• Yvonne Schwab mit dem (Stein-)Engel Aloisius vor einer ihrer Vitrinen mit zahlreichen, bunten Steinkunstfiguren. · Bild: Hans Mathys

18.04.2019
Langenthal

Wenn aus Steinen Kunstwerke entstehen

Die pensionierte Kindergärtnerin Yvonne Schwab sprüht vor Kreativität. Sie war Konzertsängerin, Kalligrafin und befasst sich seit 49 Jahren mit der Steinkunst. An einer Vitrinage verblüfft sie das Publikum mit humorvollen Unikaten – entstanden aus Steinen.

In der Wohnung von Yvonne Schwab an der Herzogstrasse in Langenthal fallen gleich fünf Vitrinen mit zu Kunstwerken verarbeiteten Steinen auf, die alle auf witzige Art etwas aussagen. An der Vitrinage – so genannt wegen der mit lauter Kunstgegenständen ausgestatteten Vitrinen – erklärt die beruflich bis im Jahr 2000 als Leiterin des Kindergartens Geissberg in Langenthal tätige Yvonne Schwab, welche geflügelte Worte hinter den Unikaten stecken oder was sie darstellen. Auffallend sind unter anderem die humorvollen Darstellungen eines Wolkenkratzers, des springenden Punkts, der langen Leitung, des grünen Daumens, einer Person, die eine Schraube locker hat oder des Tüpflischissers. Ebenfalls mit Steinen gestaltet sind Engelberg, Weissenstein, Blüemlisalp, Orell Füssli, Lindt & Spüngli sowie die Berner Kantonalbank mit einem Millionenkonto, obwohl auf der Sitzbank aus Stein bloss ein Einräppler liegt. Die Vitrinage, die Einblicke in fünf Vitrinen bietet, ist wie eine Wanderung durch ein Steinewunderland. 

Schöne Steine vom Meeresstrand

«Vor 49 Jahren habe ich mit der Steinkunst angefangen», blickt Yvonne Schwab fast fünf Jahrzehnte zurück. In Büren an der Aare, wo sie am 27. Dezember 1940 das Licht der Welt erblickte, habe sie zwar beim Schiefern an der Aare mit Steinen zu tun gehabt, so richtig mit Steinen auseinandergesetzt habe sie sich aber am Kindergarten-Seminar, wo angehende Kindergärtnerinnen Steine bemalen und lackieren mussten. «Als ich dann das erste Mal am Meer war, haben mich schöne Steine magnetisch angezogen. Danach war ich noch mehrmals am Meer – und immer habe ich im Sand nach kleinen runden oder grösseren ovalen Steinen gesucht», erinnert sich die heute in Oberwil bei Büren und in Langenthal wohnhafte Yvonne Schwab. Der Reisekoffer sei dadurch jeweils bei der Rückreise wesentlich schwerer als bei der Hinreise gewesen. 


Steinblumen im Pensionsalter

«Im Pensionsalter sind noch Blumen entstanden – bunte Steinblumen», so Yvonne Schwab. Die entsprechenden Steine habe sie zum Teil im Bachbett der Emme gefunden. «Für mich war das nie Arbeit», bemerkt die 78-Jährige. Das «Steinele», wie sie es zu nennen pflegt, sei für sie das Eintauchen in eine Wunderwelt und deshalb «jedes Mal faszinierend». Bei diesem Eintauchen will sie jeweils nicht gestört werden. Da wolle sie ihre Ruhe. «Es sei denn, wenn ich auf eine Frage nur mit Ja oder Nein antworten kann.»

Yvonne Schwabs Vitrinage bietet auch Action. So stellt die Künstlerin zu «Ein Münchner im Himmel» die Hauptperson dieser lustigen Geschichte visuell vor – eine Eigenkreation des Engels Aloisius aus Stein. Gestenreich lässt die geistig vife Seniorin nun einen anderen, zierlichen Engel durch die Luft schweben. Dieser setzt sich an einen Flügel aus Stein – natürlich der Marke Steinway. Er spielt ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Vernissage-Publikum geniesst diese Einlage, ist fasziniert – auch von der Euphorie, wie Yvonne Schwab den herzigen Engel Klavier spielen lässt. Der pensionierte Langenthaler Pfarrer Hans Zahnd, weiss die Künstlerin, habe herausgefunden, dass sie die einzige in der Deutschschweiz sei, die sich derart intensiv und mit so vielfältigen Figuren dem «Steinele» widme. Viele der Kunstwerke sind im 236-seitigen Buch «Sein in Stein» abgebildet, das Yvonne Schwab 2004 in einer Auflage von 60 Exemplaren im Eigenverlag herausgegeben hat. 


Bei Birgit Steineggers Mutter

An der Vitrinage gewährt Mozart-Forscherin Yvonne Schwab auch Einblicke in andere Tätigkeiten, die sie mit ebenso viel Herzblut ausübte wie jetzt das «Steinele». Sie war Konzertsängerin. Gesangsunterricht erhielt sie bei Musikerin Nanny Steinegger, der schwedischen Mutter von Kabarettistin Birgit Steinegger. «Sie hat mich gefördert und gefordert – aber wir haben zusammen auch viel gelacht», erinnert sich Yvonne Schwab. Nanny Steinegger ist 2004 gestorben – «im gleichen Jahr wie meine Mutter», sinniert Yvonne Schwab, die mit einer speziellen Spritztechnik auch eindrückliche Einwortbilder herstellt: Liebe, Freude, Kraft, Danke, Trauer …

Viel Flair für die Kalligrafie
An der Vitrinage lässt Yvonne Schwab auch ein Kalligrafie-Buch zirkulieren – eine Chronik der Kammermusik-Konzerte Langenthal (KKL). Im Auftrag der KKL sei sie während 34 Jahren für die Programmblätter zuständig gewesen – letztmals für die Saison 2015/16. Schon als Schülerin habe sie ihr Talent fürs Schönschreiben entdeckt und ihre Hefte zuweilen mit gotischen Buchstaben verziert. Anders als andere Kalligrafinnen und Kalligrafen habe sie bei den Schriften die Stilrichtungen «gemischelt». Das Variieren habe ihr «riesige Freude bereitet». Bei der Kalligrafie seien neben dem Umgang mit Farbe und Tuschfedern das Einteilen der Blattfläche sowie das Einhalten der Abstände der Buchstaben wichtig. Auch mit Collagen – gepressten Herbstblättern – hat die ehemalige Kindergärtnerin Lob einheimsen dürfen. Bei den zahlreichen mit viel Kreativität entstandenen Kunstwerken – primär jenen aus Steinen – bleibt eine Frage offen, die Yvonne Schwab beschäftigt: «Was geschieht später einmal damit?»

Von Hans Mathys