Würzige «Müsterli» aus dem Polizeialltag
«Tatort Bern», Geschichten eines Polizisten aus dem Polizeialltag: Über fast 20 Jahre hinweg hat Marc Aebi Frick seine Erlebnisse niedergeschrieben und damit eine literarische Schatzkammer gefüllt. Unter diesem Namen hat er auch sein Buch – übrigens das zweite in seiner Schriftsteller-Karriere – herausgegeben. Am Dienstagabend fand im vollbesetzten «Gotthelf-Saal» des Gasthofs Kreuz in Sumiswald die Buchpremiere statt. Als Ehemann und Vater lebt Marc Aebi Frick seit fünf Jahren in Sumiswald.
Sumiswald · Er fühle sich wohl in Sumiswald, sei sehr herzlich aufgenommen worden, erzählt Marc Aebi Frick seinem Publikum. Das sei nicht selbstverständlich: «We ä frömde Tschugger ines Dorf chunnt u sech grad di schönschti Püüri anglet isches scho erstuunlech wen er nid gächtet wird.» Mit dem Buch «Tatort Bern» gibt er der Dorfbevölkerung und darüber hinaus einer breitgestreuten begeisterten Leserschaft Einblick in seinen beruflichen Alltag, ins Leben und in die Realität eines Polizisten, abseits vom trauten Dorf. Marc Aebi Fricks alles andere als alltäglichen Geschichten sind mit Humor – das ist in den meisten Lebenslagen bereichernd und auch erlaubt –, mit zuweilen unverhohlener Ironie, einer gesunden Prise Sarkasmus, aber auch mit viel Respekt vor den Lebenden und Toten geschrieben. Denn Polizistinnen und Polizisten haben es nun einmal recht häufig auch mit Toten zu tun. Etwas, das den Autoren grundsätzlich nicht erschreckt: «Der Tod selbst schaut für mich immer friedlich aus.» Aber manchmal braucht es trotzdem dicke Nerven, wie das Zitat aus der Geschichte «Bobeli wollte einfach nicht mehr» zeigt:
«Der Geruch, der aus der Wohnung strömte, war schwer definierbar. Es war nicht das klassische ‹Tötelä›, wie wir es von anderen Einsätzen kannten, wenn ein lebloser Körper in der Wohnung liegt. Es roch irgendwie nach einer Mischung aus vergammeltem Essen und Mottenkugeln. Sehr unappetitlich.»
«Ürsu räusperte sich kurz, fragte dann aber beherrscht: ‹Frou Grütter, göt dir aube mit öiem Maa zäme is Kafi näbedrann?› Die Frau nickte lächelnd. Mit dieser Gebärde nahmen wir an, dass es sich um Frau Grütter handelte. ‹Frou Grütter …› Ürsu legte eine Pause ein, weil jetzt der heikle Teil kam. ‹Frou Grütter›, wiederholte er, ‹stimmt das, dass dir im Kafi verzeuit, eue Maa ligi tot ir Wohnig?› Aus seinem Gesicht las ich, wie ihm diese Frage unangenehm war. ‹Ja ja, das isch ä so›, kam umgehend die Antwort von Frau Grütter und dies in einer Selbstverständlichkeit, als wäre es eine völlig banale Frage gewesen. Die Antwort von Frau Grütter kam in einer solchen Frische, als hätte die Frage von Ürsu gelautet: ‹Heit dir äch Kafirahm daheimä?› Aber nein, die Frage war klar gestellt und dabei ging es um den Tod eines Menschen. Um genau zu sein, um den Tod des Ehemannes von Frau Grütter.
Leicht vor den Kopf gestossen und sichtlich irritiert fuhr Ürsu fort: ‹Frou Grütter, wo ligt de euä Maa jetzä?› ‹Dahinger›, antwortete Frau Grütter mit gleicher Leichtigkeit und zeigte mit einer lockeren Winkbewegung in einen uns noch unbekannten Teil der Wohnung. ‹Dörfe mir cho luege›, hakte Ürsu sofort nach. Frau Grütter trat einen Schritt zurück und bat uns einzutreten. Während wir der Frau durch den schmalen, langen Korridor, an dessen Wände kitschige Familienfotos hingen, folgten, wurde der penetrante Geruch immer intensiver. Wir betraten das Wohnzimmer und mitten drin lag ein Mann, bäuchlings auf dem Parkettboden. Der folgende Augenblick war irgendwie surreal. Zu dritt standen wir vor dem Mann, der da vor uns auf dem Boden lag und weder Ürsu noch ich bemühten uns, umgehend nachzuschauen, ob der Mann überhaupt noch lebte. Wir blickten einfach nach unten zu dem Körper und einen Moment lang sagte keiner etwas. Frau Grütter, die nicht sehr grossgewachsen war, blickte von unten herauf zu Ürsu und wartete auf eine Reaktion …»
Eine unglaubliche Geschichte, selbst für erfahrene Polizisten. Überaus bildlich beschreibt Marc Aebi Frick die nächsten Szenen.
Alltag oder nicht alltäglich – aussagekräftig und, wenn es sich nicht gerade um ein menschliches Drama handelt, mit humorvoller Würze beschreibt er in 28 Geschichten die schier unglaubliche Vielfalt an Einsätzen, an Zwischen-, Un-, Aus- Ein- und Vorfällen, zu denen es Polizeibeamte treffen können. Die Worte des Autors im «Gotthelf-Saal» lassen sich schon nach den kleinen «Müsterli», die er aus seinem Buch vorlas, leicht nachvollziehen: «Kein Fall ist gleich wie der andere, und der Ausgang eines jeden Falls ist stets ungewiss.»
Etwa, wie ein kurzer Ausschnitt aus der Geschichte «Highway Run» mit Klingenbeck zeigt:
«Kaum hatten wir den Patrouillenwagen bestiegen und waren losgefahren, durchbrach Herr Klingenbeck die Ruhe: ‹Ig mues bisle.›»
«‹Jetz si mir doch grad im Spitau gsy, Herr Klingenbeck, da hättet dir ja chönne ga bisle›, entgegnete ich. ‹Denn hani no nid müesse.› Ich atmete tief durch. ‹Das cha nid bis Münsige warte?›, versuchte ich die Fahrt noch zu retten. ‹Nei!›, schnauzte er mich in schroffem Ton an und der Dialog war beendet. Roland schüttelte es wieder vor Lachen. Mittlerweile befanden wir uns auf der Forsthauskreuzung unmittelbar vor der Autobahneinfahrt. Roland überliess mir die Entscheidung, ob wir anhalten oder weiterfahren sollten. Schliesslich sitze er da vorne ganz bequem, meinte er schnippisch. ‹Ig mues würklech!›, bemerkte Herr Klingenbeck und blickte mich dabei fast drohend an. Ehe wir den Einspurbereich und somit die Autobahn befuhren, forderte ich Rolä auf, auf dem Pannenstreifen anzuhalten. ‹Herr Klingenbeck, dert hets äs Gebüsch, u wes so dringend isch, mues das ga.› ‹Das geit!›, bestätigte Herr Klingenbeck.»
«Als Herr Klingenbeck einen der vielen einladenden Sträucher erblickte, ‹büschelte› er sich zurecht und liess seinem Druck freien Lauf. Währenddessen stand ich dicht hinter ihm, doch aus Anstand und der Privatsphäre halber blickte ich weg und inhalierte die kühle Frische des Morgenerwachens. Erwachen musste ich dann jedoch erst einmal selber und das verdammt schnell! Als ich mich nämlich umdrehte, um nach Herrn Klingenbeck zu schauen, konnte ich diesen nicht mehr in geglaubter Pinkelstellung sehen. Ehe ich realisierte, was überhaupt geschehen war, spurtete der alte Mann weg von mir, weg vom Streifenwagen in allgemeine Richtung Bremgarten. Bis ich meine Masse zur noch immer frühen Morgenstunde in Gang gesetzt hatte, konnte Herr Klingenbeck einen beachtlichen Vorsprung gewinnen. Klingenbeck also in gestrecktem Galopp voraus, während ich meine knapp hundert Kilo hinterher wuchtete. Eine Blamage konnte ich mir unmöglich leisten, zu viele Gaffer verfolgten das Spektakel am Rande der Autobahn. Sein Alter zu meinem Vorteil, mein Gewicht zu seinem Nachteil, gelang es mir, ein Stück seiner Jacke zu ergreifen und wie ein Rhinozeros überrannte ich den alten Mann. Die Erdanziehungskraft leistete ihren Beitrag und beide landeten wir im Dreck. Mein Pistolenholster steckte wie ein Spaten im Erdreich und auch sonst sah ich aus wie eine frisch aus dem Boden gezogene Kartoffel ...»
Suche nach Herausforderung
«Tatort Bern» ist nach «AUTO-Biografie» (eine richtige Biografie von Autos, nicht etwa eine Selbstdarstellung) das zweite Buch, das Marc Aebi Frick in Zusammenarbeit mit dem Berner Verlag «Einfach lesen» herausgegeben hat. «Marc Aebi Frick sucht immer wieder die Herausforderung. Im Job, beim Schreiben, als Mensch. Es macht einfach Spass und ist spannend, mit ihm zusammenzuarbeiten», sagte die Verlegerin von «Einfach lesen», Rosmarie Bernasconi, in Sumiswald.
Ihr war es wichtig zu betonen, dass sämtliche vom Verlag herausgegebenen Werke in der Schweiz gedruckt werden.
Gut zu wissen
Das Buch von Marc Aebi Frick «Tatort Bern», ISBN 978-3-906860-21-3, 224 Seiten, CHF 29.00 ist in Buchhandlungen erhältlich sowie im Verlag und Buchladen Einfach Lesen, Postfach 826, 3000 Bern 8. www.einfachlesen.ch
Von Liselotte Jost-Zürcher