• Vorerst sind die Jalousien der Schule Gassen wegen den Ferien geschlossen, bald könnte dies aber dauerhaft der Fall sein. · Bild: Leroy Ryser

16.07.2020
Emmental

Zwischen Geschichte und Sparpotenzial

Die Gemeinderäte von Walterswil und Dürrenroth wollen die Schule in Gassen schliessen. Über einen entsprechenden Antrag soll an den Gemeindeversammlungen im Dezember befunden werden. Bereits jetzt wurde die Botschaft versendet und ein Infoanlass angekündigt, mit dem Ziel, dass sich die Bevölkerung eingehend mit dem Thema befasst und später auch ihre Stimme abgibt.

 

Walterswil/Dürrenroth · Es ist ein politisches Geschäft, welches sich um Geschichte, Nostalgie, Quartiergeist und Sparpotenzial dreht. Und wenn solche, oft unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen, wird es zumeist emotional. So auch in Walterswil und Dürrenroth, wo die beiden Gemeinden für den Betrieb der Schule Gassen sorgen, diesen Standort aber wegsparen möchten, der Schulgemeinderat und ein Teil der Anwohner dies jedoch verhindern wollen.
Die Lage ist verzwickt: Verantwortlich für den Betrieb der Schule ist die Schulgemeinde Klein-Emmental, die vor mehreren Jahrhunderten aus einem Teilgebiet der heutigen Gemeinden Dürrenroth und Walterswil entstanden ist und aus der Historie erwuchs. Finanziell getragen wird die Schulgemeinde zwar durch die beiden Gemeinden, handeln kann dieser Gemeindeverbund aber beinahe autonom. Jetzt wollen aber die beiden Gemeinden nicht nur zahlen, sondern mitreden und den Schulstandort gleich schliessen, was verständlicherweise auf Widerstand stösst. Einerseits droht dadurch ein Stellenabbau, andererseits würde ein seit den 1960er-Jahren in Betrieb stehendes Schulhaus weggespart, mit welchem sich die «Gässeler» seit jeher identifizieren. In Zeiten von Zentralisierung und wirtschaftlichem Denken stellt sich deshalb die typische Frage: Was ist wichtiger, Geschichte und Nostalgie oder Sparpotenzial?

Es geht nicht nur um Unterricht
Für die Vertreter der Schule Gassen ist klar: Bei diesem Entscheid geht es um mehr als nur den Unterricht der Kinder. Bereits vor Wochen, als dieses Thema erstmals öffentlich diskutiert wurde, wandten sich die Gegner dieses gemeinderätlichen Vorhabens an die Berner Zeitung und erklärten, es gehe um das Zentrum einer Gegend, die in beiden Gemeinden am Rand liege. «Wir fühlen uns als Gässeler. Nicht als Walterswiler oder Dürrenrother», hielt Schulgemeinderat Stefan Zaugg damals fest. Ausserdem zeigten sich die Gegner überzeugt, eine Schule organisieren zu können, die auf Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnitten ist.
Katharina Hasler (Gemeindepräsidentin Walterswil) und Reto Rettenmund (Gemeinderat Dürrenroth, Ressort Bildung) verstehen, dass das Geschäft emotional diskutiert wird und dass sich Bürger gegen diese Schliessung starkmachen, weisen aber darauf hin, dass mit den sinkenden Schülerzahlen der Fortbestand dieser Organisation kaum zu gewährleisten sei. Und: «Wir müssen schauen, dass wir sparen können. Dürrenroth musste bereits vor zwei Jahren mit einem halben Steuerzehntel hoch. Umso mehr mussten wir die Situation genau prüfen.» Für die Gemeinderäte ist zudem klar: Drei Schulstandorte für insgesamt 1500 Einwohner sind einer zu viel.

Sinkende Schülerzahlen entscheidend
In einer ausführlichen Botschaft haben die Gemeinderäte nun die Faktenlage auf 19 Seiten dargestellt und begründet, wieso der Schulstandort Gassen per 31. Juli 2022 geschlossen werden soll. «Ausschlag gab, dass die Schülerzahlen sinken und der Kanton in seinen Berechnungen für diese Schülerzahlen vorsieht, dass mit zwei Klassen weniger die kantonal angestrebten Klassengrössen erreicht werden könnten», erinnert sich Katharina Hasler. Dadurch müsste die Schul­struktur der beiden Gemeinden überarbeitet werden. Rasch wurde klar, dass die Primarstufen-Schüler, die derzeit das Schulhaus Gassen besuchen, auch auf die zentralen Schul-standorte in Dürrenroth und Walterswil verteilt werden könnten. Dies würde Kosteneinsparungen – auf der Basis der Rechnung 2019 – von über 180 000 Franken nach sich ziehen, weil Infrastruktur-, Administrations- und Gehaltskosten reduziert würden, ausserdem könnte die Schulliegenschaft verkauft oder umgenutzt werden.
Während heute die Kinder vom Gebiet Gassen den Kindergarten in Oeschenbach, die Primarstufe in Gassen und die Oberstufe in Walterswil (Realstufe) oder Kleindietwil (Sekundarstufe) besuchen, würden die Kinder durch die Schliessung der Schule Gassen vom Kindergarten bis mindestens zur sechsten Klasse ständig am gleichen Standort in die Schule gehen. In der nun versendeten Botschaft wird zudem darauf hingewiesen, dass die Klassen dadurch grösser werden und die Kinder ständig mit den gleichen «Gspändli» zur Schule gehen.

Die breite Bevölkerung ansprechen
Die Folge daraus: Die beiden Gemeinderäte werden an ihren jeweiligen Gemeindeversammlungen am 8. Dezember den Antrag stellen, den Schul­standort Gassen aufzuheben, per 31. Juli 2023 aus der Schulgemeinde Klein-Emmental auszutreten und diese aufzulösen. «Wir sind überzeugt, dass wir mit diesem Antrag im Sinn der Bevölkerung der beiden Dörfer handeln», betont Katharina Hasler, hängt aber an: «darüber muss letztlich das Volk entscheiden.» Ziel sei es, einen Entscheid anzustreben, der die gesamte Bevölkerung tragen kann, weshalb Reto Rettenmund und Katharina Hasler hoffen, dass an beiden Versammlungen möglichst viele Bewohner teilnehmen werden. «Letztlich betrifft es nicht nur die Bewohner des Gebietes Gassen, sondern beide Dorfgemeinden», sagt Reto Rettenmund, deshalb soll auch die gesamte Bevölkerung diesen Entscheid tragen.

Das Ja nur einer Gemeinde genügt
Fakt ist aber auch, dass ein Ja zum Austritt bereits genügt. Oder anders gesagt: Tritt nur eine der beiden Gemeinden aus dem Verbund «Klein-Emmental» per Beschluss an der Gemeindeversammlung aus, während die andere den Verbund erhalten möchte, sind die Tage vom Schul­standort Gassen dennoch gezählt. Im Organisationsreglement (OGR) ist nämlich festgehalten, dass ein solcher Gemeindeverbund, wie die Schulgemeinde Emmental einer ist, automatisch aufgelöst wird, wenn nur noch eine Gemeinde verbleibt. «Sollte nur eine Gemeinde «Ja» stimmen, dann würde dies per 31. Juli 2023 in Kraft treten. Wenn aber beide Gemeinden «Ja» stimmen, dann wird der Schulstandort bereits per 31. Juli 2022 aufgehoben», erklärt Katharina Hasler.

Zeitgleiche Resultatverkündung
Auch deshalb wird mit dem 8. Dezember in beiden Gemeinden am gleichen Abend geheim abgestimmt, auch das Resultat soll zeitgleich verlesen werden, damit die eine Gemeinde den Entscheid der anderen Gemeinde nicht beeinflussen kann. Zur allgemeinen Meinungsbildung soll ausserdem am 17. September um 20 Uhr eine Informationsveranstaltung stattfinden, dafür können auch Eingaben aus der Bevölkerung eingereicht werden.
Heute das Resultat einzuschätzen, sei aber schwierig, findet Katharina Hasler, «zu sagen, in welche Richtung es gehen wird, ist Kaffeesatzlesen.» Mit der umfangreichen Botschaft habe man diesem emotionalen und wichtigen Geschäft Rechnung tragen wollen, weil man nicht wisse, wie das Volk entscheiden will. «Uns ist wichtig, dass wir vollstes Verständnis haben, dass nicht alle den Schulstandort Gassen schliessen wollen», ergänzt Reto Rettenmund zuletzt. «Wir hoffen aber auf eine objektive Betrachtungsweise, in der die Emotionen in den Hintergrund rücken.» Im Spannungsfeld zwischen Geschichte, Nostalgie, Quartiergeist und Sparpotenzial dürfte dies vielleicht aber nicht einfach sein.

Von Leroy Ryser