Von Maibäumen und Maiblumen
Heute stehen sie wieder – die Maibäume – vor den Fenstern der umworbenen Mädchen oder auf den Dorfplätzen und lassen buntfarbige Bänder und Girlanden im Winde wehen. Der schöne Frühlingsbrauch – der immer wieder aber auch zu obrigkeitlichen Interventionen führte – erfreut sich in den letzten Jahren vermehrter Verbreitung.
Region · Was vor dreissig Jahren fast ausschliesslich im unteren Emmental üblich war, hat sich mittlerweile auch in den oberen Gemeinden des Emmentals heimisch gemacht. Überall sind die schmucken «Maitannli» zu bestaunen und dort, wo unerwarteterweise keine stehen, gibt es am 1.-Mai-Morgen oft enttäuschte Gesichter.
Jungfrau von Orléans
Jedes Brauchtum hatte einmal seinen Anfang, so auch jener vom Maibaum. Eine Wurzel geht zurück in die traurige Geschichte der Hexenverbrennungen. Den Akten des Prozesses gegen die Jungfrau von Orléans – der Jeanne d’Arc – ist zu entnehmen, dass ums Jahr 1430 beim lothringischen Dorf Domrémy eine Buche stand, die vom Volk Frauen-Baum oder auch Feen-Baum genannt wurde. Die Mädchen des Dorfes, und Johanna mit ihnen, spazierten oft zu diesem Baum und wanden dort zu Ehren einer seligen Maria Kränze. Auch wurden solche an die Äste des Baumes gehängt und nach einer gewissen Zeit wieder weggenommen. Gemeinsam mit den Knaben tanzten sie um den Stamm. Diese Buche wurde auch Maibaum genannt, weil nach dem Volksglauben von dort «der Mai herkommt».
Im zweiten Teil des Prozesses, in dem es darum ging, Johanna zur Hexe zu stempeln, gab die Angeklagte zu, zur Zeit, da sie für Frankreichs Befreiung eingestanden sei, habe sie sich öfters allein zu diesem Feen-Baum begeben, habe Kränze aufgehängt, ihn tanzend umgangen und dazu Zauberlieder gesungen.
Nun, die Geschichte belegt es. Die junge Freiheitskämpferin wurde in einem kirchlichen Verfahren am 30. Mai 1431 erst 19-jährig öffentlich auf einem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt. Da tröstet wenig, dass sie 1909 von Papst Pius X selig- und 1920 von Papst Benedikt XV gar heiliggesprochen wurde.
Im Wald junge Bäume holen
In der Stadt Bern war es zu Beginn des 16. Jahrhunderts Brauch, dass man am Vorabend des 1. Mai im Walde junge Bäume holte und vor seinem Haus aufpflanzte. Das geschah nicht nur aus freudigem Lebensgefühl heraus, unbewusst bestand wohl ein mystisch-religiöser Grund. Wohl weil dieser längst nicht mehr bei allen bekannt war und ein solches jährlich wiederkehrendes Tun dem Bremgartenwald höchst abträglich wurde, verordnete die bernische Obrigkeit am 27. April 1536 unter Androhung grosser Strafe, dass hinfort niemand mehr «einen Meyen vor sin Hus stecken» noch einen solchen «houwen» dürfe.
Sonntagsentheiligung
Im ländlichen Raum spielte die «Maitanne», die «Mailatte» oder auch der «Maibaum» bei der Jungmannschaft immer eine wichtigere Rolle. Verschiedenste Gerichtshändel und Verbote der Behörden geben uns Kunde davon. Das Wort «Mailatte» deutet darauf hin, dass man nicht einen Baum, wie er im Wald gefällt worden war, vor ein Haus aufstellte, sondern ihn vorher bis gegen den Wipfel hinauf entastete und entrindete. Im Trub wurde 1681 ein solches Geschäft in der Nacht vor dem ersten Maisonntag beim Hause des auserwählten Mädchens vollbracht. Und zwar halfen auch die Tochter und ihr Bruder gleichsam mit. Der Anlass dauerte offenbar die ganze Nacht hindurch und erst am Sonntagmorgen wurden «Späne, Äste und Rinden von diesem Meyen ums Haus weggeräumt». Eine derartige Sonntagsentheiligung musste natürlich vom Sittengericht geahndet werden.
Baum für «mannbare» Töchter
Dutzende, ja hunderte von Maibäumen wurden und werden Land auf Land ab vor die Häuser beliebter, «mannbarer» Töchter gesetzt. Geschlagen wurden und werden sie meist in Gemeindewaldungen, oft ohne lange zu fragen. Burschen, die ihre Auserwählte ehren wollten, stifteten den «Maien» aber meistens aus
elterlichem Besitz.
In früheren Zeiten schmückten die Maibäume die Hausfassade in der Regel acht bis vierzehn Tage, ehe sie wieder verschwanden, nicht aber ohne spendierten Speis und Trank. Dass dabei die Geehrte und wohl auch ihre Eltern dem Auserwählten durch Worte, Blicke und andere Zeichen ein Einvernehmen bezeugten, war selbstverständlich. In den letzten Jahren wurde es üblich, dass Maibäume bis Ende Monat stehen und die Einladung zu Speis und Trank am 31. Mai oder anfangs Juni erfolgen. Schön wäre es, wenn dieser Brauch im Corona-Jahr 2020 am ordentlichen Datum stattfinden könnte.
Übelbeleumdete Mädchen
Übelbeleumdete Mädchen wurden gelegentlich durch einen verschandelten «Meyen» angeprangert. Im Chorgerichtsmanual von Lauperswil ist ein solcher «Fall» anschaulich beschrieben. Am 11. Juni 1702 klagte die Flösser-Tochter Katharina Röthlisberger, dass ihr am Freitag, den 11. Mai, vier Mädchen «ein Meyen hinder das Haus gesteckt». Es war ein «Tänngrotzli», auf welchem zuoberst ein Kohlkopf mit einem Hut steckte. Weiter unten hing ein «Bättlerbündel von Lumpen». Der ganze «Grotzen war umhenkt von Hudlen und einem Hemli». Darin steckte «unden drein ein grosser Knebel von einem Zaunstecken».
Wo ein allzu intimer Verkehr zwischen zwei jungen Dorfleuten bekannt war, legte die Jungmannschaft auch etwa in der Nacht auf den 1. Mai einen Sägemehl- oder Spreu-Streifen von einem Haus zum anderen und jedermann wusste, was das zu bedeuten hatte. Dieser Brauch war über die Schweiz hinaus bekannt. Lässt doch Goethe
in «Faust» die Lieschen von der gefallenen Bärbel sagen, wenn diese Hochzeit hielte: «Das Kränzel reissen die Buben ihr, und Häckerling streuen wir vor die Tür.»
Maiblumen
Im Vordergrund fast sämtlicher Maibräuche stehen das neu ersprossene Grün und die Blumen, dass wir mit «Meie» geradezu den Blumenstrauss bezeichnen können.
Der Mai ist auch der Marienmonat. Seine Blumen sind mit einer Ausnahme weiss und heissen deshalb auch Maienblumen. Zu ihnen gehören das Meierisli, das Gänseblümlein, die Lilie und der Waldmeister. Ihr Grün wird als liturgisch beruhigend und zugleich als Symbol der Auferstehung gedeutet. Mit dem Waldmeier-Trunk verband sich einst die Hoffnung, sich die Auferstehung einzuverleiben. Die heutige Maibowle hat mit diesem Glauben wohl kaum mehr etwas zu tun. Hingegen erinnert uns die einzige Ausnahme in der Blumenfarbe, die Schlüsselblume, mit ihrem volkstümlichen Namen «Himmelsschlüsseli» noch immer an die einstige Verehrung, die man den Marienblumen entgegenbrachte.
Schutz vor Krankheiten
Die sagenumwobene Walpurgisnacht vereinigte in der Nacht auf den 1. Mai nicht nur die Hexen auf dem Bocksberg, sie rief auch die Glücks- und Segensmächte auf den Plan. Wer in dieser Nacht Tau sammelte – oder besser noch, sich darin wälzte – reinigte sich von Krankheiten und Gebrechen und schützte sich gleichzeitig vor ihnen. Vermögende Schichten benützten dazu duftende Essenzen, vornehmlich vom Lavendel, dem sie damit zu seinem Namen verhalfen, denn er leitet sich vom italienischen «lavare» ab.
Wunamonat wird zum Wonnemonat
Mit Wonne verbinden wir heutigen Menschen etwas Schönes, Glückseliges. Dies allerdings erst, seit der Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung verfremdet wurde. Wonne leitet sich vom althochdeutschen «Wuna» ab, was damals soviel hiess wie: «Das Vieh zur Wun», zum ersten Laub im Wald, treiben, damit es nach der langen, kargen Winterfütterung wieder einmal genug fressen konnte und nicht mehr ausschliesslich mit dem vom Dache als Ersatz geholten Stroh vorliebnehmen musste.
Das Durchfüttern im Winter war in früheren Zeiten recht problematisch. Die von der Obrigkeit vorgeschriebene, nach heutigen Begriffen auf ein Minimum beschränkte Stückzahl an Stalltieren schloss eine natürliche Düngung aus. Künstlicher Ersatz war nicht vorhanden. Dementsprechend fiel auch die Heuernte aus. Später wurde die Wuna verfremdet und zur Wonne umgewandelt. Aus dem Wunamonat wurde der Wonnemonat, der in seiner Blumen- und Blütenpracht vom Menschen als etwas Glückseliges empfunden wurde und wird.
Von Fritz von Gunten