Weltmeister, Olympiasieger und Langnauer
Harri Pesonen hat in der grossen weiten Welt des Eishockeys höchsten Ruhm errungen. Und doch stürmt der 33-Jährige im Emmental hinten für die SCL Tigers. Die Geschichte eines charmanten Finnen, den in erster Linie eines antreibt: Die Leidenschaft für ein Spiel namens Eishockey.
Harri Pesonen, SCL Tigers · Er mahnt ein wenig an eine Figur aus einem Roman von Selma Lagerlöf. Die erste Literatur-Nobelpreisträgerin war zwar Schwedin und Harri Pesonen ist Finne. Trotzdem: Langnaus bester, charismatischster Einzelspieler hat etwas von einem verspielten nordischen Lausbuben. Eishockey ist eben ein Spiel und das Kind im Manne will spielen. Lust und Leidenschaft für Eishockey als Spiel machen Harri Pesonen zu einem der besten, unberechenbarsten, kreativsten Stürmer der Liga. Aber es ist noch mehr als das: Harri Pesonen liegen die SCL Tigers am Herzen. Die sportlichen Schwierigkeiten der Langnauer beschäftigen ihn. Sie gehen ihm zum Herzen. Er versucht zu erklären, was schiefgelaufen ist und spricht nicht abgebrüht wie ein Profi, dem beigebracht worden ist, in vielen Worten möglichst nichts zu sagen und einfach den Job zu machen.
Im Fussball undenkbar
Es ist eine Geschichte, die sowieso nur noch im Hockey möglich ist. Ein aktueller Fussball-Weltmeister bei YB oder beim FCZ? Völlig undenkbar. Kein Schweizer Klub ist dazu in der Lage, einen Weltklassespieler zu finanzieren. Die SCL Tigers, eines der sportlich erfolglosesten und wirtschaftlich schwächsten Hockey-Unternehmen im Land sind in der Lage, einen aktuellen Weltmeister und Olympiasieger zu beschäftigen. Das ist ungefähr so wie wenn Kylian Mbappé oder Antoine Griezmann beim FC Luzern spielen würden. Ja, mehr noch: Harri Pesonen hatte schon einmal im Emmental gespielt und wechselte dann für eine Saison in die russische KHL, um ein wenig etwas für die Altersvorsorge zu tun ... Dann kehrte er in den Westen zurück – und kam im Sommer 2021 wieder nach Langnau und unterschrieb sogar für zwei Jahre. Obwohl er andere und besser bezahlte Optionen hatte. «Ich hatte mich in Langnau sehr wohl gefühlt. Nach der Rückkehr aus Russland wollte ich nicht schon wieder ein neues Abenteuer eingehen.» Deshalb habe er wieder bei Langnau unterschrieben. Also ist er sozusagen heim nach Langnau gekommen? «Ja, so können wir es sagen.» Die Langnauer waren klug genug gewesen, Harri Pesonen den Wechsel in die KHL nicht übel zu nehmen. Wohlwissend, dass man sich im Leben zweimal sieht.
Das zweite Langnauer Kapitel
Die Schweiz spielt im Hockey-Leben von Harri Pesonen eine wichtige Rolle. Im Sommer 2014 hatte er sein Nordamerika-Abenteuer nach zwei Jahren beendet und wechselte zu Lausanne in die Schweiz. Der damalige Lausanne-Trainer Heinz Ehlers spielte bei diesem Transfer eine wichtige Rolle. Und als Lausanne den Vertrag nach vier Jahren nicht mehr verlängerte, kam wieder Heinz Ehlers ins Spiel. Er war der damalige Trainer der SCL Tigers. Und Harri Pesonen rockte gleich das Emmental: An der Seite von Chris DiDomenico und unter dem Kommando von Heinz Ehlers erreichte er im Frühjahr 2019 mit Langnau die Playoffs. Erst zum zweiten Mal nach 2011 und in ihrer Geschichte qualifizierten sich die Emmentaler in der höchsten Liga für die Playoffs. Wie schon 2011 war im Viertelfinal Lichterlöschen. Aber 2011 war das Scheitern gegen den SC Bern sieg- und ruhmlos. Gegen Lausanne scheiterten die Langnauer erst im siebten Spiel in Lausanne. Schon fast ein wenig mit Wehmut erinnert sich Harri Pesonen an diese Zeit des Ruhmes und des Spektakels. An die Abende, als er zusammen mit Chris DiDomenico eines der besten Duos der Liga bildete. Die beiden verstanden sich auf dem Eis blind. Sie harmonierten, skorten und triumphierten mit dem Sturm in die Playoffs.
Team erledigte den Job nicht
Von solchen Heldentaten sind die SCL Tigers inzwischen weiter entfernt als Langnau von Helsinki. Nach dem 12. und letzten Platz in der vorangegangenen Saison in einer 12er-Liga folgt nun im Frühjahr 2022 der 12. und zweitletzte Rang in einer 13er-Liga. Harri Pesonen sagt, er habe von allem Anfang an um die schwierige Situation gewusst. «Ich habe ja die Resultate während meiner Zeit in der KHL im Internet verfolgt.» Dass es dann so schlecht laufen würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Aber letztlich sei es nicht überraschend. «Ich habe bald gespürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Schon in den ersten Wochen der Saison gab es Probleme. Einige waren unzufrieden mit ihrer Rolle, die Stimmung war eigentlich nie richtig gut. Wir sind nicht nahe genug zusammengestanden.» Es habe nie «Klick» gemacht und einige Spieler seien vom Anfang an mit dem Trainer nicht klargekommen. Dafür seien die Spieler und nicht der Trainer verantwortlich. «Es ist frustrierend für alle, die Fans tun mir leid. Wir haben unseren Job nicht gemacht.» Hat er denn nichts gesagt? Hat er das Wort in der Garderobe nicht ergriffen? Doch, das habe er. «Aber einmal kommt der Moment, an dem alles gesagt ist.» Er versucht, die Situation zu analysieren, Langnaus Krise beschäftigt ihn, geht ihm unter die Haut und er redet sich schon beinahe in Hitze. Aber schliesslich kommt er zum Schluss: «Wenn ich wüsste, warum es diese Saison nicht funktioniert hat, dann wäre ich nicht hier und würde als Berater Millionen verdienen.» Er versuche Antworten zu finden. Aber letztlich könne er nicht mehr tun als auf dem Eis sein Bestes zu geben. Die Krise müsse in der Kabine durch die Spieler gelöst werden. «Es gibt keine Ausreden. Für uns Spieler ist nun die Zeit gekommen, lange in den Spiegel zu schauen. Sicher ist, dass sich im Sommer jeder hinterfragen muss, ob er das Optimum aus sich herausgeholt hat. So komisch es klingt: Aber es ist gut, gibt es nächste Saison die Möglichkeit des Abstiegs wieder. So weiss jeder, dass die Konsequenzen für solch schlechte Leistungen brutal sein können. Vielleicht brauchen bei uns einige diesen Druck.» Wichtig sei, dass Langnau nächste Saison den richtigen Trainer habe. «Ich rede da gerne mit, wenn meine Meinung gefragt sein sollte.»
Goldmedaille als Motivationsspritze
Immerhin haben die Langnauer nächste Saison einen der besten Einzelspieler ausserhalb der NHL in ihren Reihen. Harri Pesonen ist mit Finnland Weltmeister und Olympiasieger. Er hat nur zwei Titelturniere für Finnland bestritten: Die WM 2019 und die Olympischen Spiele 2022 – und beide Turniere hat er gewonnen. «Eine gute Bilanz – nicht wahr?», sagt er scherzend. Eine Bilanz, die ihn jetzt schon zu einer Legende des finnischen Hockeys macht. Erstaunlicherweise ist er zuvor zwar zu ein paar Operettenländerspielen und zur U20-WM (2007/08), jedoch nie zu einem WM-Turnier aufgeboten worden, wofür er eine gute Erklärung hat. «In Finnland gibt es eben eine sehr grosse Anzahl sehr guter Spieler.» Nun gehört er definitiv auch dazu. Die Goldmedaille hat Harri Pesonen mit nach Langnau genommen und sie den Teamkollegen gezeigt. So etwas haben die Langnauer noch nie gesehen. Nur im Schangnau hinten, in der Heimat von Beat Feuz, wissen die Menschen, wie Olympisches Gold glänzt. Vielleicht bringt wahrhaftiges, echtes Olympisches Gold etwas von der Magie nach Langnau, die Finnland den wundersamen Olympiasieg ermöglicht hat.
Die zehn besten Ausländer bei Langnau
1. Chris DiDomenico (Ka), Stürmer.
Er kommt im Herbst 2014 aus Italien, führt die Langnauer zurück in die höchste Liga und dort bis in die Playoffs 2011. Ein charismatischer Leitwolf mit mehr Einfluss aufs Spiel und konstanter als Todd Elik.
2. Todd Elik (Ka), Stürmer.
1998 trägt er die Langnauer als Aufsteiger durch die erste Saison. Seine Nummer 12 hängt unter dem Hallendach obwohl er nur drei volle Saisons hier spielte. Aber er ist als erster Rockstar ohne Gitarre (aber mit Alkohol) im Emmental eine Legende geworden.
3. Neil Nicholson (Ka), Verteidiger.
Von 1978 bis zum erstmaligen Abstieg in die NLB im Frühjahr 1985 hält er Langnau die Treue. Länger hat nie ein Ausländer in Langnau gespielt. Der freundliche Kanadier war einer der konstantesten, verlässlichsten Verteidiger der Liga. Handwerk im besten Wortsinn.
4. Peter Sullivan (Ka), Stürmer.
Bis heute stürmte noch nie einer spektakulärer. In seiner besten Zeit der schnellste Stürmer der Liga. Er kommt 1981, bleibt zwei Jahre, wechselt für eine Saison nach Bern, dann nach Langenthal und beendet seine Karriere im Frühjahr 1986 nach einer weiteren Saison in Langnau.
5. Harri Pesonen (Fi), Stürmer.
Konstanter als Todd Elik und nur Peter Sullivan war schneller. Bildete zusammen mit Chris DiDomenico Langnaus bestes Ausländer-Duo der Geschichte und ist nun Langnaus grosser Hoffnungsträger.
6. Normand Beaudin (Ka), Stürmer und Trainer.
Er übernimmt von Jean Cusson das Meisterteam und führt die Langnauer in Doppelfunktion zweimal auf Rang 2. Ein hart arbeitender Zweiwegstürmer und charismatischer Leader. Aber 1978 geht der Titel im letzten Heimspiel durch eine Niederlage gegen den SCB verloren. Zweimal nur Vize-Meister – das reicht nicht. Er muss gehen.
7. Merlin Malinowski (Ka), Stürmer.
Er kommt nach dem freiwilligen Abstieg Arosas 1986 nach Langnau und hat grossen Anteil am Wiederaufstieg von 1987 und bleibt auch nach dem sofortigen Wiederabstieg drei weitere Jahre im Emmental. Spielerisch und technisch sehr ähnlich wie Todd Elik – aber Abstinent und tief religiös.
8. Jean Cusson (Ka), Stürmer und Trainer.
Führt in seiner zweiten Saison die Langnauer 1976 in Doppelfunktion zum bisher einzigen Titel und geht dann freiwillig nach La Chaux-de-Fonds. Nicht mal der beste Spieler in Langnau – Jürg Berger war der bessere Flügelstürmer. Aber der schlaue Cusson erledigte für
Berger die Defensivarbeit.
9. Janne Niinimaa (Fi), Verteidiger.
Er kommt im Laufe der Saison 2008/09 und dominiert das Spiel in Langnau wie nie vorher und nie nachher ein Verteidiger (20 Spiele/18 Punkte). Wäre er nicht durch Verletzung ausgefallen, hätte Langnau schon 2009 erstmals die Playoffs erreicht.
10. Jesper Olofsson (Sd), Stürmer.
Der Schwede tanzte nur einen Herbst und einen halben Winter, bis er einen neuen Vertrag in Biel bekommt und Covid erwischt – aber in dieser Zeit ist er Liga-Topskorer. Das reicht für den Eintrag im Geschichtsbuch.
Von Klaus Zaugg