Weniger Kinderheim, mehr Familienhilfe
Die Organisation Schoio Familienhilfe ist in Langenthal längst nicht jedem bekannt. Erst wenn der alte Namen, «Kinderheim Schoren», fällt, wissen die meisten Oberaargauer, worum es geht. Dabei hat sich die soziale Organisation seit dem Namenswechsel massgeblich verändert und gleicht der alten Struktur kaum mehr. Weitere Veränderungen stehen zudem noch an.
Ein Kinderheim ist geschichtlich bedingt negativ besetzt. Kinder werden den Eltern weggenommen, nicht wenige stellen sich das vor wie in einem Hollywood-Film, wo der böse Muskelprotz das Kind an sich nimmt und ohne Widerrede davonläuft. Davon ist man in Langenthal weit entfernt, denn das altbekannte Kinderheim Schoren will kein typisches Kinderheim mehr sein. «Wir sind eine soziale Organisation, die Eltern in Krisensituationen unterstützt», sagt André Chavanne.
Er ist der Leiter jener Organisation, die mit dem neuen Namen «Schoio-Familienhilfe» vor viereinhalb Jahren einen Neuanfang gestartet hat. Mit einem neuen Konzept gelingt es heute, Kinder länger oder sogar überhaupt bei den Eltern zu lassen, ebenso können sie oftmals nach nur kurzer Zeit wieder in die Familie integriert werden. Der vielerorts bekannte Obhutsentzug ist zwar auch heute noch eine unbeliebte Lösung die praktiziert wird, er ist aber seltener nötig. Während das als Kinderheim Schoren bekannte Gebäude für 24 Kinder ausgelegt ist, belegen heute im Durchschnitt nur noch Zehn Kinder die Betten stationär. Die Dienstleistungen des Betriebes haben sich daher verändert, denn immer noch gehen jährlich rund 50 Kinder in diesem Gebäude ein und aus – die Arbeit mit ihnen erfolgt grösstenteils aber ambulant und oftmals ohne oder mit nur einzelnen Übernachtungen.
Gemeinsam Lösungen suchen
Die Prävention ist dabei ein wichtiger Teil, um Obhutsentzüge zu verhindern. «Wir haben ein starkes Netzwerk aufgebaut. Beispielsweise kommen Lehrpersonen auf uns zu, wenn sie sehen, dass es ein Problem gibt», erklärt André Chavanne. Ebenso wird mit kleineren Dienstleistungen versucht, die Eltern zu entlasten und damit endgültige Krisen zu verhindern. So werden Kindern beispielsweise beim Hausaufgabenmachen, während der Freizeit oder auch an Wochenenden bei der Schoio Hilfe angeboten. «In einer harmlosen Situation versuchen wir gemeinsam mit den Eltern eine Lösung zu finden.» Gerade Zusammenarbeit sei in solchen schwierigen Momenten ein wichtiger Punkt. Die Eltern werden als die wichtigsten Bezugspersonen stetig eingebunden, denn letztlich gehe es nicht darum, die Eltern zu ersetzen. Anstatt diesen zu zeigen, dass sie Fehler gemacht haben und nun die Profis die Verantwortung übernehmen müssen, soll den Eltern gezeigt werden, wie schwierige Situationen gemeinsam gelöst werden können. «Je besser das Zusammenarbeiten funktioniert, desto eher können sich Kinder wieder von der Schoio Familienhilfe lösen», sagt André Chavanne und zeigt sich von den Resultaten überzeugt. Die Eltern arbeiten gut mit, das zeigt auch die Tatsache, dass deutlich weniger Betten als noch vor einigen Jahren gebraucht werden. Der grösste Unterschied ist aber einzig, dass die Organisation nicht mehr wartet, bis der Obhutsentzug nötig ist, sondern schon vorher mit kleineren Dienstleistungen aktiv wird. So werden heute jährlich über 120 Familien mit ambulanten Dienstleistungen in ihrem Zuhause unterstützt.
«Eltern wollen immer das Beste»
Trotzdem ist die Zusammenarbeit mit der Schoio Familienhilfe nicht immer freiwillig. Oftmals wird die Organisation von Behörden wie der Jugendanwaltschaft, der KESB oder vom Sozialdienst beauftragt. Dann muss eine Art der Zusammenarbeit gesucht werden. «Mit einem Vater, der seine beiden Kinder unter anderem wegen Alkoholproblemen abgeben musste, haben wir über ein Jahr lang gearbetet, bis er bemerkt hat, dass er ein wichtiger Bestandteil des Veränderungsprozesses ist. Er hat erst danach Vertrauen zu uns gefunden», erinnert sich André Chavanne. Jener Vater habe sich daraufhin in Behandlung begeben und nur drei Monate später seine Kinder aufgrund von guten Fortschritten zurückerhalten. Grundsätzlich seien die Türen der Schoio Familienhilfe aber immer offen, das gilt auch für Eltern, die ungewollt mit der Organisation in Kontakt geraten. «Ich gehe immer davon aus, dass Eltern für ihr Kind das Beste wollen. Und je besser sie kooperieren, desto eher können sie ihre Aufgaben als Eltern wieder selbstständig wahrnehmen», erklärt André Chavanne. Auch daraus entwickle sich hin und wieder eine freiwillige Basis der Zusammenarbeit, weil viele Eltern die Untersstützung plötzlich zu schätzen lernen. Denn grundsätzlich tut die Schoio Familienhilfe nur das, was Eltern nicht mehr selbst tun können. Ihre Probleme, die oft aufgrund von psychischen Erkrankungen oder wegen Suchtmittelproblemen bestehen, spielen dabei keine Rolle. Hilfe leisten André Chavanne und sein Team, wo immer es möglich ist.
Baldiger Standortwechsel?
Durch die Veränderungen in der Nutzerstruktur stehen bei der Organisation Schoio Familienhilfe weitere Neuerungen an. Möglich wird dereinst auch ein Standortwechsel, weil das Gebäude des ehemaligen Kinderheims Schoren zu gross ist und eine zentrumsnähere Liegenschaft idealer wäre.
Vorerst ist vorgesehen, dass die Organisation zumindest bis ins Jahr 2020 im roten Gebäude bleibt, später ist es auch möglich, dass in verschiedenen Gemeinden einzelne Appartments gemietet werden, während der Hauptstandort aber in Langenthal bleibt. Ausserdem sollen bald die Besitzverhältnisse ändern, ein entsprechender Antrag liegt dem Stadtrat derzeit vor (siehe Kasten). «Die Situation ist eigentlich paradox», blickt André Chavanne derweil in die Zukunft. Bezahlt wird die Organisation künftig nämlich nach dem Leistungsprinzip. Sprich: Für jede einzelne Handlung. «Aber wenn wir gut arbeiten, dann werden wir weniger gebraucht und diese Beiträge sinken.»
Daher wird sich die Ausgangslage rund um die Unterstützung in Erziehungsfragen für überforderte Eltern in Krisensituationen wohl weiter verändern. Eines aber bleibt: Von einem Kinderheim ist die künftige Schoio AG weit entfernt. Auch wenn es dann nicht mehr im Namen steht, so bleibt die Familienhilfe Programm.
Von Leroy Ryser