16.12.2016
Oberaargau

Zwangsverwaltung oder doch noch Fusion?

Die von 36 Prozent der Stimmberechtigten besuchte Gemeindeversammlung stand ganz im Zeichen des Knackpunkts Wasserversorgung. Dieser trübt den Dorffrieden und verhindert die geplante Fusion mit Langenthal.

Obersteckholz · Die Bevölkerung von Obersteckholz ist gespalten. Die grosse Mehrheit will – dies ergab vergangenen Juni der Grundsatzentscheid mit 95 zu 5 Prozent – mit der Stadt Langenthal fusionieren. Dies deshalb, weil es kaum Alternativen gibt. Zu schlecht steht Obersteckholz finanziell da, zu trübe sind die wirtschaftlichen Perspektiven. Die Steueranlage ist mit 1,84 sehr hoch und müsste ohne Fusion wohl sogar über die magische Grenze von 2,0 erhöht werden. Langenthals Steueranlage: 1,38.
Doch vor rund einem Monat sind die Fusionsverhandlungen sistiert worden – der Wasserversorgung wegen. Die Wasserversorgungsgenossenschaft Obersteckholz weigert sich, ihr Leitungsnetz an die Gemeinde Obersteckholz zu übertragen.
Bedingung für die Fusion ist aber, dass alle Wasserbezüger in Obersteckholz an einer gemeinsamen öffentlichen Wasserversorgung angeschlossen sind, um so eine flächendeckend sichere und rechtsgleiche Versorgung mit Trink-, Brauch- und Löschwasser nachhaltig finanzieren zu können.
Ein Alleingang der Genossenschafter mit parallelem Leitungsnetz und einem eigenen Gebührensystem wurde als nicht hinnehmbarer Nachteil bezeichnet.

Aufgewühlt
Dass die Bevölkerung aufgewühlt ist, zeigte die Beteiligung an der Gemeindeversammlung, die des Andranges wegen nicht wie sonst in der alten Turnhalle, sondern in der Mehrzweckhalle stattfand. 117 der 324 Stimmberechtigten waren vor Ort. «Das ist Rekord in meiner Zeit als Gemeindepräsident», sagte Heinrich Jörg. So verwunderte es nicht, dass das Traktandum «Wasserversorgung: Information und Beschlussfassung» 75 der 135 Minuten dauernden Versammlung in Anspruch nahm.  
Gemeindepräsident Jörg gab, als er zum Haupttraktandum kam, seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, dass es der Gemeinde bisher nicht gelungen sei, eine einvernehmliche Lösung mit den Wassergenossen zur Abtretung des Versorgungsauftrages und des Leitungsnetzes zu erwirken – mit gleichen Gebühren für die ganze Gemeinde. «Mehrmals haben wir das Gefühl gehabt, kurz vor dem Abschluss zu stehen», so Heinrich Jörg.
Hoffnungen habe man auch in den neuen Sekretär der Genossenschaft, Thomas Niederhauser, gesetzt, weil dieser als ehemaliger Gemeindeschreiber von Obersteckholz das öffentliche Interesse an einer Lösung in dieser Wasserfrage kennen müsste. Diese Hoffnung habe sich zerschlagen. Das Wasser löse deshalb bei ihm Magenkrämpfe und Bauchweh aus, so Jörg. Er wies auf die bereits 95-jährigen Leitungen der Genossenschaft hin, die bald hohe Investitionen erfordern würden – und auf Defizite beim Wasserdruck speziell im Kuhnhubel.
Eine Option für Jörg wäre es sogar, mit dem Wasser der Genossenschaft einen Dorfbrunnen zu speisen, der dann quasi zum Friedensbrunnen würde. «Finden wir keine Lösung, ist die Fusion mit Langenthal gestorben», so der Gemeindepräsident.

Sorge tragen
Aus der Versammlungsmitte warb Hannes Kuert für Solidarität in der Gemeinde: «Hei mer Sorg zunang.» Nun meldete sich BDP-Grossrätin Monika Gygax, Mitinitiantin eines von über 100 Obersteckholzern unterschriebenen offenen Briefes an die Genossenschaft mit der Aufforderung, sich für eine Lösung des Problems einzusetzen. Gygax lobte den Gemeinderat für das riesige Engagement und die «guten Verhandlungen» mit Langenthal. «Für uns gibt es bei einer Fusion mehr Vor- als Nachteile», so Gygax. Sie hielt in ihrem Statement fest, dass die Gemeinde allein nicht überleben könne: «Es gibt nichts anderes als eine Fusion.» Sie hoffe, dass die Genossenschafter doch noch zur Einsicht kommen würden, ansonsten ein Scherbenhaufen drohe – verbunden mit einer Zwangsverwaltung durch den Kanton, der zudem den Steuerfuss festlegen würde. «Was passiert, wenn der Gemeinderat den Bettel hinwirft?», fragte die Grossrätin. Sie forderte die Genossenschaft auf, im Sinne des Demokratieverständnisses die öffentlichen Interessen höher zu gewichten als die eigenen. Für ihre Ausführungen, die auf Gespräche mit Regierungsrat, Statthalter und Jurist basierten, erhielt Monika Gygax den «Applaus des Abends».
«Wir haben Kinder. Es muss etwas gehen für die Zukunft. Ich habe kein Verständnis für solche Sturheit», erhielt die Grossrätin Schützenhilfe von einer besorgten Mutter – «wir müssen, wie von Monika Gygax gefordert, eine Lösung finden, mit der alle leben können». Schuldzuweisungen gab es ebenfalls seitens der Genossenschafter um Präsident Markus Steffen an die Adresse des Gemeinderats.
Dabei kam der Stolz der Genossenschafter auf ihr Wasser zum Ausdruck. Auch das im Grundbuch eingetragene Quellenrecht wurde erwähnt. Die Frage an Heinrich Jörg nach der Höhe des Wasserpreises, den die Gemeinde der Genossenschaft als Wasserlieferantin pro Kubikmeter Wasser zahlen würde, konnte der Jörg (noch) nicht beantworten.  
Eine Votantin forderte die Genossenschaft auf, baldmöglichst reinen Tisch zu machen. Sie äusserte den Verdacht, dass gar nicht alle Genossenschafter richtig über die Situation informiert seien, weil alles über den Vorstand laufe. «Ich verstehe nicht, dass man so schwierig tun kann», lautete ein weiteres Votum. «In Obersteckholz zu wohnen ist schön, aber wenn wir mit dem Steuerfuss noch mehr rauf müssen, können wir den Wunsch nach Neuzuzügern gleich vergessen», hielt ein besorgter Bürger fest und betonte: «Fürs Fusionieren ist jetzt der letzte Zeitpunkt. In zwei bis drei Jahren ist der Zug abgefahren.»
Seitens der Genossenschaft wurde dies  relativiert: «Jetzt sollte man nichts überstürzen.» Ein weiterer Votant warf der Genossenschaft Verzögerungstaktik vor und fragte, ob sie ihr Verhalten gegenüber der Bevölkerung verantworten könne. «Wir drehen uns im Kreis», stellte ein Versammlungsteilnehmer nach den über einstündigen, teils sehr emotionsgeladenen Diskussionen fest.
«Wir wollten wissen, welchen Weg wir gehen sollen», beendete Heinrich Jörg die Diskussionsrunde. Er setzt jetzt grosse Hoffnungen auf ein gemeinsames Gespräch in der zweiten Januar-Woche – mit dem Regierungsstatthalter als Vermittler, Markus Steffen als Präsident der Wasserversorgungsgenossenschaft Obersteckholz sowie Vertretern der Gemeinden Langenthal und Obersteckholz.
Bei der folgenden Abstimmung ging es darum, ob die Genossenschaft den Versorgungsauftrag und das Leitungsnetz der Gemeinde Obersteckholz abtreten soll (was für die Fusion mit Langenthal Bedingung ist) oder nicht. Dieser «Variante Gemeinde» stand die «Variante Genossenschaft» gegenüber, die wegen Druckproblemen im Kuhnhubel nur diese Leitung an die Gemeinde abtreten möchte. Die  anderen Leitungen jedoch würden im Besitz der Genossenschaft bleiben. Für die Variante Gemeinde votierten 90 Stimmberechtigte, dagegen 14. Dies bei 11 Enthaltungen und 2 Unentschlossenen.     

Defizit von 116 000 Franken
Bei so viel Brisanz und Emotionen waren die übrigen Traktanden zur Nebensache geworden. Finanzverwalterin Elisabeth Berchtold stellte das Budget 2017 vor, das bei gleichbleibender Steueranlage von 1,84 Einheiten und einer Liegenschaftssteuer von 1 Promille des amtlichen Wertes ein Defizit von 116 000 Franken vorsieht. Das Eigenkapital (Bilanzüberschuss) betrug Ende 2015 noch 980 000 Franken, schmilzt aber von Jahr zu Jahr. Das Budget 2017 wurde – dies bei einem Umsatz von 1,587 Millionen Franken – einstimmig genehmigt.
Mit Applaus erfolgte die Wiederwahl von Hannes Kuert (Rechnungsprüfungskommission), der allerdings betonte, nur noch ein Jahr zur Verfügung zu stehen.
Als Mitglied der Baukommission wurde Kurt Schläfli wiedergewählt, während sich Markus Steffen nicht mehr zur Verfügung stellte. Seine Nachfolgerin ist Barbara Käser. Ebenfalls oppositionslos erfolgte die Wiederwahl von Nicole Stöckli (Schulkommission).

Von Hans Mathys