• Wunschbild: Bachforellen, die sich in genügend Wasser wohl fühlen. · Bild: vig

  • Traurige Realität im Emmental 2022: Verendete Forellen.

  • Bilder der Gegensätze: Die Emmen-Flut am 4. Juli 2022 in Emmenmatt (links) und das ausgetrocknete Flussbett der Grünen. Beide Extreme machen den Fischen das Leben schwer. · Bild zvg/Archivbild: Thomas Peter

28.03.2023
Emmental

2022 war ein tragisches Jahr für die Forellen

2022 war ein tragisches, wenn nicht gar verheerendes Jahr für die Forellen im Emmental. Bereits Ende März musste die Fischerei-Pachtvereinigung Emmental den ersten Einsatz für die Notabfischung leisten. Dann im Sommer die Trockenheit, die Flutwelle im Juli und kurz vor Weihnachten das Hochwasser. Und jetzt fehlt wiederum das Schmelzwasser vom Schnee – die Aussichten in diesem Jahr verheissen nichts Gutes und bereiten Sorgenfalten.

In «Normaljahren» werden die Gewässer des Emmentals ab März bis April durch das Schmelzwasser der Schratte und Hohgant genügend versorgt. Nicht so im Jahr 2022. Am 11. März musste der erste Einsatz für Notabfischungen geleistet werden, weil sich die Schneeschmelze verzögert hatte. Dann im Sommer wurde es durch die Trockenheit sehr dramatisch. Vielerorts war die Emme komplett ausgetrocknet, Fische mussten wiederum abgefischt werden.
Die Fischerei-Pachtvereinigung Emmental versuchte mit allen möglichen Mitteln, der Trockenheit entgegenzuwirken, in dem sie täglich die Wasserstände kontrollierte, Kontakt zu Werkbetreibern hielt, um Stauhaltungen öffnen zu können, mit Behörden Wasserentnahmen eindämmte und reduzierte und Pumpen in Betrieb setzte, um der Emme zusätzliches kühles Wasser zuzuführen.
Am 4. Juli kam die Flutwelle, welche die Lage noch einmal verschlimmerte: «Die Flutwelle liess den Pegel der Emme vom Kemmeriboden-Bad innert Sekunden von praktisch null auf 270 m3/sec (= 270 000 l pro Sekunde) ansteigen. Die unglaublichen Wassermassen und der immense Geschiebetransport haben Tausende von Fischen aus dem Flussbett ins Umland gespült oder schlicht zermalmt und zertrümmert», berichtet Toni Liechti, Präsident der Fischerei-Pachtvereinigung Emmental. Und als ob das nicht genug gewesen wäre, gab es im Dezember ein Winter-Hochwasser. Dies hat mit grösster Wahrscheinlichkeit alle Laich­gruben zerstört. «Das war zum Jahresende noch das Allerletzte, was wir uns nur erhofft hatten. Das Hochwasser stieg in der Ilfis und Emme bis zu einer Rekordhöhe von über 300 m3/sec bei der Messstelle in Emmenmatt an. Die Laichgruben (die mit Fischeiern dotierten Nester) der Forellen wurden allesamt weggespült. Damit ist die natürliche Fortpflanzungskette unterbrochen worden. Zumindest im Oberen Emmental wird im Jahr 2023 kaum eine Forelle auf natürlichem Weg schlüpfen und den Weg ins Leben finden», erklärt Toni Liechti die Lage. «Rund 70 Prozent des ganzen Bestandes haben die Ereignisse im Jahr 2022 nicht überlebt. Kontrollierte Abfischungen durch die Fischereiaufsicht haben gezeigt, dass nur noch ein Jahrgang von Forellen feststellbar ist. Das sind zweieinhalbjährige Fische in einem Längenfenster von 18 bis 22 cm. Die kleinen und die laichfähigen Fische fehlen komplett.» Um noch weiteren Verlusten entgegenzuwirken, beantragte die Fischerei-Pachtvereinigung ein Fischereiverbot, welchem vom Zusammenfluss der Emme mit der Ilfis in Emmenmatt bis zur Kantonsgrenze für drei Jahre stattgegeben wurde. «Unsere Motivation, den Antrag für ein Fischereiverbot einzureichen, war und ist es, in unserer Region einen Beitrag zu einer nachhaltigen und schonenden Fischerei zu leisten, und um das Ziel zu erreichen, überlebende laichfähige Tiere komplett zu schützen, um die Naturverlaichung nicht zusätzlich zu gefährden», erklärt Toni Liechti. Und fügt an: «Diese ausserordentliche Massnahme ist in der Geschichte der Bernischen Fischerei einmalig, oder vorsichtiger ausgedrückt, erstmalig.» Im Langetental treten solche Extreme von Austrocknungen nicht auf. Warum? Toni Liechti: «Die regionalen Unterschiede selbst im Kanton Bern sind enorm gross. Bezüglich den Notabfischungen müssen 70 Prozent aller Einsätze im Emmental geleistet werden. Das Speichervermögen der Böden scheint sehr unterschiedlich zu sein, eventuell ist im Gebiet des oberen Emmentals die entwässerte landwirtschaftliche Fläche (Drainage) viel grösser oder die speichernde Humusschicht viel geringer. Das Emmental ist ausserdem eine reine Forellenregion. Im Oberaargau (Aare) sind auch weniger anspruchsvolle Fische heimisch. Einen wissenschaftlich erklärbaren Grund kann ich aber nicht nennen.»

Das Abfischen
Die Fische werden stetig beobachtet und wenn diese langsam, aber sicher in Not geraten, melden sich oft auch Privatpersonen bei der Fischerei-Pachtvereinigung. Dann muss es schnell gehen: «Von der Feststellung eines notwendigen Einsatzes bis die Gruppe tatsächlich die Arbeit vor Ort aufnehmen kann, liegt eine Zeitspanne von 2 bis 3 Stunden. Das Wasser verschwindet aber manchmal innert Minuten. Eine Forelle überlebt ohne Wasser etwa eine 1 Minute», erklärt Toni Liechti. In Gruppen von 3 bis 4 Personen werden die gefährdeten Abschnitte mit Hilfe von Elektro-Fanggeräten (EFG) komplett abgefischt. Der Fangerfolg mit den EFG liegt bei rund 90 Prozent. Die Abfischung erfolgt mit Gleichstrom und ist für die Fische nicht stressfrei, aber sehr schonend und entspricht in jedem Fall allen Grundsätzen des Tierschutzgesetzes. «In einem ersten Schritt werden die Fische in abtrocknenden Abschnitten der Quelle nähergelegenen und noch wasserführenden Strecken im selben Gewässer eingesetzt. Wenn die Trockenheit anhält oder zunimmt, werden die Fische in das Hauptgewässer umgesiedelt.» Den organisierten Vereinen im Emmental stehen rund 60 Personen zur Verfügung. «Wir gehen davon aus, dass für die Betreuung von Privatgewässern weitere 10 bis 20 Personen über die erforderlichen Kenntnisse verfügen. Für grosse und sehr akute Einsätze entsendet das Fischereiinspektorat Einsatzkräfte ins Emmental», erklärt Liechti weiter und ergänzt: «Jeder Einsatz wird im Frondienst geleistet.»

Düstere Aussicht
Der Sommer 2022 war sehr trocken, was passiert, wenn der Sommer 2023 wieder sehr trocken werden sollte? «Ein trockenes Halbjahr 2023 scheint sich leider abzuzeichnen. Da in den vorgelagerten Bergen und Hügeln praktisch kein Schnee liegt, fehlt das Schmelzwasser und die Grundwasserpegel sind tief. Und die Wasserspeicher des Emmentals sind leer», sorgt sich Toni Liechti. «2023 werden voraussichtlich mehr Wasserquellen versiegen als 2022.»
«Die Fischerinnen und Fischer versuchen mit Rat und Tat, den (fast) unsichtbaren und sehr stummen aquatischen Bewohnern eine Stimme zu geben. Fragen sie die Fische selbst nach ihren Sorgen, sie würden Antworten erhalten wie: Fehlende Fut­terangebote, fehlende Beschattung, zu hohe Wassertemperaturen, Bade­-gäste an Rückzugsstandorten, eingeschränkte Lebensräume und natürlich listige Fischer», meint der Präsident. Und so hofft die Fischerei-Pachtvereinigung Emmental auf sanfte, aber andauernde Niederschläge in der ganzen Schweiz. Denn die Fische sind auf qualitativ einwandfreies, fliessendes und kühles Wasser angewiesen. Ein niederschlagsreicher Frühling würde die Wasserspeicher ansprechend dotieren. «Umwelttechnisch wünsche ich mir eine konstruktive Zusammenarbeit der Akteure Landwirtschaft, Werkbetreiber und Behörden. Katastrophal bei Niedrigwasser sind unter anderem auch Ereignisse mit auslaufender oder unkorrekter Verteilung von Gülle», erklärt Liechti. «Wir wollen in den nächsten drei Jahren wieder eine genetisch einwandfreie Forellenpopulation ansiedeln und aufbauen. Die Brutfische sollen ein geschütztes Habitat vorfinden. Es macht keinen Sinn, eine Fischerei zuzulassen, im Wissen, dass nur untermassige Fische gefangen werden.»

Aufmerksamkeit der Bevölkerung
«Die Herausforderungen in Umweltbereichen sind sehr komplex, die Bedürfnisse unserer Gesellschaft und die klimatischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten drei Dekaden sehr verändert. Der Lernprozess bei uns Menschen ist zwar fortgeschritten, aber immer noch ignorieren wir grundlegende Zusammenhänge in den empfindlichen Öko-Systemen. Erlauben Sie mir einen Gedanken: In meiner Jugendzeit lernte man mich, dass die Schweiz DAS Wasserschloss Europas sei. Berge, Gletscher und Stauhaltungen schienen unendliche Speicher für Wasser und Energie darzustellen. Heute sind wir von einer Energieverknappung und fortschreitender Trockenheit betroffen, Stauhaltungen dienen in Zukunft primär als Rückhaltebecken von Hochwasserereignissen und, wer hätte das jemals gedacht, als Trinkwasserspeicher.» Die Bevölkerung kann die Fischerei- und Pachtvereinigungen insbesondere durch Beobachtungen unterstützen. «Wir haben zudem eine grosse Bitte an die Bevölkerung: In Zeiten einer Trockenheit sind kühlende, tiefe Stellen in den Gewässern die einzigen sicheren Rückzugsorte für die Fische. Wenn solche Stellen zu Badezwecken benutzt werden, bitte ohne Plantschen und ohne Sprünge ins Wasser. Damit schonen sie die ohnehin gestressten Forellen», bittet Liechti inständig.
Toni Liechti hatte grosse Mühe, über die tragischen Ereignisse im 2022 zu sprechen und war den Tränen nahe: «Wenn Personen eine Sache, ein Umstand als Herzensangelegenheit annehmen, sind umgehend Emotionen damit verbunden. Meine emotionalen Ausbrüche betreffen nicht die Tätigkeiten in der Fischerei-Pachtvereinigung, sondern dem Mitwirken bei den Notabfischungen. Ich muss zugeben, dass ich Situationen und Bilder von verendeten Fischen und toten Gewässerabschnitten schlecht einordnen und verarbeiten kann», erklärt er.

Von Marianne Ruch