• Lutz Hahn zeigt die speziellen Kühlschränke mit den kleinen Fächern.

  • Die Infrastruktur des Forums Sumiswald ist für ein Integrationszentrum ideal.

  • In der Küche reihen sich Kochherd an Kochherd.

  • Für Stefan Ammann (rechts) ist die Betreuung der Flüchtlinge eine schöne Aufgabe. Hier im Gespräch beim Infopoint mit einem Klienten.

  • Noch hat es freie Zimmer im Durchgangszentrum. · Bilder: Marion Heiniger

12.04.2024
Emmental

Ankommen, Fördern, Weitergehen

Im Asylzentrum in Sumiswald werden seit rund einem Jahr Flüchtlinge integriert. Die Betreuung und Integration sei eine tägliche Herausforderung, sagen Stefan Ammann und Lutz Hahn von ORS. Ein motiviertes Betreuerteam bringt den Geflüchteten die Gepflogenheiten der Schweiz bei und lehrt sie die deutsche Sprache. Es ist die Hilfe zur Selbsthilfe.

Sumiswald · In der ehemaligen Gastroküche des Forums Sumiswald reiht sich Kochherd an Kochherd, gleich daneben, dort wo man sich früher an den Selbstbedienungstheken das Essen schöpfen konnte, stehen Kühlschränke in Reih und Glied, darin kleine abschliessbare Fächer. «Pro Person steht ein Kühlschrankfach zur Verfügung, bei grösseren Familien auch mehrere», erklärt Lutz Hahn während eines Rundgangs durch das Flüchtlingszentrum in Sumiswald. Lutz Hahn ist Leiter Kommunikation von ORS (Organisation for Refugee Services), ein privates Betreuungsdienstleistungsunternehmen, das im Auftrag der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern in der Region Oberaargau-Emmental einige Asylzentren führt. Die Flüchtlinge kochen ihr Essen selbst, zu mehr oder weniger festgelegten Zeiten. Auch das Waschen der Kleidung gehört zu ihren Aufgaben. Dafür stehen im Untergeschoss des Zentrums jeweils zwölf Waschmaschinen und Tumbler zur Verfügung. Auch diese Tätigkeit ist zeitlich auf einem Waschplan geregelt. «Unsere Klienten sollen sich von Anfang an an die Regeln gewöhnen. Wenn sie in eine eigene Mietwohnung ziehen, müssen sie auch wissen, dass man beispielsweise nachts nicht waschen darf», erklärt Stefan Ammann. Er ist Teil des Co-Leitungsteams und leitet das Asylzentrum zusammen mit seiner Kollegin Nina Cadonau. Sie ist an diesem Vormittag für den Infopoint zuständig. Auch hier wieder die festgelegten Zeiten. Der Infopoint ist nur zu den normalen Büroöffnungszeiten besetzt. Daneben sorgen verschiedene «Ämtli» – wie beispielsweise die Reinigung der eigenen Zimmer, der Flure und Treppen – bei den Unterkunftsbewohnern für einen geregelten Tagesablauf.

Nicht alle Betten belegt
Vor rund einem Jahr eröffnete der Kanton Bern in Sumiswald diese grosse Kollektivunterkunft mit Platz für maximal 250 Schutzsuchende. Noch vor zweieinhalb Jahren waren es 15, heute bereits über 50 Kollektivunterkünfte, verteilt über den ganzen Kanton. Aktuell sind in der Kollektivunterkunft Sumiswald 162 Betten belegt – vorwiegend von Familien. Platz hat es zurzeit noch für weitere 30 bis 35 Personen. «Es können selten alle Betten gleichzeitig belegt werden, wohnt eine sechsköpfige Familie in einem Achterzimmer, werden dort aus Gründen der Privatsphäre keine weiteren Personen mehr untergebracht», erklärt Stefan Ammann. Die Flüchtlinge kommen vorwiegend aus Afghanistan, Syrien und der Türkei, vereinzelt auch aus Russland, Usbekistan, Afrika und Südamerika. Untereinander verständigen sich die Bewohnenden des Durchgangszentrums vorwiegend auf Englisch, die Betreuungssprache jedoch ist Deutsch. «Wir haben aber auch Mitarbeitende, die selbst einen Migrationshintergrund haben, das heisst, im Betreuungsteam werden verschiedene Sprachen gesprochen, das hilft bei der Verständigung, wenn es auf Deutsch nicht funktioniert», erklärt Lutz Hahn. Diese Brückenbauerfunktion sei wichtig und wertvoll, denn wenn sich ein Betreuer mit Anweisungen oder Erklärungen in der Landesprache an die Klienten wendet, sei das Verständnis grösser. Ausserdem kennen diese Betreuer die Kultur, was bei zwischenmenschlichen Konflikten deeskalierend wirken könne, so Lutz Hahn weiter. «Dennoch ist die sprachliche Barriere die grösste Herausforderung in der Betreuung», merkt Stefan Ammann an.

Hilfe zur Selbsthilfe
Die wichtigste Aufgabe des ORS-Betreuungsteams ist es, den Bewohnenden eine Struktur im Tagesablauf und dadurch für das tägliche Leben zu bieten. Die Grundidee ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Sei es bei der Essenszubereitung, beim selber einkaufen gehen, dem Umgang mit Geld, bei Terminen mit den Sozialarbeitenden und den Jobcoaches oder bei der Teilnahme an den obligatorischen Deutsch- und Schlüsselkompetenzkursen. «Praktisch alle unsere Klienten sind anerkannte Flüchtlinge und haben eine Bleibeperspektive. Unser Auftrag ist es, diese Menschen zu integrieren», sagt Lutz Hahn. «Es ist ein laufender Prozess, die Klienten müssen eine entsprechende Integrationsstufe erreicht haben und Deutsch auf Niveau A1 sprechen, dann helfen wir ihnen als nächstes, in der Region eine Wohnung zu finden», ergänzt Stefan Ammann.

Betreuung rund um die Uhr
13 Betreuende arbeiten in Sumiswald rund um die Uhr im Dreischichtenbetrieb. Zusätzlich kümmern sich Sozialarbeitende, medizinische Pflegefachfrauen, Lehrer und Jobcoaches um die Flüchtlinge. Gesamthaft sind es in der Region rund 100 Personen, die für die von ORS geführten Kollektivunterkünfte in Sumiswald, Schafhausen, Wolfisberg, Lang­nau und Burgdorf tätig sind. «Die Zentralanlaufstelle ist in Burgdorf, dort finden auch viele Kurse statt. Die Flüchtlinge lernen, selbstständig mit dem öffentlichen Verkehr dorthin zu fahren», erklärt Lutz Hahn. Gesamthaft beschäftigt ORS in der Schweiz rund 2000 Mitarbeitende aus 99 verschiedenen Nationen. Für den Bund führen sie diverse Bundesasylzentren, im Kanton Bern sind es Lyss und Bern und für die kantonale Sicherheitsdirektion Rückkehrzentren für Personen mit einem negativen Asylentscheid. Neben der Schweiz ist ORS auch in Deutschland, Österreich und Italien tätig und beschäftigt bis zu 30 verschiedene Berufsgruppen, die vom Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Lehrpersonen, Arzt, Facility Manager bis hin zum Koch reichen. Seit 2022 gehört das Unternehmen zur weltweit tätigen Serco Group mit über 55 000 Mitarbeitenden und Hauptsitz in London.

Betreuungsaufgabe mit Grenzen
Für Stefan Ammann ist die Betreuung der Flüchtlinge eine schöne Aufgabe. Besonders freut es ihn, wenn eine Familie oder ein Alleinreisender eine Wohnung und Arbeit gefunden hat. Ihm ist bewusst, dass das Thema Asyl eine sensible Angelegenheit ist. «Wir sind politisch und religiös neutral, machen also keine Politik und haben uns an vorgegebene Rahmenbedingungen zu halten, dabei versuchen wir das Optimum herauszuholen», zeigt Stefan Ammann die Grenzen der Betreuungsaufgaben auf. Dennoch sind die ORS-Mitarbeitenden auch Kritik ausgeliefert. «Die Betreuer arbeiten an der Front und werden manchmal für Dinge, zum Beispiel bei einem negativen Asylentscheid, verantwortlich gemacht, obwohl sie darauf keinen Einfluss haben. Wir versuchen, uns für das Wohlergehen der uns anvertrauten Menschen bestmöglich einzusetzen und behandeln alle gleich», ergänzt Lutz Hahn.

Wertvolle Freiwilligenarbeit
Trotz vieler Betreuenden ist das Team um die wertvolle Hilfe der Freiwilligen aus der Gemeinde Sumiswald sehr froh. «Sie helfen den Klienten, Wohnungen zu finden, legen Hand beim Umzug an, veranstalten Kleiderbörsen und zusätzliche Deutschkurse. Der Rückhalt der Freiwilligen ist gross», freut sich Stefan Ammann. Auch die Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der Schule hebt er positiv hervor. Gleichwohl gibt es von den Bürgern Sumiswalds auch negative geäusserte Stimmen. «Wir haben immer ein offenes Ohr, auch für kritische Stimmen und laden jeden ein, der Fragen oder Zweifel hat, bei uns vorbeizuschauen und sich ein Bild zu machen», sagt Lutz Hahn. Diese negativen Stimmen bestätigt auch der Sumiswalder Gemeindepräsident Martin Friedli. «Es sind vorwiegend noch zwei Dinge, welche stören; das ist der Lärm und der Abfall.» Als positiv betrachtet Friedli das gute Einvernehmen mit ORS. Als hervorragend taxiert er die Freiwilligenarbeit. «Es ist unglaublich, was die Ehrenamtlichen alles leisten.» Und in regelmässigen Abständen wird ein runder Tisch organisiert, zu dem Gemeindevertreter, Mitarbeitende von ORS und dem Kanton, die Schule, Anwohner, Sportvereine und Vertreter der Forum AG eingeladen werden. «Wir erhalten viele Informationen, die Kommunikation ist offen und transparent, dennoch sind wir nicht immer gleicher Meinung. Insbesondere die Sportvereine bemängeln den Lärm, dem sie bei der offenen Kletterwand ausgesetzt sind», verrät der Gemeindepräsident. Dessen ist sich auch ORS bewusst. «Grundsätzlich funktioniert das Nebeneinander mit der Turnhalle und Kletterwand sehr gut, abends spielen die Kinder vor den Zimmern, was auch mal laut werden kann, sodass sich die Kletterer nicht mehr so gut konzentrieren können. Wir versuchen hier so gut wie möglich, Gegensteuer zu geben», verspricht Stefan Ammann.

Erfreuliche Schulintegration
«Die Zusammenarbeit mit der Schule funktioniert aus unserer Perspektive sehr gut», sagt Stefan Amman. Angeboten werden zwei DaZ-Kurse (Deutsch als Zweitsprache), in Sumiswald und Wasen, wo die Kinder, je nach ihren Stärken, eingeteilt werden. Von dort aus wird entschieden, ab wann sie für die Regelklassen bereit sind. Dabei werden sie zuerst phasenweise, danach voll in die Klassen integriert. Auch Gesamtschulleiter Martin Kästli zeigt sich, obwohl die Situation mit den Flüchtlingskindern eine Herausforderung darstellt, mit der Gesamtsituation zufrieden. «Eine Arbeitsgruppe mit Lehrpersonen und Behörden hat sich gut bewährt, die Kinder sind motiviert und wollen lernen.» Etwas Neues sei für die Schule hingegen die kurze Dauer, während der die Kinder in der Schule verweilen. Denn sobald ihre Eltern eine Wohnung und Arbeit gefunden haben, ziehen diese weiter. «Manchmal passiert das so kurzfristig, dass die Lehrperson kaum Zeit findet, die Kinder richtig zu verabschieden», bedauert Martin Kästli.

Von Marion Heiniger