• Fabian Molina (rechts) und Christine Grogg sorgten für ein spannendes «Streitgespräch», das von Reto Steiner, Präsident der Reformierten Kirchgemeinde Langenthal (Mitte), souverän moderiert wurde. · Bild: Walter Ryser

  • Sorgten für die Musik am Kirchensonntag: Thomas Aeschbacher und Nina Dimitri. · Bild: Walter Ryser

18.02.2022
Langenthal

Wollen wir eine «gottlose» Verfassung?

Die Reformierte Kirchgemeinde Langenthal bewies Mut und veranstaltete am Kirchensonntag ein «Streitgespräch» zwischen SP-Nationalrat Fabian Molina und EVP-Grossrätin Christine Grogg. Anstoss zu diesem ungewöhnlichen Treffen bot eine Motion, die Molina vor einem Jahr einreichte und mit der er fordert, dass der Begriff «Gott» aus der Präambel der Bundesverfassung verschwinden soll.

Langenthal · Der Mut der Reformierten Kirchgemeinde Langenthal, neue, ungewöhnliche Wege zu gehen, um die Bevölkerung wieder vermehrt in die renovierte Kirche Geissberg zu locken, wurde belohnt. Am Kirchensonntag war die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Die Anwesenden kamen aber für einmal nicht, um einen Gottesdienst zu feiern, sondern, um einem ungewöhnlichen «Streitgespräch» beizuwohnen.
Unter der Kanzel standen sich der 31-jährige Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina sowie die 59-jährige Bützberger EVP-Grossrätin Christine Grogg gegenüber.

Zum Nachdenken angeregt
Anlass dazu war ein Vorstoss des SP-Politikers, mit dem er Gott aus der Präambel der Bundesverfassung eliminieren will. Denn in dieser Präambel steht geschrieben: «Im Namen Gottes des Allmächtigen! Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung … geben sich folgende Verfassung.» Fabian Molina schreibt in seiner Motion, die er am 17. März 2021 eingereicht hat, dass der Bezug auf einen christlichen Gott und die Schöpfung dem Prinzip der Neutralität widerspreche.
Pfarrei-Verwalter Urs Hallauer gab einleitend unumwunden zu, dass ihn die Aussage Molinas verletzt und geärgert habe und er gedacht habe, «das darf doch nicht wahr sein». Gleichzeitig habe ihn die Motion des SP-Politikers aber auch zum Nachdenken angeregt. «In unserer Kirche setzen wir uns für einen Weg ein, der gekennzeichnet ist von Offenheit und der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit», betonte der Verwalter. Dabei sei ihm der Gedanke gekommen, dem Kirchensonntag für einmal einen anderen Rahmen zu geben.

Eine Botschaft der Toleranz
Nach einer musikalischen Einstimmung durch das Duo Thomas Aeschbacher (Schwyzerörgeli und Gesang) und Nina Dimitri (Gitarre, Charango und Gesang) gehörte die Bühne den beiden Politikern. Fabian Molina machte in seinem Referat gleich zu Beginn klar, dass er weder Gott noch eine bestimmte Religion verbieten wolle, er stehe lediglich für Gerechtigkeit ein und deshalb sei er der Meinung, dass sich der Staat in religiösen Fragen neutral verhalten sollte. «Wir befinden uns hier in einer reformierten Hochburg. Dennoch findet man in der Verfassung des Kantons Bern keinen Bezug zu Gott», gab Molina zu bedenken.
Als Hauptargument für seinen politischen Vorstoss nannte der Zürcher, dass es die Aufgabe des Staates sei, alle Personen, egal welcher Glaubensrichtung, gleichberechtigt zu integrieren. «Bei uns leben mittlerweile viele Menschen mit verschiedenen religiösen Hintergründen und sie alle sollen sich in unserer Bundesverfassung wiedererkennen. Für mich wäre das eine Botschaft der Toleranz», betonte Fabian Molina, für den sein Vorstoss aber auch einen theologischen Aspekt aufweist: «Wir haben als Menschen kein Recht, im Namen Gottes zu sprechen, deshalb sollten wir Gott in einem weltlichen Text auch nicht erwähnen.»
Fabian Molina gab aber auch zu, dass eine Verfassung ohne Bezug zu Gott die Schweiz noch lange nicht zu einem gerechteren Ort mache, «aber es sagt etwas über uns aus, denn ich möchte, dass sich in unserer Demokratie alle, die hier leben, wohl und aufgehoben fühlen dürfen – das wäre für mich die eigentliche christliche Botschaft», schloss er seine Ausführungen.
Christine Grogg hielt Molina entgegen, dass die Erwähnung von Gott in der Bundesverfassung ein Zeichen der Achtung gegenüber einer höheren Macht und der Einsicht in die eigenen Grenzen, die eigene Unvollkommenheit sei. Sie zitierte dazu den ehemaligen FDP-Nationalrat Oscar Fritschi, der im Rahmen der Diskussion um eine Verfassungsänderung gesagt hat: «Darin ist ein Zeichen der Bescheidenheit zu sehen, indem wir die Hoffnung aussprechen, eine höhere Macht möge uns beistehen, im Wissen, dass menschliches Tun immer unvollkommenes Tun ist.»

Christliche Grundwerte haben sich bewährt
Der Mensch brauche ein übergeordnetes Wertegefäss, damit wir als Gesellschaft funktionieren können, argumentierte die fünffache Mutter wei­ter. «Der christliche Glauben verfügt für mich über essenzielle Werte.» Sie sei sich durchaus bewusst, dass das Christentum keine mehrheitsfähige Religion sei, betonte Grogg, «aber wir sollten uns wieder vermehrt unseren Wurzeln bewusst werden. Wir brauchen eine gemeinsame Wertebasis und hier haben sich die christlichen Grundwerte bewährt», gab die EVP-Grossrätin zu verstehen. Sie schloss ihr Referat mit einem an Fabian Molina gerichtetes Zitat: «Möge uns im Namen Gottes sein Vorstoss nicht einschüchtern, sondern beflügeln.»

Molina macht Kompromissvorschlag
Beflügelt von den Worten der beiden Politiker waren anschliessend auch die Zuhörenden, die nicht mit Fragen an die beiden Referenten geizten. Dabei machte Christine Grogg noch einmal klar, dass sie die Besinnung auf Gott in der Bundesverfassung als unverzichtbar betrachtet, «denn wenn wir nur noch den Menschen als Massstab für unser Handeln nehmen, dann driften wir als Gesellschaft auseinander, dann bröckelt der Zusammenhalt in diesem Land, weil wir kein gemeinsames Fundament mehr haben.»
Fabian Molina entgegnete, dass er ihre Angst nicht nachvollziehen könne, weil er wisse, dass es Menschen in diesem Land gebe, die nichts mit Gott oder Religion anfangen können. «Deshalb finde ich es anmassend, in einer Verfassung zu schreiben, welche Religion die richtige sein soll», mahnte er und machte abschliessend einen Kompromissvorschlag, wie er für die Walliser Kantonsverfassung ebenfalls vorgesehen ist: «Wir, das Walliser Volk, frei und souverän, die wir an Gott glauben oder unsere Werte aus anderen Quellen schöpfen …» Damit, so Molina, könnte auch er gut leben. Zum Schluss fasste der Langenthaler Spoken-Word-Poet Valerio Moser in witzig-humorvollen und überaus gelungenen Wortkreationen das Gesagte an diesem Morgen zusammen

Von Walter Ryser