«Wir Frauen wollen die Hälfte der Macht»
«Wir sind laut, wir sind wütend. Wir wollen Respekt.» Auch in Langenthal wurden am Frauenstreiktag dezidierte Forderungen nach Gleichberechtigung gestellt. Sofia Fisch kritisierte die alten Rollenbilder, Saima Sägesser das patriarchale Machtmonopol und den Maskulinum im Sprachgebrauch lokaler Medien. Ramona Bühler wies in einer mutigen Aktion auf Bodyshaming hin, und Christina Badertscher forderte Solidarität mit Bäuerinnen.
«Wir Frauen sind da, wir Frauen sind laut und stark. Wir sind nicht zu überhören. Wir Frauen wollen die Hälfte der Macht», forderte die 76-jährige Regina Meyer, einstige Gemeinderätin von Melchnau, unmissverständlich. Vor den zeitweise bis zu 400 Streikenden in der Marktgasse Langenthal wurde von den Rednerinnen nicht lange um den heissen Brei geredet: «Die Gleichstellung ist ein ständiger Kampf, uns Frauen wurde noch nie etwas geschenkt», hielt Mitorganisatorin Sofia Fisch aus Madiswil fest und erinnerte an den ersten Frauenstreik vor 28 Jahren. «Jetzt ist 2019, und wenn wir in dem Tempo weitermachen, dann dauert es noch Hunderte von Jahren bis zur Gleichstellung. Wir lassen uns aber von niemandem vorschreiben, wie wir unseren Kampf führen sollen.» Man lerne schon früh, wie man sich in den «Geschlechterrollen» zu verhalten habe. Doch nicht nur Frauen leiden unter den Rollenbildern der Geschlechter, von denen es nicht nur zwei gebe. «In diese Rollenbilder passen Intergeschlechtliche nicht.» All diese Missstände wolle sie nicht akzeptieren. «Die Bedingungen für alle Frauen müssen sich ändern. Solidarisieren wir uns. Kämpfen wir Hand in Hand für eine bessere Welt.»
Nulltoleranz gegenüber Gewalt
«Meine Mutter ging vor 28 Jahren für die gleichen Anliegen auf die Strasse wie ich heute. Deshalb sind wir wütend», kritisierte Lena Frank (Grüne, Biel) das Schneckentempo. Laut einer Unicef-Studie sei die Schweiz mit ihren politischen Rahmenbedingungen das familienfeindlichste Land Europas. «Das muss sich ändern, das haben wir nicht verdient», verlangte Lena Frank. Zudem kritisierte sie, «dass noch heute die Arbeit der Frauen nicht ernst genommen werde. «Wir wollen Respekt. Jede Arbeit verdient den gleichen Respekt. Punkt.» Für alle Frauen gehöre zudem sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum Alltag. «Wir verlangen Nulltoleranz gegenüber Sexismus und Gewalt. Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern heute».
Sich selber lieben können
Ramona Bühler aus Roggwil wies mit einer mutigen Aktion auf das selbsterlebte Bodyshaming hin. «Bodyshaming betrifft nicht nur mich, und es ist Zeit, den Menschen zu zeigen, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt», zitierte sie ihren auf Facebook veröffentlichten Text. «Ich glaube an eine Zeit, in der wir unsere Körper mit all unseren Dellen, Narben, Cellulite, Übergewicht, Schwangerschaftsstreifen zeigen können, ohne verspottet, beglotzt und ausgestossen zu werden. Wie soll man beginnen, sich selbst zu lieben, wenn die Schönheit immer noch das falsche Idealbild trägt? Selbstliebe beginnt dort, wo der Verstand, das Herz und die Seele den eigenen Körper mit all seinen Macken und Fehlern annehmen und umarmen will. Ich will und werde mich nicht mehr wegen meines Körpers verstecken, sondern mich ins Licht wagen und mich zeigen…. Ich werde nicht aufhören, JA zu mir zu sagen.» Zusammen mit drei weiteren Frauen stand sie danach in Unterwäsche auf der Bühne, wo andere Streikteilnehmerinnen mit dem Anbringen von rosa Herzen ihre Verbundenheit zum Ausdruck brachten. «Es war mir sehr wichtig, das hier und heute zu machen», meinte Ramona Bühler nach der Aktion im Gespräch. Den Text habe sie sich aus der Seele geschrieben. Sie wolle anderen Mut machen. «Sich selbst lieben zu können, ist etwas vom Wichtigsten, das es gibt. Ich wünsche mir, dass wir alle gleich behandelt werden, in allen Punkten.»
Solidarität mit Bäuerinnen
Christine Badertscher (Grüne, Madiswil) forderte Solidarität mit Bäuerinnen weltweit. Obwohl in der Schweiz die Bäuerinnen laut einer Statistik des Bundes 63 Stunden pro Woche arbeiteten, bleibe ihr Wirken oft im Hintergrund. «Nur rund 30 Prozent der Bäuerinnen sind sozial abgesichert und werden für ihre Arbeit entschädigt. Für 31 000 Bäuerinnen gilt dies jedoch nicht.» Sie würden von Gesetzes wegen als nichterwerbstätig gelten. Und das könne im Scheidungsfall oder im Alter zu existenziellen und unwürdigen Problemen führen. «Der Bund schlägt in der neuen Agrarpolitik ab 2022 vor, die soziale Absicherung als Bedingung an die Direktzahlungen zu knüpfen.» Es sei nun wichtig, die Bäuerinnen zu unterstützen, damit diese Forderung im Parlament eine Mehrheit findet, appellierte Christine Badertscher, bei den bevorstehenden Wahlen Frauen zu wählen. Doch Frauen seien nicht nur national, sondern auch international in politischen Gremien oder bäuerlichen Organisationen kaum vertreten, obwohl Bäuerinnen für 70 Prozent der Welternährung verantwortlich seien. «Die Mitbestimmung der Frauen ist enorm wichtig für die Emanzipation und für ein selbstbestimmtes Leben der Bäuerinnen.» Aber auch die Schulbildung, die in vielen Ländern der Welt vor allem ländlich lebenden Mädchen vorenthalten werde.
Patriarchales Machtmonopol
In ihrer flammenden Rede griff die Langenthaler Stadträtin Saima Sägesser (SP) das patriarchale Machtmonopol auf: «Wer Macht hat, will sie nicht einfach so teilen. Und genau das müssen nämlich die Männer: Ihre angehäufte Macht teilen, freiwillig abtreten.» Eine Quote in Politik und Wirtschaft könnte zu einem Machtausgleich führen, bei der endlich die Qualität ausschlaggebend sei. Doch: «Wer hockt vor allem in den Positionen, wo darüber entschieden wird, solche Quoten einzuführen?» Diese Machtansammlung habe sich über Jahre hinweg manifestiert als Norm und werde durch Staat, Politik oder Kapital aufrechterhalten.
Aber auch in der Sprache werde dies zementiert, wo oft die männliche Form verwendet wird. Doch die Anwendung des «generischen Maskulinums ist nicht einfacher, sondern es ist ein machtvolles Instrument, um das weibliche Geschlecht wieder unterzuordnen, in dem man es gar nicht nennt.» Wenn eine Lokalzeitung schreibe: «Langenthal sucht einen neuen Stadtbaumeister», so «wird damit strukturell, offensiv verunmöglicht, dass sich die Stadt vielleicht besser eine Stadtbaumeisterin suchen sollte. Medien haben eine grosse Verantwortung, doch ein Grossteil von ihnen will sie nicht wahrnehmen und unterwirft sich dem patriarchalen System». Dass diese strukturellen Missstände, die man noch heute ertragen müsse, nicht behoben seien, liege daran, dass gewisse Männer ihre Macht nicht teilen wollen. Egoismus und Gier sei ihnen zu Kopfe gestiegen. «Wisst ihr was, ihr Männer? Ihr habt uns in Geschlechterrollen gezwungen, die wir nicht mehr leben wollen. Die gesellschaftlichen, historischen, kulturellen, sozialantrainierten Normen, die uns Hunderte von Jahren auferlegt worden sind, wollen wir nicht mehr! Wegen euch sind wir zu dem geworden, was wir heute sind: ein Geschlecht, das kämpft! Selber schuld.»
Von Thomas Peter