• Paul Bayard wünscht sich, dass sein kurzfristiger Rücktritt aus dem Langenthaler Stadtrat zu einem Umdenken in der städtischen Politik führt. · Bild: Walter Ryser

10.02.2023
Langenthal

Abrupter Abgang als politischer Weckruf

Einen Tag, nachdem das Langenthaler Stimmvolk am 22. Januar das Budget für das Jahr 2023 abgelehnt hatte, trat SP-Stadtrat Paul Bayard per sofort von allen seinen politischen Ämtern zurück. «Das unsägliche Gezerre um das Budget 2023 und das Gezänk um juristische Spitzfindigkeiten in der Geschäftsprüfungskommission und im Stadtrat haben mir den Rest gegeben», betont er in seinem Rücktrittsschreiben. Dennoch blickt er mit guten Gefühlen auf sein politisches Engagement zurück und sagt: «Politik ist nichts Hässliches, im Gegenteil, die vielen interessanten Diskussionen und der Austausch mit den Leuten waren sehr lehrreich und haben mir meistens grossen Spass gemacht.»

Langenthal · Das Langenthaler Polit-Jahr begann mit einem Knall: Am 22. Januar lehnte das Langenthaler Stimmvolk das Budget 2023 mit einer Steuererhöhung von 1,38 auf 1,44 Einheiten ab. Einen Tag später folgte die nächste Überraschung: SP-Stadtrat Paul Bayard trat per sofort von allen seinen politischen Ämtern zurück. Der 73-jährige Pensionär, der mit Unterbruch fast 20 Jahre im Langenthaler Stadtparlament tätig war, zog frustriert die Konsequenzen gegenüber einer städtischen Politik, die er – gemäss seinem Rücktrittsschreiben – nicht mehr mittragen könne. Paul Bayard wird in seinem Schreiben deutlich: «Das unsägliche Gezerre um das Budget 2023 und das Gezänk um juristische Spitzfindigkeiten in der Geschäftsprüfungskommission sowie im Stadtrat haben mir definitiv den Rest gegeben.»

«Nicht alles lässt sich reglementieren»
Die Ablehnung des Budgets habe dann das Fass zum Überlaufen gebracht, betont der ehemalige Technische Redaktor bei der Ammann Group in Langenthal. Da habe es ihm den «Nuggi» rausgehauen, bemerkt Paul Bayard. Da­-
durch sei die Stadt blockiert, «ein Zustand, der überhaupt nicht nötig wäre, befinden wir uns doch nach wie vor in einer komfortablen finanziellen Lage», findet der abgetretene Stadtrat. Aber die Art und Weise, wie aktuell in Langenthal politisiert werde, könne er nicht mehr mittragen, fügt er hinzu.
Vor allem an den Diskussionen um juristische Spitzfindigkeiten und den damit verbundenen ellenlangen Diskussionen stört er sich. Paul Bayard ist nämlich der Meinung, dass die Politik Spielräume benötigt. «Nicht alles lässt sich reglementieren. Es ist wichtig, dass gewisse Leerräume vorhanden sind, die Möglichkeiten für eine Entwicklung bieten. Ansonsten braucht es gar keine Politik mehr, vielmehr kann die Verwaltung gemäss den geltenden Gesetzen und Reglementen die Stadt entsprechend führen und leiten», gibt der in Ursenbach geborene und aufgewachsene Alt-Stadtrat zu verstehen.

Raum für Kompromisse fehlt
In den letzten Jahren hätten sich die Fronten zwischen Gemeinderat und Stadtrat, aber auch zwischen dem linken und rechten Lager im Stadtrat, verhärtet, stellt Paul Bayard ernüchtert fest. Die Gründe dafür sind auch für ihn nur schwer fassbar, «aber früher war es möglich, gemeinsam etwas zu realisieren», stellt er fest. Heute würden die eigenen Interessen so stark gewichtet, so dass kaum noch Raum für Kompromisse vorhanden sei. «In der städtischen Politik fehlen Leute, die nicht so in engen Bahnen denken, gewisse Freigeister, die das Gesamt-Interesse der Stadt im Blick haben, wie beispielsweise früher ein Richard Bobst oder Robert Brechbühl, der den Verkauf der Onyx-Aktien initiierte.»
Davon sei man aktuell leider weit entfernt, bedauert Bayard, der das Vorgehen der bürgerlichen Seite im Stadtrat als störend empfindet, weil diese seiner Meinung nach versuche, den Gemeinderat und den Stadtpräsidenten zu schwächen. «Das können sie auch, weil sie im Rat über die Entscheidungs-Hoheit verfügen, und davon macht die bürgerliche Seite auch rücksichtslos Gebrauch. Dies erzeugte bei mir sowie auf der ganzen linken Ratsseite ein Ohnmachts-Gefühl», beschreibt Paul Bayard das politische Kräfteverhältnis im Langenthaler Parlament aus seiner Optik.
Die Reaktionen auf seinen abrupten Abgang als Stadtrat seien erstaunlicherweise grösstenteils positiv ausgefallen, sagt der verheiratete Pensionär, der seit über 30 Jahren in Langenthal wohnt. In diversen Gesprächen sei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht worden, dass sein Handeln vielleicht als politischer Weckruf wahrgenommen werde. Paul Bayard selber sagt zwar, dass es sich für ihn richtig anfühle, wie er gehandelt habe, «dennoch ist dieser Rückzug für mich wie eine zweite Pensionierung.»

100-Jahr-Feier im Fokus
Trotz allem blicke er mit guten Gefühlen auf sein politisches Wirken zurück, erwähnt er und ermuntert junge Leute, sich politisch zu engagieren. «Denn Politik ist nichts Hässliches, im Gegenteil, die Arbeit hat mich immer erfüllt und mir Spass gemacht. Ich habe an vielen interessanten Diskussionen teilgenommen, das war äusserst lehrreich und der Austausch mit verschiedenen Leuten war bereichernd», blickt er versöhnlich zurück. Künftig werde er das politische Leben in der Stadt aus einer gewissen Distanz verfolgen. Vielleicht werde er auch einmal als Zuschauer einer Stadtrats-Sitzung beiwohnen, bemerkt Paul Bayard. Dazu werde er weiterhin Mitglied der SP bleiben und sich hier etwa beim Thema «Einheitskrankenkasse», das demnächst wieder auf dem politischen Parkett erscheinen soll, engagieren.
Langweilig werde es ihm auf alle Fälle nicht, weist er auf sein Engagement beim Verein Naturfreunde, Sektion Langenthal, hin, wo er als Interims-Präsident amtet und in dieser Funktion die 100-Jahr-Feier im September dieses Jahres vorbereitet und damit den jüngsten «Polit-Frust» verarbeitet. Die Feierlichkeiten werden im Forum Geissberg stattfinden und von diversen Aktionen begleitet sein, berichtet Paul Bayard und erwähnt eine Baumpflanz-Aktion in Zusammenarbeit mit der Langenthaler Stadtgärtnerei. Dazu wird an der Jubiläumsfeier der bekannte Solothurner Insektenfotograf Bähram Alagheband spezielle Einblicke in die Welt der Kleintiere gewähren. Paul Bayard hofft, dass die Jubiläumsfeier dem Verein mit seinen rund 100 Mitgliedern einen Aufschwung beschert.

Von Walter Ryser