• Die Anliegen der Teilnehmer wurden am ersten «Dorfgespräch» ernstgenommen und kontrovers diskutiert. · Bild: Marion Heiniger

02.11.2021
Emmental

«Architektur geht uns alle etwas an»

Das erste «Dorfgespräch» über das Thema «Architektur» muss im Dorf diskutiert werden, war auch ein erster Erfolg in der Kommunikation zwischen der Gemeinde Sumiswald und der Bevölkerung. Die Sorgen, Bedürfnisse und Visionen rund um die Gemeinde Sumiswald, welche den Dorfbewohnern unter den Fingernägeln brennen, konnten an diesem Abend auf den Tisch gebracht werden. Geführt wurden die Gespräche von Architektin Lorea Schönenberger.

Sumiswald · «Architektur geht uns alle etwas an, wir leben damit und darin», erklärte die gelernte Hochbauzeichnerin und studierte Architektin Lorea Schönenberger an der ersten öffentlichen Diskussionsrunde «Dorfgespräche». Gerade einmal acht Personen fanden sich dazu im Forum Sumiswald ein. Was auf den ersten Blick als geringes Interesse erschien, zeigte sich während des Abends als ideale Grösse für den ersten «Dorfgespräche»-Anlass. Lorea Schönenberger beschäftigt sich seit Längerem mit Dörfern und den Menschen, die darin mit der Architektur leben. Ihre Erfahrung zeigt, dass man über Städte und Agglomerationen spricht, die Dörfer werden jedoch dabei meist vergessen, obwohl die Baukultur auch dort im Alltag sehr wichtig ist. Unter dem Motto «Architektur muss im Dorf diskutiert werden» leitete die Architektin die beschauliche Runde kompetent durch den Abend.

Stammtischgespräche
Um der Diskussionsrunde einen Stammtischcharakter zu verleihen, stand ein runder Tisch mit Hockern aus Karton bereit. Etwas zögerlich setzte sich die ungleiche Gruppe an den «Stammtisch», welcher als Sinnbild für das Miteinander galt. Gar nicht zögerlich hingegen begannen die Gespräche. Lorea Schönenberger hatte ein «Tagesmenü» mit Fragen vorbereitet, welche an diesem Abend zur Diskussion stehen sollten, und warf sogleich die erste Frage zum Warmwerden in die Runde: Was ist das Erste, das dir in den Sinn kommt, wenn du an dein Dorf denkst? Die Antworten kamen prompt, die Liste war lang: Schraubenzieher, lange Wanderungen auf gemeindeeigenem Boden, Bahnhofsuhren, Erholung, Strassen, ein Dorf, in dem man noch alles hat, Charakter durch würdevolle Bauten im Dorfkern, fehlende Sicherheit im Dorfkern.
Die zweite Frage, die auf Erinnerungen oder Geschichten verbunden mit dem Dorf abzielte, wurde bereits konkreter beantwortet. Dabei zeichneten sich erste Sorgen und Probleme auf, welche die Gemeinde in Zukunft angehen könnte. So wurden beispielsweise die teilweise fehlenden Nachfolgeregelungen der Detaillisten angesprochen wie auch die Problematik der Geringverdiener, welche sich die Preise in den «kleinen Läden» meist nicht leisten könnten.
Identitätsstiftend für Sumiswald seien hingegen die Begegnungen im Dorf, war man sich bei der nächsten Frage einig, wobei auch die verschiedenen Anlässe wie die Alpabfahrt, der Gotthelfmärit oder der Töfftreff ihren Beitrag dazu leisten würden. Die Frage, wo denn dieser Austausch zwischen der Dorfbevölkerung stattfinde, konnte schnell beantwortet werden: In den Vereinen, am Stammtisch in der «Beiz» und in den Dorfläden. Sie seien massgebend für die wertvollen Begegnungen. «Braucht es den Austausch am Stammtisch wirklich?», fragt Lorea Schönenberger etwas provokativ in die Runde. «Klar», war man sich einig. Die «Beiz» sei zentral für die verschiedenen Bedürfnisse, um sich auszutauschen. Eine der Anwesenden vermisste dagegen eine «Hundsverlochete», eine kleine Feier, bei der sich die Bevölkerung von Wasen, Sumiswald und Grünen treffen könne. Denn hier sei definitiv Handlungsbedarf, um die unsichtbare Mauer, welche sich über Generationen zwischen Wasen und Sumiswald errichtet habe, zu durchbrechen.

Einfamilienhäuser nicht mehr zeitgemäss
Ob es denn bauliche Entwicklungen habe, welche momentan im Dorf diskutiert werden oder diskutiert werden sollten, wollte Lorea Schönenberger von der kleinen Gruppe wissen. Die Diskussion wurde schnell auf das verdichtete Bauen gelenkt. Dies müsse nicht «per se» schlecht sein, war ein Anwesender der Meinung. Doch wenn sich jemand in den Kopf gesetzt habe, ein Einfamilienhaus zu bauen, dann wolle dieser wohl kaum in einer Eigentumswohnen wohnen. Damit wurde gleich das nächste Problem der Gemeinde Sumiswald angesprochen, die nicht mehr allzu viel Bauland zur Verfügung stellen kann. «Der Bau von Einfamilienhäusern ist nicht mehr zeitgemäss», fügte die Architektin bei dieser Diskussion an. Sie würde es hingegen interessieren, in welche Richtung Sumiswald gehen möchte und ob alternative Wohnformen anzubieten eine Option wäre. Auch hier zeigten sich bestehende Probleme auf. «Das Generationenhaus ist eine gute Sache, doch Alterswohnungen sind meist sehr teuer und längst nicht jeder kann sie sich leisten», erklärte eine Teilnehmerin. «Und viele möchten aus ihren eigenen vier Wänden nicht ausziehen, solange sie noch allein oder mit Unterstützung der Spitex leben können», weiss ein anderer Teilnehmer aus Erfahrung.

Positives Fazit
«Wo soll denn die Gemeinde Sumis­wald in 30 Jahren stehen?», stellte Lorea Schönenberger an diesem Abend ihre letzte Frage. Stichwörter wie 30er-Zonen, Werterhalt der alten Häuser, ein schöner Platz als Begegnungsort im Dorfzentrum, ein Veloweg, der Wasen mit Sumiswald verbindet, oder auch eine optimale Digitalisierung bis in die hintersten Täler der Gemeinde, zeigten die unterschiedlichen Bedürfnisse der acht Diskussionsteilnehmer auf.

Weitere Dorfgespräche möglich
Gemeindepräsident Fritz Kohler zog gegen Ende des Abends ein positives Fazit. Er freute sich, dass über die verschiedenen Sorgen, Bedürfnisse und Ideen der Teilnehmer des ersten «Dorfgespräches» diskutiert werden konnte und könnte sich vorstellen, auch in Zukunft ähnliche Diskussionsrunden zu veranstalten.
«Bei einem nächsten ‹Dorfgespräch› könnte man beispielsweise an den heutigen Abend anknüpfen, oder bereits über konkretere Themen diskutieren», brachte er zum Schluss seine Gedanken zum Ausdruck.

Von Marion Heiniger