (1803 bis 1827). Hartmann sei, so Simon Kuert, berüchtigt gewesen. Er habe während der Restaurationszeit im Schloss Aar-wangen beziehungsweise im Schloss Thunstetten residiert, sei «ein Reaktionär der schlimmsten Sorte gewesen» und habe den Langenthaler Philosophen Andreas Dennler verurteilt, weil dieser an seinen Fensterläden religionskritische Karikaturen habe malen lassen. Auf der Tafel mit den Regierungsstatthaltern ging hervor, dass Martin Lerchs Vorgänger Emil Schaffer 35 Jahre und damit mit Abstand am längsten im Amt war – von 1953 bis 1988. Die Filme «Die Geschichte des Oberaargaus», «Der historische Umzug von Wangen aus dem Jahr 1957» und «Zwei bedeutende Landvögte in der Landvogtei Aarwan-gen» bereicherten die eindrückliche Ausstellung im Kulturspycher Roggwil.
«Das Rütli des 19. Jahrhunderts»
Unter dem Titel «Das Rütli des 19. Jahrhunderts» stand der Vortrag der besonderen Art von Simon Kuert in der Aula des Oberstufenzentrums Rogg-wil zum Abschluss der Ausstellung. Im Zentrum standen Ereignisse im Ober-aargau, über die in der Zeit vor dem Entstehen der neuen Bundesverfassung (1822 bis 1848) die damaligen Zeitungen berichteten. Der Referent blickte auf die Restaurationszeit (1814 bis 1830) zurück. Damals fand in Lan-genthal ein erstes nationales Fest statt, über das die wichtigsten Zeitungen der Schweiz berichteten und «Der Erzähler» aus St. Gallen den Ort Lan-gen-thal beziehungsweise den Musterplatz als «Rütli des 19. Jahrhunderts» bezeichnete. Dieses Langentha-ler Offiziersfest sei das erste Fest gewesen, an dem sich vor genau 200 Jahren Offiziere aus dem ganzen Land versammelten. Neben den Militärs hätten sich hier 15 000 national gesinnte Leute getroffen und sich gegenseitig versichert, die Werte der Eidgenossenschaft hochzuhalten und sich gegen äussere Feinde zu verteidigen. Die Veranstalter des Festes wurden gelobt – auch die Behörden und die Bevölkerung. Alle hätten einen «erfrischenden und günstigen Sinn» an den Tag gelegt und «den hübschen Flecken geschmackvoll und heiter verziert».
Bereits ein paar Jahrzehnte zuvor war dem Göttinger Philosophen Professor Christoph Meiners der schöne Flecken Lan-genthal aufgefallen. In seinem Buch schrieb er Ende des 18. Jahrhunderts in Erinnerung an seine Reisen durch die Schweiz, die Region und besonders über Langenthal: «Es ist gewiss einer der schönsten und reichsten Flecken in Europa.» Simon Kuert entführte das Publikum auch in die Zeit kurz nach 1820, wo zwei in der Langenthaler Marktgasse domizilierte Persönlichkeiten in die ganze Schweiz ausgestrahlt hätten: Apotheker Friedrich Dennler – die Dennler’sche Apotheke gibt es noch heute – auf der rechten Strassenseite und «Kreuz»-Wirt Abraham Friedrich Geiser gleich gegenüber. Beide hätten eine Tochter des reichen Tuchhändlers und Amtsrichters Abraham Rüegger geheiratet. Sein Stoff sei weltweit erfolgreich gehandelt worden.
Referent Kuert erwähnte auch die 1761 gegründete «Helvetische Gesellschaft». Deren Präsident Johann Heinrich Pestalozzi habe Langenthal wegen seiner liberalen Gesinnung und der Offenheit der Behörde als Tagungsort gewählt und hier am 26. April 1826 seine letzte Rede gehalten, ehe er am 17. Februar 1827 verstarb. 127 Mitglieder und viele Gäste – unter ihnen der junge Vikar Albert Bitzius (Jeremias Gotthelf) aus Herzo-genbuchsee – seien im grossen Bärensaal versammelt gewesen. Der engagierte Referent informierte auch über das Entstehen der Gemeinden im Kanton Bern im Laufe des 19. Jahrhunderts, wo das Gemeindegesetz von 1833 die Aufteilung in Einwohnergemeinde und Burgergemeinde und eine klare Ausscheidung der Güter verlangte.
Ja zur Bundesverfassung von 1848
Der Kanton Bern hat sich am 6. August 1848 in der Abstimmung mit 76 Prozent Ja- zu 24 Prozent Nein-Stimmen zur neuen Bundesverfassung bekannt – in Langenthal praktisch zu 100 Prozent. Dieses Ergebnis sei, so Simon Kuert, am 12. September 1848 auf dem Märit verkündet worden – begleitet von 100 Böllerschüssen auf dem Hinterberg (Eichwald). In der dreimal pro Woche erscheinenden ersten Ober-aargauer Zeitung «Der Vaterländische Pilger» war anderntags zu lesen: «Lichterlohn prangte in der Höhe am Eichwalde bis Mitternacht ein eidgenössisches Kreuz, unten im Dorf Illumination und Feuerwerk. In den Fenstern der Eisenhandlung in der Marktgasse wurde ein schönes Transparent aufgehängt, mit dem eidgenössischen Kreuz, den Bannern der 22 Kantone und einer leuchtenden Sonne.»
Nach einer Stunde war Kuerts Vortrag «Die Bedeutung des Amtes Aarwangen bei der Entstehung des neuen Bundesstaates von 1848» beendet, und das fast 50-köpfige Publikum spendete dem Referenten für dessen spannenden Vortrag sowie dessen bewundernswerte Aufarbeitung der Geschichte anerkennenden Applaus.
Von Hans Mathys