• Sie verschaffen sich ein Bild beim Casting: Regisseur Schang Meier (links, am Tisch) und Theaterautor Gerhard Meister. · Bild: Thomas Peter

27.03.2019
Huttwil

100 Mannen und Frauen suchen das Glück auf der grossen Bühne

Ein Casting im grossen Stil für das Huttwiler Freilichttheater «Burechrieg»: Gegen 100 Frauen und Männer allen Alters stellten sich dem Urteil von Regisseur Schang Meier und Autor Gerhard Meister. Doch die Rollen für Leuenbergers Frau, eine keifende Pfarrerin, die Gaukler, Marktleute oder Chorfrauen werden erst ab Herbst im Probeverlauf vergeben. Einzig Bauernführer Niklaus Leuenberger wird mit einem Profi besetzt.

Die 26-jährige Samantha Lanz strahlt über das ganze Gesicht, ihr leicht verlegenes Lachen ist so sympathisch wie erfrischend ansteckend. «Bei einem so grossen Theaterprojekt mitmachen, das kann man nicht jeden Tag.» Sie stand schon wiederholt bei der Theatergruppe des Gemischten Chors Auswil auf der Bühne. «Ich mache das einfach sehr gerne. Dabei sein ist alles.» Wieder leuchten ihre Augen. Da spricht das Herz mit. Doch die Konkurrenz scheint gross. Gegen 100 Mannen und Frauen, vornehmlich aus der Region, sind aufmarschiert zum Casting für das Freilichttheater «Bure-chrieg», das im Jahre 2020 aufgeführt werden soll.
Das vermutlich grösste Theaterprojekt, das Huttwil je gesehen hat. Die Stimmung im Kleinen Prinz ist betont locker, man ist sofort mit allen per Du. Und doch schwebt ein Hauch Nervosität und Anspannung im Saal. Wer schafft den Sprung auf die Theaterbühne? Regisseur Schang Meier lässt sich auch vom «Unter-Emmentaler» nur bedingt in die Karten schauen: «Die Hauptrolle des Bauernführers Niklaus Leuenberger ist vergeben. Sie wird von einem Profischauspieler übernommen.» Wer das ist, sei noch nicht spruchreif, der Vertrag noch nicht unterschrieben. Es ist kein Mann mit Hollywood-Status, aber doch jemand, den man in der Berner Szene gut kennt.»

Frauenchor mit Hauptrolle
Jetzt beim Casting gehe es aber darum, zu sichten, was die Kandidaten zu bieten haben. «Ich kenne sie ja nicht.» Und sogleich wird nicht der Weizen von der Spreu, aber die Frauen werden von den Männern getrennt. «Es ist so, dass der historische Stoff sehr männerlastig ist, das lässt sich nicht umbiegen.» Schang Meier blickt in die Runde, die hälftig weiblich ist. «Ein Frauenchor hat aber eine tragende Hauptrolle», gibt der Regisseur aufkommender Enttäuschung keinen Spielraum. «Wir haben 19 A4-Seiten Text allein für Frauenrollen.» Ja das ganze Stück beginne sogar mit dem Frauenchor. Das Schlimmste gleich zum Anfang: «Die Frauen berichten anklagend von ihren Männern, die im Krieg geköpft, gehängt oder gevierteilt wurden. Jede der Chorfrauen hat einen Text, der ihr Leben, ihr Schicksal schildert.»
Und natürlich werden auch Lieder gesungen. Komponist Ben Jeger macht sich in der Folge im Kellergeschoss des Kleinen Prinzen auf, die Stimmqualitäten der Frauen «abzuklopfen». «Ich habe mit einem acht- bis zehnköpfigen Frauenchor gerechnet», ist Ben Jeger etwas überrascht. Jetzt sind es gut 50 oder mehr. Keine leichte Aufgabe, das umzubauen. Doch der Musiker hat schon Visionen: «Mit einem so
grossen Chor kann man natürlich schon sehr Beeindruckendes zeigen.» Doch zuerst müsse er das Niveau kennenlernen. «Die meisten werden gesanglich nicht oder kaum ausgebildet sein», ist für den Komponisten klar. Und er hört Unterschiedliches. Solo? Nein danke. Nicht alle singen so frisch von der Leber weg wie Gabriela Gafner von Langenthal, obwohl sie das gesprochene dem gesungenen Wort klar bevorzugt. «Reden, möglichst viel Reden», meint die 49-Jährige verschmitzt mit Humor und doch einer Prise Ernst im Hinblick auf eine mögliche Rolle. «Ja, Theater spiele ich halt schon sehr gern.»

Inbrunst und Greenhorns
Derweil solosingende Frauen mit Kinder-, Volks- und Kirchenliedern die Gunst des Komponisten zu gewinnen versuchen, geht es oben im Saal bei den Männern schon schauspielerischer zur Sache. Sie müssen kurze Originaltexte aus der Feder von Autor Gerhard Meier in Szene setzen. «Es ist immer ein tolles Gefühl, Sätze, die ich geschrieben habe, erstmals von Schauspielern zu hören.» Von stillen Wassern bis inbrünstigen Akteuren: Die aufmerksamen Augen und Ohren von Autor und Regisseur erleben alle Schattierungen.
Peter Roth von Melchnau interpretiert seine Texte mit kraftvollem Pathos. Schnell wird klar, der 47-jährige Briefträger steht nicht zum ersten Mal auf der Bühne. «Laientheater Lindenblatt Roggwil. Gartenoper in Langenthal», bestätigt Peter Roth den Eindruck. «Doch in einem so grossen Freilichttheater habe ich noch nie mitgemacht. Das reizt mich.» Den zu erwartenden grossen Zeitaufwand scheue er nicht. «Das Spannende: Es ist eine Uraufführung, das Stück gab es noch nirgends. Man kann von Anfang an bei der Ausgestaltung mitwirken.»
Im Gegensatz zu Peter Roth stand Bruno Weichlinger von Dürrenroth noch nie auf der Bühne. «Das Thema Bauernkrieg interessiert mich sehr», spricht der pensionierte Polizist seine Motivation an. Seit er im Ruhestand sei, habe er jetzt Zeit, bei einer Theateraufführung mitzuwirken. Während dem Berufsleben sei das nicht möglich gewesen. Er habe sich vor allem als Statist mit Tierbegleitung gemeldet. «Mal schauen, ob man das braucht. Es ist aber ein Anfang. Aber man weiss ja nie», scheint der 62-Jährige auch einer tragenderen Rolle nicht abgeneigt zu sein. Voll motiviert legt derweil Erich Stamm von Huttwil seine Stimme im spitzesten Ostschweizer Dialekt in die Waagschale, aber er zweifelt, ob gerade diese Sprachklangfarbe in einem Berner Mundartstück wirklich gefragt sein dürfte.

Rollenverteilung offen
Doch das liegt laut Autor Gerhard Meister vor allem in den Händen von Regisseur Schang Meier. «Wir haben das Glück, dass es sich um kein fixfertiges Stück handelt, sondern wir können je nach dem reagieren», so Schang Meier. Sein Fazit nach dem dreistündigen Casting: «Ich habe das angetroffen, was ich erwartet habe.» Das klingt eher ernüchternd und lässt reichlich Interpretationsraum über seine Einschätzung der Qualität der Kandidaten. «Ich habe mir einen ersten Überblick verschafft, ohne dass ich ins Detail gegangen bin», präzisiert Schang Meier. «Ich gehe nicht mit dem unguten Gefühl nach Hause, dass wir unbedingt noch neue Leute suchen müssen, weil wir nicht alle Rollen mit den jetzigen Kandidaten besetzen könnten.» Er habe auch viel Gutes gesehen, Spielfreude, Erfahrung. Er habe auch einige Figuren ausgemacht, die er sich für bestimme Rollen vorstellen könnte. «Aber es ist noch zu früh, um konkreter zu werden, ob Rollen noch zusätzlich besetzt werden müssen. Ich habe ein gutes Gefühl, doch ich weiss: Es gibt noch viel zu tun.»
Hoffnungen auf ein Engagement können sich aber offenbar noch alle machen. «Anfang September beginnen wir die Proben mit allen Kandidaten», so Schang Meier. Die Rollenverteilung werde erst später aufgrund des Verlaufs vorgenommen. Bis Ende Jahr werde einmal pro Woche geprobt. «Wo, ist noch nicht klar.» Danach werde es intensiver. Ab Frühling 2020 gehe man ins Freie, sobald es die Witterung zulasse.

Von Thomas Peter