• Wochenmarkt in Langenthal als Anziehungspunkt für auswärtige Besucher: Gemäss EVP-Stadtrat Daniel Steiner-Brütsch ist es zwingend notwendig, dass Langenthal künftig professionelles Stadtmarketing betreibt. · Bild: Walter Ryser

30.11.2016
Langenthal

Wenn Politiker zu viel Zeit haben

Während drei Stunden kämpfte sich der Langenthaler Stadtrat durch das Traktandum Teilrevision des Reglementes über die Organisation der Stadtverwaltung. Dabei hatte er über 39 Abänderungsanträge der FDP-/jll-/BDP-Fraktion zu befinden, bei denen es mehrheitlich um sprachliche und weniger um substantiell inhaltliche Anpassungen ging. Danach gab es etwas zu feiern, beschloss doch der Stadtrat einstimmig, dem abtretenden Stadtpräsidenten Thomas Rufener das Ehrenbürgerrecht der Stadt zu verleihen.

Politiker beklagen sich oft über die zeitliche Belastung in ihren Ämtern, aber noch viel mehr über den ausufernden, administrativen Aufwand. Umso erstaunlicher ist es, dass gewisse Lokalpolitiker weder Zeit noch administrative Mühen scheuen, wenn es darum geht, ein Reglement, das mit Ausnahme der Politik und der Verwaltung kaum jemanden interessiert, auszugestalten.
So geschehen im Langenthaler Stadtrat, der sich an seiner letzten Sitzung mit der Teilrevision des Reglementes über die Organisation der Stadtverwaltung zu befassen hatte.
Dabei zeigte der rechte Flügel im Parlament, namentlich die FDP-/jll-/BDP-Fraktion, was geschieht, wenn Politiker zu viel Zeit zur Verfügung haben. Denn dann entwickeln diese einen erstaunlichen Aktivismus, der darin gipfelt, ein vom Gemeinderat sorgfältig ausgearbeitetes Reglement mit insgesamt 39 Abänderungsanträgen zu zerpflücken und zu bombardieren. Die Folge davon war eine über dreistündige Debatte um mehrheitlich sprachliche, aber kaum substantielle inhaltliche Änderungen, mit dem Ergebnis, dass die FDP-/jll-/BDP-Fraktion mit der Mehrheit ihrer Anträge klar scheiterte.
Dennoch wird es im Frühjahr 2017 zu einer zweiten Lesung kommen, nicht zuletzt deshalb, weil gewisse inhaltliche Anpassungen einer Präzisierung bedürfen. So sieht das revidierte Organisationsreglement der Stadtverwaltung beispielsweise eine organisatorische Umgestaltung des Präsidialamtes vor, das künftig zu einem Präsidialstab werden soll. Der Stadtschreiber leitet neu die Stadtverwaltung in administrativer Hinsicht und amtet zugleich als Sekretär des Gemeinderates.
Die Formulierung Präsidialstab passte jedoch nicht allen Stadträten, weshalb in der zweiten Lesung ein neuer Vorschlag unterbreitet werden soll (Verwaltungsstab?).

Rufener wird Ehrenbürger
An der Urnenabstimmung im Juni 2015 hiess die Langenthaler Stimmbevölkerung eine Teilrevision der Stadtverfassung gut, welche am 1. Januar 2017 in Kraft treten wird. Die Annahme der revidierten Stadtverfassung führt also zu Umsetzungsvorlagen an den Stadtrat, die in drei Etappen erfolgen werden.
Das erste Paket befasst sich mit den Anpassungen des Reglementes über die Organisation der Stadtverwaltung. Im nächsten Jahr kommt es dann zum zweiten Umsetzungspaket, bei dem es das Personalreglement zu revidieren sowie eine Vorlage zur Beschlussfassung über den Stellenetat zu erarbeiten gilt. Im Laufe der kommenden Legislaturperiode 2017 bis 2020 wird dann noch ein drittes Umsetzungspaket realisiert, das den Erlass beziehungsweise die Anpassung der Reglemente für die Kommissionen und damit verbunden eine weitere Teilrevision des Organisationsreglementes beinhalten wird.
Weitaus verständlicher, wenn auch nicht unbedingt einhelliger, gestalteten sich die weiteren Traktanden an dieser insgesamt über fünfstündigen Stadtratssitzung. Ohne Diskussionen und gegenteilige Meinung wurde der Antrag des Gemeinderates, dem abtretenden Stadtpräsidenten Thomas Rufener (SVP) das Ehrenbürgerrecht der Stadt Langenthal zu erteilen, angenommen. Dabei verwies Rufeners Nachfolger, Gemeinderat Reto Müller (SP), auf das seit über 30 Jahren andauernde politische Wirken Rufeners in Langenthal. «Es ist eine Anerkennung für ausserordentliche Verdienste, denn Thomas Rufeners Wirken hat weit über Langenthal hinaus in den ganzen Kanton ausgestrahlt», sprach sich Stadträtin Helena Morgenthaler im Namen aller Stadträte für die Verleihung des Ehrenbürgerrechts aus.

Konzept für Stadtmarketing
Seinem Nachfolger Reto Müller sowie dem neuen Gemeinderat wurde anschliessend bereits eine erste Aufgabe mit auf den Weg gegeben. So erklärte der Stadtrat ein Postulat von Daniel Steiner-Brütsch (EVP) als erheblich. Das Postulat fordert vom neuen Gemeinderat ein Konzept für ein umfassendes und nachhaltiges Stadtmarketing. Steiner begründete seinen Vorstoss damit, dass immer mehr Gemeinden im härter werdenden Konkurrenzkampf um attraktive Steuerzahler auf ein aktives Gemeindemarketing vertrauen würden.
Das heutige Stadtmarketing verdiene diesen Namen nicht, betonte Steiner und verwies auf die Aktivitäten im Bereich Stadtmarketing, die Steiner lediglich als punktuelle Massnahmen im Bereich Sponsoring bezeichnete. «Da wird einfach etwas Geld verteilt», hielt er fest. Deshalb fordert er ein Konzept, weil es in der heutigen Zeit nicht mehr genüge, eine schöne, attraktive Stadt mit einer guten Lebensqualität zu sein.
Doch genau dies genügt zumindest Stadtrat Roberto Di Nino und der SVP-Fraktion, wie diese zu verstehen gaben. Laut Di Nino braucht es für das Stadtmarketing kein Konzept, weil die Stadt alles habe, was man benötige, um attraktive Steuerzahler und Firmen anzulocken: Eine gute Infrastruktur, attraktive Arbeitsplätze, tiefe Steuern sowie eine hohe Wohn- und Lebensqualität. Andere Stadträte wiesen dagegen auf die vielen leerstehenden Ladenlokale und Wohnungen im Stadtzentrum hin und waren der Meinung, dass die Stadt durchaus von geschickten Marketing-Impulsen profitieren könnte.
Urs Zurlinden (FDP) beispielsweise war der Meinung, dass ein Konzept zwar noch keine Probleme löse, aber durchaus hilfreich sei, um die Stadt besser zu positionieren.
Stadtpräsident Thomas Rufener gestand, dass das heutige Stadtmarketing auf keinem speziellen Konzept beruhe. Er hielt aber fest, dass man mit wenig Aufwand viel erreicht habe, er wies dabei auf diverse neue Anlässe hin (Wirtschaftslunch, Neuzuzüger-Anlass, Designer-Anlässe), das anhaltende Bevölkerungswachstum sowie die Neuansiedlung von Firmen wie 3M. Gleichzeitig bemerkte er, dass sich im Bereich Stadtmarketing seinem Nachfolger sowie dem neuen Gemeinderat eine gute Chance biete, sich zu positionieren.
Denn: Nachdem Daniel Steiner-Brütsch seine Motion in ein Postulat umwandelte, erklärte der Stadtrat dieses mit 20:16 Stimmen als erheblich und erteilte damit dem Gemeinderat den Auftrag, ein Konzept für ein umfassendes und nachhaltiges Stadtmarketing zu prüfen.

Von Walter Ryser