Wie «Schürfen in einer Mine nach Edelmetall»
Der Lützelflüher Heinrich – Heini – Schütz war Lehrer, Politiker und an der vordersten Front Initiant des Gotthelf Zentrums im «Gotthelfdorf». Seit dessen Eröffnung im August 2012 ist er Mitglied des vierköpfigen Leitungsteams. Mit diesem Amt nimmt sein Kampf für den Erhalt des Erbes des wohl berühmtesten aller Emmentaler Dichter seinen Lauf. Im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler» kommt das Herzblut für das grosse Werk zum Ausdruck.
Lützelflüh· «Unter-Emmentaler»: Als wir Sie für einen Interview-Termin anfragten, tönte Ihr voller Kalender nicht nach einem geruhsamen Ruhestand. Das Gotthelf Zentrum hält Sie auf Trab?
Heinrich Schütz: Das ist tatsächlich so. Die Leitung eines Museums – auch im Team – ist aufwendig: administrative und organisatorische Arbeiten, Medienarbeit, Suche nach Sponsoren, Führungen von Gruppen und Schulen, Entwicklungsarbeiten – es steht eine neue grosse Ausstellung bevor – Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und mehr. Wir führen im Leitungsteam genau Buch, wie gross der Arbeitsaufwand ist, denn in absehbarer Zeit möchten wir die zahlreichen Aufgaben von vier auf eineinhalb Personen zusammenfassen.
Ein Blick zurück zeigt, dass vor etwa zehn Jahren erstmals eine Medienorientierung zur Idee eines Gotthelf Zentrums stattfand. Wer hatte die Idee, und wie sah diese damals aus?
Die Idee geht auf einen Grossratsbeschluss im Jahr 2005 zurück, der die Neuauflage der Gotthelf-Werke vorsah. Wir fanden es sinnvoll, in Lützelflüh, wo Gotthelf lebte und arbeitete, ein Zentrum aufzubauen. Das befand auch der Gross Rat, aber bis dahin war es ein langer Weg, denn das Parlament verlangte die Gründung einer Stiftung und ein Konzept, um die Finanzierung sprechen zu können. Damit befasste sich in der Folge eine Arbeitsgruppe. 2008 erfolgte die Präsentation des Konzepts.
Ein knappes Jahr später wurde jedoch ein neues Konzept präsentiert. Weshalb?
Das erste war finanziell nicht tragbar. Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe mit neuen Leuten gebildet mit der Aufgabe, ein Projekt auszuarbeiten, welches den vom Grossen Rat vorgegebenen Rahmen zwischen 3 und 4 Millionen Franken einhielt und langfristige Tragbarkeit versprach. In dieser neuen Arbeitsgruppe war ich stark engagiert.
Was hat es gebraucht, bis alleine die Bewilligungen für das geplante Gotthelf Zentrum vorhanden waren und bis das Geld für das grosse Werk beisammen war?
Federführend war die bernische Polizei- und Militärdirektion (POM), denn das Geld für das Projekt sollte aus dem Lotteriefonds stammen, welcher der POM unterliegt. Das brauchte sehr viele Verhandlungen, zuerst mit der Polizei- und Militärdirektion, später auch mit der Finanzdirektion. Das hiess denn auch, dass wir immer wieder Anpassungen vornehmen mussten. Als aber das Geschäft im November 2010 dem Grossen Rat vorgelegt wurde, gab es im Parlament absolut keinen Widerstand. Der Rat stimmte der Vorlage einstimmig und mit einer Enthaltung zu. Er verabschiedete unser Projekt mit der Zustimmung von 3,27 Millionen Franken. Die zweite Etappe benötigte dann sehr viel Arbeit: Bau- und Umbauplanung, Ausstellungskonzept, Betriebskonzept, die Baubewilligungen … Ich war damals Gesamtprojektleiter und koordinierte die Arbeiten mit dem Architekten, den Ausstellungsmachern, mit der Denkmalpflege. Wichtig war mir zudem eine breite Abstützung durch die Bevölkerung. Zwar kostete das geplante Zentrum keine Steuergelder, denn die Finanzierung stammte hundertprozentig aus dem Lotteriefonds. Aber es ging auch um das Pfarrhaus, damals noch im Besitz des Kantons. Es sollte nun von der 2006 gegründeten Jeremias Gotthelf-Stiftung gekauft und umgebaut werden. Die Kirchgemeinde Lützelflüh aber hatte vorgesehen, das alte Pfarrhaus ebenfalls zu erwerben, um es weiterhin als Pfarrsitz zu nutzen. Der Konflikt war programmiert. Als aber alles geklärt und alle Bewilligungen vorhanden waren, ging es sehr schnell. In nur einem dreiviertel Jahr war das Werk 2012 vollendet.
Was hat Sie dazu bewogen, sich dermassen für das Zentrum einzusetzen?
Wir sahen, dass das Angebot des Gros-sen Rats nur genutzt werden konnte, wenn ein tragfähiges Konzept vorgewiesen werden konnte. Dies war die letzte Möglichkeit, dem Schriftsteller an dem Ort ein würdiges Denkmal zu setzen, wo er gelebt und gewirkt hatte. Nicht ein Gedenkstein, sondern eine lebendige Institution, in welcher seine Werke präsent bleiben und weiterwirken. Deshalb haben wir uns vehement eingesetzt. Bereits 1954 wurde vom Schweizerischen Schriftstellerverein im zum Pfarrhaus gehörenden Speicher die Gotthelfstube, ein Kleinmuseum, eingerichtet. Wir wollten einen Schritt weitergehen, um die Gotthelf-Werke bekannter zu machen und neu leben zu lassen. Das hat sich gelohnt. Die Werke sind auch für die heutige Zeit sehr spannend. Zudem ist es uns auf diese Weise gelungen, die Lotterie-Gelder ins Emmental zu holen. Dreiviertel von den 3,27 Millionen Franken haben wir in die Renovation des Pfarrhauses und in den Anbau gesteckt. Von diesem Geld kauften wir aber auch dem Kanton das Pfarrhaus ab, das aus dem Jahr 1655 stammt und renovationsbedürftig war. So floss ein Teil des Geldes zurück in die Staatskasse. Die meisten Arbeiten wurden zudem von einheimischen Unternehmen ausgeführt. Damit profitierte auch die Gemeinde. Inzwischen hat sich das Gotthelf Zentrum als touristisches Ziel etabliert, was das Emmental sehr nötig hat.
Stammen alle Exponate des Gotthelf Zentrums aus Lützelflüh, oder konnten auch anderweitig solche zusammengetragen werden?
Sehr vieles war vorhanden, das heisst im Besitz des Vereins Gotthelfstube. Zudem hinterliess Gotthelf – Albert Bitzius wie er ja in Wirklichkeit hiess – eine grosse Verwandtschaft. Bis heute erhalten wir immer wieder Exponate, die noch irgendwo bei einem Nachkommen standen. Manchmal als Schenkung, manchmal als Leihgabe. So kamen wir auch zur legendären Kaffeekanne, die Gotthelf jeweils benützte um sich morgens zu stärken, oder zum schönen Biedermeier-Tisch.
Wer unterstützt Sie bei der Arbeit für das Zentrum?
Die Jeremias Gotthelf Stiftung, die Gemeinde, Kirchgemeinde und der Verein Gotthelfstube. Weiter profitieren wir von der Gotthelf-Forschungsstelle an der Universität Bern, die das gesamte Werk Gotthelfs neu ediert und dabei immer wieder Neues entdeckt und uns zur Verfügung stellt. Eine weitere Quelle ist das Staatsarchiv mit amtlichen Dokumenten Gotthelfs und natürlich die Burgerbibliothek, die unzählige Manuskripte und Briefe von Gotthelf aufbewahrt.
Von wem wird das Gotthelf Zentrum besucht/benützt? Konnte es sich nach Ihren Vorstellungen etablieren?
Wir führen eine genaue Besucherstatistik und stellen fest, dass der grössere Teil aus dem Kanton Bern stammt. Aber auch aus den umliegenden Kantonen kommen Gruppen, viele aus den Kantonen Luzern, Solothurn, Aargau und aus der Ostschweiz. Aus Deutschland kommen ebenfalls zahlreiche Besuchende, denn durch seinen deutschen Verleger Julius Springer hatte Gotthelf zu diesem Land eine enge Beziehung. Auch aus Übersee registrieren wir Gäste, etwa durch Täuferfamilien. Gotthelfs Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Beispielsweise wurde 2017 «Die schwarze Spinne» von einem Germanisten in Sâo Paulo ins Portugiesische übersetzt. In letzter Zeit besuchen uns immer mehr Schulen, eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Was beinhaltet das Zentrum heute?
Wichtig ist sicher, dass die Besucher durch die Räume gehen und empfinden können, wie Gotthelf gearbeitet und gelebt hat. Das ist der wichtigste Teil. Die Räume sind entsprechend eingerichtet und enthalten ein Fülle von Informationen und interaktiven Möglichkeiten. Zudem bieten wir Führungen an. Im neuen Teil gibt es eine Cafeteria. Zudem haben wir im ausgebauten Dachgeschoss die Möglichkeit, Präsentationen zu realisieren, Filme und Vorträge zu organisieren oder den Gotthelf Saal für Familienfeste, Seminare, Kadertagungen usw. anzubieten. Wir stellen hier eine sehr gute mediale Infrastruktur zur Verfügung.
Albert Bitzius wirkte ja unter seinem Pseudonym. Seine Werke sind gewürzt mit Betrachtungen über die Menschheit und Lehren für «sein» Volk. Wie passen diese in die heutige Welt?
Gotthelf ist immer noch mit dem Cliché «Bauern- und Heimatdichter» behaftet. Dies wurde durch die Hörspiele von Ernst Balzli und die Filme von Franz Schnyder noch verstärkt. Aber eigentlich gleicht das Forschen in seinen Werken wie dem Schürfen in einer Mine nach Edelmetall. Vieles, was er geschrieben hat, enthält allgemein gültige Wahrheiten, welche auch die heutige Zeit widerspiegelt. Nehmen wir als Beispiel die «Käserei in der Vehfreude» (übrigens das Thema unserer Ausstellung 2019). Es ist unglaublich, welche Vielfalt dieser Roman an Dorfpolitik, Familienintrigen und an kurzfristigem Profitdenken enthält. Vieles darin ist eins zu eins auf die heutige Zeit übertragbar.
Welches ist Ihr Lieblingswerk von Gotthelf?
Ich liebe vor allem die «kleinen» Erzählungen: die Kalendergeschichten.Sie bilden eine Vielfalt von bösen, wüsten, traurigen, aber auch humorvollen Ereignissen, sprachlich meisterhaft gestaltet.
Was wünschen Sie sich für das Gotthelf Zentrum?
Wir möchten die Institution in ihrer jetzigen Form aufrechterhalten, sie aber auch noch weiterentwickeln. Zu unserer grossen Freude stehen die Zeichen gut. Denn ein Werk schaffen ist eins, es zu führen das andere. Als 2010 der Gros-se Rat grünes Licht gab für die Realisierung, schloss er kantonale Beiträge für den Betrieb aus. Nur der Grosse Rat selbst kann diesen Passus ändern – und das versuchten wir über eine Motion unseres Lützelflüher Grossrats Alfred Bärtschi zu erreichen. Und tatsächlich: Dank geschickter Argumentation und wirkungsvoller Lobbying-Arbeit nahm der Grosse Rat die Motion von Grossrat Alfred Bärtschi zur «Verbesserung der Rahmenbedingungen» an. Der Passus wird gestrichen. Damit ist der Weg frei, dass das Gotthelf Zentrum dereinst überhaupt die Möglichkeit bekommt, an Gelder aus der Kulturförderung der Regionalkonferenz und des Kantons zu gelangen. Nun sind wir an den umfangreichen Vorarbeiten zum Bewilligungsverfahren.
Zum Schluss noch eine kleine «Betrachtung» Ihrerseits zum erfüllten (Un)ruhestand. Wird man einfach in die Aufgaben hineingeworfen?
Das ist so – der «Ruhestand» als solcher ist für mich sehr ausgefüllt. Ich hatte einfach das Glück, dass nach meiner Pensionierung eine Kulturinstitution da war oder entstand, wo ich mich einbringen konnte. Dieses Glück haben nicht alle. Das Kulturelle hat mich allgemein stets sehr interessiert, nicht nur die Literatur, sondern auch die bildende Kunst.
Von Liselotte Jost-Zürcher