• Wenn sich Walter Ryser so richtig erholen will, liest er gerne ein Buch auf seinem grossen Balkon. · Bild: Thomas Peter

23.07.2020
Region

Walter Ryser: «Ich bin ein Lokaljournalist mit Leib und Seele»

Kaum einer kennt die Medienlandschaft im Oberaargau so intensiv wie Walter Ryser. Seit über 40 Jahren ist er als Redaktor und Vollblut-Lokaljournalist mit Notizblock und Kamera unterwegs. Gegen 10 000 Artikel dürfte er verfasst haben und ist weiter unermüdlich im Einsatz. Für ihn ist der «Unter-Emmentaler» nicht einfach eine gedruckte Lokalzeitung, sondern als 145-jähriges Kulturgut ein Fels in der Brandung, Coronavirus und Digitalisierung zum Trotz.

Zeitungsmacher · «Du bist ein Tausendsassa!» Walter Ryser lacht verschmitzt und seine Augen verraten: Er findet Gefallen an diesem Titel, der ihm im Gespräch gerade verliehen wurde. «Ja, das trifft es wohl.» Eben hat er aufgezählt, wo er sich gegenwärtig überall beruflich wie privat engagiert. Und die Liste ist lang, enorm lang: Gewerbeverein Langenthal, Vorstand Verein SC Langenthal, OK Schwingfest 2021 in Ursenbach, OK Freilichtspiel Burechrieg 2021 in Huttwil, Vereine Arena Oberaargau, OK «glatte märit» und und und ... Daneben noch Unternehmer der Werbeagentur «textwerk» GmbH und vor allem Leiter Medien «Unter-Emmentaler».

Eine starke Frau an der Seite
Hat man da überhaupt noch Zeit für ein Privatleben? «Bei mir sind Beruf und Privates eng ineinander verwoben. Es ist ein fliessender Übergang zwischen Arbeits- und Freizeit.» Während andere darob wohl die Augen verdrehen würden, sagt Walter Ryser dies aber voller Begeisterung. «Es ist ein Privileg, denn ich konnte mein ganzes Leben lang das machen, was mir auch Spass bereitet.» Natürlich sei da zwischendurch das Familienleben manchmal etwas zu kurz gekommen. Andererseits gab es Familienausflüge, die vor allem dank dem Beruf von Walter Ryser möglich waren: Gemeinsame Besuche von Fussball-Länderspielen oder Tennismatches, zusammen mit Jeanette und den beiden Kindern Leroy (1991) und Jessica (1993). «Auch heute noch sind wir oft als ganze Familie gemeinsam im Schoren beim SC Langenthal anzutreffen. Meine Frau Jeanette hat zwar auch schon darauf hingewiesen, dass sie ‹im Fau› auch noch da ist. Doch muss ich ihr ein Kränzchen winden. Sie hat mich bei so vielen Projekten aktiv unterstützt. Ohne ihre Unterstützung wäre das alles nicht möglich gewesen.»

Gut 10 000 Artikel geschrieben
Wie ist der Ende Juni 60 Jahre alt gewordene «Wale» überhaupt zum Journalismus gekommen? «Ernst Amsler, mein Lehrer in Ursenbach», nennt Walter Ryser sogleich einen Namen. «Der hat gemerkt, dass ich offenbar ein schreibendes Talent habe», erinnert sich Walter Ryser. So hat ihn der Lehrer angefragt, ob er nicht Ortskorrespondent werden wolle. Der damals 14-Jährige musste nicht lange überlegen und schrieb schon bald die ersten Nekrologe und Gratulationen: «Es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl, als ich einen ersten Text von mir in der Zeitung lesen durfte. Das hat mich sehr stolz gemacht.»
Es ist selbstverständlich nicht beim ersten Text geblieben. Wie viele Artikel sind es inzwischen über 40 Jahre später? «Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht gegen 10 000. Ich habe jeden Artikel, der erschienen ist, feinsäuberlich auf die Seite gelegt.» Als ihn seine Frau kennengelernt hatte, stapelten sich die Zeitungsausschnitte in seinem Büro bis an die Decke. «Jeanette hat dann begonnen, die Artikel auf Papier zu kleben und in Ordnern zu katalogisieren.»

Journalisten haben ein grosse Ego
Jetzt, 10 000 Artikel später: Wird man da nicht schreibmüde? «Dieses schöne Gefühl, das ich beim ersten veröffentlichten Artikel haben durfte, hat die ganze Zeit bis zum heutigen Tag überlebt. Es ist ein enorm spannendes Metier.» Er geniesse das Privileg, über Veranstaltungen schreiben zu dürfen für andere, die nicht daran haben teilnehmen können.
Besteht dabei nicht gelegentlich auch die Verlockung, andere zu manipulieren? «Unter Journalisten ist das Ego teilweise sehr gross. Manche haben das Gefühl, sie seien die Drehscheibe der Macht», gibt Walter Ryser unumwunden zu. Und ein Journalist habe natürlich eine gewisse Macht. Je nachdem, wie er die Worte wählt, kann ein Artikel eine andere Bedeutung erhalten. «Aber es war für mich in keinster Weise ein Ziel, dies zu missbrauchen. Ich bin kein Weltverbesserer, ich bin Berichterstatter.» Schreiben sei für ihn ein Handwerk. Ein Journalist hoble und feile an Texten und Worten wie ein Schreiner am Holz.

Noch eine echte Lokalzeitung
Dabei geniesse er die Vielseitigkeit des Lokaljournalisten. Er schreibe über Politik, das Dorflädeli oder mache Porträts über besondere Menschen. «Ich bin mit Leib und Seele ein Lokaljournalist. Lokaljournalismus ist ein kostbares Gut, das man erhalten soll», bekennt sich Walter Ryser. Dies hat ihn auch so motiviert, für den «Unter-Emmentaler» tätig zu sein, als er vor acht Jahren vom aufgekauften Langenthaler Tagblatt wegging, wo er während drei Jahren Redaktionsleiter war. Zuvor war er während 17 Jahren Sport­redaktor bei der Solothurner Zeitung. Und nun nach «Huttu» in die mediale Provinz? Ist das nicht ein Abstieg? Walter Ryser sieht das ganz anders: «Die Verleger haben beim Lokaljournalismus massiv gespart und ihn abgewertet, obwohl sie nach aussen genau das Gegenteil behaupten», macht Walter Ryser deutlich, dass er sich mit der aktuellen Entwicklung nicht identifizieren kann. «Durch Internet und Digitalisierung ist sehr vieles verloren gegangen, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann», ist er überzeugt.
«Der ‹Unter-Emmentaler› ist hier ein Gegenpol, ein Fels in der Brandung. Hier wird mit Liebe und Herzblut eine Lokalzeitung herausgegeben, die diesen Namen wirklich verdient.» Gerade in der Corona-Zeit habe man gespürt, wie wichtig doch die eigene Region ist, in der man lebt. «Die Menschen haben sich auf ihren kleinen Kreis, die Familie, das Dorf zurückbesonnen.

Nach Langenthal ausgeweitet
Das zeigt, dass auch im 21. Jahrhundert eine Lokalzeitung, die über das Geschehen im Dorf informiert, eine wichtige Aufgabe und Bedeutung hat.»
Als Leiter Medien helfe er dank seinem Wissen und seinen Kontakten mit, die Druckerei Schürch und den «Unter-Emmentaler» strategisch und auch redaktionell aktiv zu unterstützen. Hier sei natürlich sein Netzwerk,  das er durch seine vielen Aufgaben und mit seiner Werbeagentur «artext», die er im vergangenen Jahr verkauft hatte, und «textwerk» sehr hilfreich. «Bis heute ist es uns gelungen, die Zeitung nicht einfach nur am Leben zu erhalten. Wir haben einen festen Platz in der Region», freut sich Walter Ryser.
Seit er beim «UE» ist, wurde unter anderem die Vierfarbigkeit eingeführt, ein neues Layout gestaltet und das Gebiet Richtung Langenthal erweitert, wo eine immer grössere Zahl den «UE» abonniert hat.
Der «UE» ist aber auch auf dem Internet und Facebook aktiv, ist das nicht ein Widerspruch zum Bekenntnis zur gedruckten Zeitung? «Es wäre verheerend, wenn wir da nicht präsent wären», gibt Walter Ryser zu bedenken. «Ich bin nach wie vor dagegen, dass wir gratis etwas online zur Verfügung stellen, bevor es in der gedruckten Zeitung ist. Dieser Trend war und ist Hauptgrund für den Niedergang der Medienlandschaft und ist nicht mehr rückgängig zu machen.»
Der «UE» biete aber nicht den ganzen Inhalt online an, sondern nur häppchenweise, nachdem er in der gedruckten Zeitung war. «Dies ist eine hervorragende Plattform, um Leser ‹gluschtig› auf den ‹UE› zu machen.» Und das Echo zeige: «Geschichten mit Lokalkolorit sind sehr beliebt. Im Vergleich zu anderen Medien sind wir sowohl von den Abonnenten- wie auch Inseratezahlen stabil unterwegs trotz Corona-Zeit.»

Ein Unfall beendet Sportaktivitäten
Und was macht ein Walter Ryser, wenn er mal so richtig abschalten will? «Sport hatte bei mir immer einen sehr gros­sen Stellenwert. Ich spielte während 20 Jahren beim FC Lotzwil-Madiswil mit. Ich trainierte während 17 Jahren Junioren in Langenthal und Lotzwil, ich spielte hobbymässig Tennis», blickt Walter Ryser zurück, bis auf jenen Tag im Jahre 2013 in Huttwil, der sein sportliches Leben veränderte. «Ein Lieferwagen geriet plötzlich auf meine Fahrspur und traf mein Auto frontal», erinnert er sich, viel nachdenklicher als man ihn sonst kennt. Der Airbag ging auf, er verlor kurz das Bewusstsein. «Ich erlitt ein schweres Schleudertrauma.»
Dank Therapie waren die unmittelbaren Folgen dieses Schleudertraumas zwar nach 15 Monaten weg. «Seither kann ich aber keinen Sport mehr betreiben.» Nicht einfach für jemanden, der pro Woche drei bis vier Mal auf dem Sportplatz stand. Dennoch: «Ich bin eigentlich erstaunt, dass ich dies so akzeptieren kann, nicht mehr sportlich aktiv sein zu können. Wenn ich allerdings jeweils im Frühling vor einem frisch gemähten Rasen stehe, würde es mich schon reizen. Aber es geht einfach nicht», muss er sich eingestehen. «Meine Frau und ich gehen dafür jetzt oft genussvoll wandern», kehrt im Gespräch sein ungebrochener Optimismus aber schnell zurück.

TV und ein gutes Buch: Erholung pur
«Mein grösstes Hobby ist Fernseh schauen.» Walter Ryser lacht, weil er sich all die rümpfenden Nasen vor Augen hält. «Es ist aber so. Das ist für mich Erholung pur. Ich kann mich so richtig entspannen und abschalten.» Er sei aber kein Zapper, sondern schaue sehr gezielt. Am liebsten Krimis, Dokumentationen und natürlich Sport.
«Ich geniesse es aber noch mehr, abends den Sommer auf dem Balkon mit Freunden und der Familie zu verbringen. Ich lese aber auch sehr gerne, Zeitungen und Zeitschriften, Belletristik oder spannende Biographien.» Was er zuletzt gelesen habe? «The president is missing» von Bill Clinton. «Das kann ich jedem sehr empfehlen, das ist hervorragend.»

Einbürgerung in Langenthal
Ein kleines «Familienprojekt» steht zudem noch im August bevor: Walter Ryser ist in Ursenbach aufgewachsen und Bürger der Nachbargemeinde Walterswil. So hat er nach wie vor gute Kontakte im Dorf. «Man merkt aber einfach, dass man älter wird. Die Leute, die man kennt, werden immer weniger.» Doch zu Hause fühlt er sich schon lange in Langenthal, wo er seit über 30 Jahren wohnt. Und nun will er sich samt Frau und den beiden Kindern in Langenthal einbürgern lassen. Walter Ryser ein «Tausendsassa»? Ja, das trifft es wohl.

Von Thomas Peter