• SVP-Gemeindepräsident Andreas Hängärtner (links) und Gemeinderat Christof Steiner (Die Mitte) hatten sehr schlechte Neuigkeiten zu verkünden. Bilder: Ernst Marti

16.06.2023
Emmental

Zweimillionendefizit murrend genehmigt

Freudige Zustimmung sieht anders aus, als es an der Rüegsauer Gemeindeversammlung zur Genehmigung der Rechnung des Jahres 2022 kam, die mit einem absoluten Rekorddefizit von über zwei Millionen Franken abschloss. Von den vierzig Versammlungsteilnehmenden wurde die Rechnung schliesslich mit 31 Ja, 1 Nein und 8 Enthaltungen genehmigt.

Rüegsau · Budgetiert und von der Gemeindeversammlung vom 1. Dezember 2021 genehmigt war für das Jahr 2022 ein Defizit von 582 366 Franken. Das Ergebnis sieht nun mit einem Minus von 2 105 178 Franken bedeutend schlechter aus. Nachdem der Ressortchef Finanzen des Gemeinderats, Christof Steiner (Die Mitte), in den letzten zwei Jahren stets einen Rechnungsüberschuss präsentieren durfte, musste er dieses Mal im Namen des Gemeinderats einen wahrscheinlich in der Rüegsauer Geschichte noch nie so hohen Fehlbetrag rechtfertigen.
Nur zur Erinnerung an finanziell bessere Zeiten: Noch bei der Präsentation der Rechnung vom Jahr 2020 konnte der Rüegsauer Gemeinderat seinen Bürgerinnen und Bürgern einen Überschuss von stolzen 2,262 Millionen Franken präsentieren. Das ermöglichte eine Einlage von 1 881 682 Franken in die neu geschaffene Spezialfinanzierung «Sanierung und Erweiterung Schulanlage» plus eine Einlage von 380 634 Franken in die finanzpolitische Reserve. «Im Nachhinein betrachtet hätten wir diese Einlage in die Spezialfinanzierung anders lösen müssen», stellte in der späteren Diskussion Gemeinderat Christof Steiner selbstkritisch fest.

1,75 Millionen Franken Steuerrückzahlungen
Gemäss den Erläuterungen von Gemeinderat Christof Steiner sind Rückzahlungen in der Höhe von 1 750 347 Franken beim Steuerertrag der juristischen Personen der Hauptgrund für die historisch grosse Abweichung gegenüber dem Voranschlag.
Budgetiert waren dort nämlich noch Steuereinnahmen von 894 000 Franken, was in der Rechnung zu einer Schlechterstellung von über 2,7 Millionen Franken gegenüber dem Voranschlag führte. Aber auch bei den Steuern der natürlichen Personen gab es mit einer Differenz von 181 469 Franken eine Abweichung nach unten. Zudem machten sich im Finanz- und Lastenausgleich beim Disparitätenabbau die zwei finanziell guten Vorjahre negativ bemerkbar. Waren dort Einnahmen von 310 000 Franken budgetiert, gab es schliesslich bloss 97 493 Franken.
Massgebend für diese Zahlungen sind nämlich die Ergebnisse der letzten drei Jahre, was sich durch die damals guten Rechnungsergebnisse nun im Jahr 2022 für Rüegsau negativ auswirkte. «Wegen der defizitären Rechnung 2022 wird sich dieser Beitrag mit einer gewissen Verzögerung wieder erhöhen», so Christof Steiner. Betrachtet man die übrigen Positionen der Rechnung 2020, bewegen sich – von einigen Ausnahmen abgesehen –  die meisten Zahlen mehr oder weniger im Rahmen des Voranschlags.

Weitere Steuererhöhung ist für Gemeinderat kein Thema
Nun, auf die schlechte Kunde reagierte der Rüegsauer Gemeinderat bereits und überprüft nicht nur sämtliche Investitionskredite des laufenden Jahres auf ihre Dringlichkeit, sondern eruiert aktuell in allen Abteilungen und Ressorts weitere Einsparungsmöglichkeiten. «Der Voranschlag des Jahres 2023 ist genehmigt und wir können nicht plötzlich alles auf Null stellen», war jedoch von Seiten des Gemeinderats zu hören.
Um den zukünftigen Budgetprozess zu optimieren, soll zudem der Austausch mit der Steuerverwaltung und den juristischen Personen intensiviert werden. Für genügend Diskussionsstoff war angesichts dieser «bad news» also gesorgt. So wurde von verschiedenen Votantinnen und Votanten bezweifelt, ob,  wie es in früheren Jahren Gewohnheit war, mit den grössten Steuerzahlenden Gespräche gesucht und durchgeführt wurden. «Firmen berechnen in der Regel sehr genau, wie viel Steuern sie bezahlen müssen, und ich muss mich schon fragen, wie mit diesen verhandelt wurde, denn ab dem Jahr 2019 haben die guten Jahresabschlüsse begonnen», so das Votum eines Versammlungsteilnehmers.
«Droht nun angesichts der maroden Rüegsauer Finanzlage eine weitere Steuererhöhung, denn die letzte Erhöhung wird spätestens im Jahr 2024 schon wieder neutralisiert sein?», befürchtete ein weiterer Versammlungsteilnehmer. «Für den Gemeinderat ist eine weitere Steuererhöhung kein Thema», so die klare und bestimmte Antwort von Gemeindepräsident Andreas Hängärtner (SVP).
Trotz diesen deutlichen Worten schien es nach der Versammlung, dass doch bei einigen Teilnehmenden der Glaube an diese Worte fehlte. Festgestellt werden konnte jedoch, dass es dem Gemein­deprä­sidenten und dem Gemeinderat klar geworden ist, dass nach diesem Monsterdefizit und trotz den zu spät ein­geleiteten Sparmassnahmen die Ausarbeitung des Voranschlagentwurfs 2024 zu einer grossen Herausforderung wird.
Doch nicht nur die finanzielle, sondern ebenfalls die digitale Welt ist in Rüegsau am Boden, musste doch Ge­mein­depräsident Andreas Hän­gärt­ner am Schluss noch verkünden, dass auch nach zwei Wochen das EDV-Rechenzentrum der Gemeinde noch immer von einem Betriebsunterbruch betroffen sei. Informationen über den Zeitpunkt der Wiederaufnahme des EDV-Systems konnten an der Gemeindeversammlung noch keine abgegeben werden.

Von Ernst Marti