• Ein Flachsfeld mit herrlichen azurfarbenen Blüten. · Bild: zvg

  • Leinengarn nature und gebleicht. · Bild: zvg

  • Schwingerhosen werden traditionell aus Leinen hergestellt. · Bild: zvg

  • Adrian Brügger, Landwirt und Pionier für Flachsanbau in Willadingen, mit dem Wender. · Bild: zvg

14.05.2020
Emmental

Azurblau blüht Flachs auf Emmentaler Feldern

Leinen oder Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Aus den Leinenfasern webten unsere Urgrossmütter ihre Aussteuer. Mit dem Aufkommen der Baumwolle wurde der Anbau in der Schweiz nahezu eingestellt. Dank der 2014 gegründeten Firma SwissFlax mit Sitz in Sumiswald erlebt die Naturfaser ein Revival.

Sumiswald · Mit dem Sonnenaufgang öffnet der Flachs seine Blütenkelche für wenige Stunden. Im Sommer blühen die fili-granen Pflanzen leuchtend blau: die Redewendung «Fahrt ins Blaue» könnte auf die früher verbreiteten Flachsfelder zurückzuführen sein. Morgens zwischen acht und elf erinnert die Farbenpracht an das azurblaue Meer. Wenn Wind aufkommt, wiegen die Blüten wie Wellen auf den langen Halmen hin und her. Später bilden sich Samenkapseln aus den blauen Blumen. Leinsamen sind reich an Mineralstoffen und bereichern Müeslis und Joghurts oder als Backzutat auch Brot. Für Salatdressings ist das nussig schmeckende Leinöl sehr beliebt.
In der Schweiz ist der Flachsanbau gestorben, weil man sich nicht um die Industrialisierung gekümmert hat. Bis im Jahr 2014 die SwissFlax GmbH gegründet wurde. Die Sumiswalder Firma hat sich zum Ziel gesetzt, Flachs wieder anzubauen und industriell zu betreiben. Als Bindeglied zwischen den Landwirten und dem Leinenmarkt kauft SwissFlax den Bauern das Flachsstroh ab, organisiert die Weiterverarbeitung des im Emmental an-gebauten Flachs vom maschinellen Aufschliessen bis zum Spinnen der Fasern zu hochqualitativem Garn. Derzeit befinden sich im Lager von SwissFlax mehr als sechs Tonnen feinstes Leinengarn.

SwissFlax gewinnt Designpreis
2019 wurde SwissFlax mit dem Schweizer Designpreis ausgezeichnet. Wie erklärt sich Geschäftsführer Hans Haslebacher den Erfolg: «In Zeiten, in denen Nachhaltigkeit und lokale Produktion angesagt sind, liegt Schweizer Flachs voll im Trend. Unsere Hauptaufgabe ist die Vermarktung unserer Produkte. Wir führen ein Garnlager, dessen Grösse es erlaubt, jederzeit grössere Mengen ab Lager liefern zu können. Wir bieten Garn in sechs verschiedene Stärken an; Nm5 eignet sich z.B. für Schwingerhosen und Nm26 für Vorhänge und Strickwaren. Zurzeit sind wir daran, ein noch feineres Garn zu entwickeln, aufgrund der steigenden Nachfrage nach Bettwäsche und Hemden.»
Bis aus dem Flachs ein Garn entsteht, ist es ein langer Weg. Der Rohstoff dafür kommt unter anderem von Adrian Brüggers Feldern. Der Landwirt gilt als «Pionier» und koordiniert den Flachsanbau mit anderen Bauern. Seine Flachsparzellen im kleinen Bauerndorf Willadingen ziehen zwischen Juni und August zahlreiche Besucher an. Gemäss Hans Haslebacher ist die Ökobilanz des Leinens im Vergleich praktisch jeder anderen Naturfaser überlegen. Gegenüber Baumwolle benötigt Flachs deutlich weniger Wasser, Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel. Zudem ist der Anbau ökologischer und ertragsreicher, weil der gesamte Halm zur Fasergewinnung verwendet wird und nicht nur die Blüten.

Moderne Natürlichkeit
«Weil wir in der Schweiz kultivieren, bewegen wir uns eher im oberen Preissegment, also über den Weltmarktpreisen. Unser Zielmarkt sind Kunden, die Wert auf nachhaltige und regionale Produkte legen und denen der Überblick der Wertschöpfungskette wichtig ist», sagt Hans Haslebacher und präzisiert: «Neben Webereien und Strickereien, die unser Garn für ihre Eigenprodukte einsetzen, stossen unsere Garne bei Anbietern von Textilien auf grosses Interesse, welche ihre Stoffe auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten weben lassen.»

Edel, langlebig und robust
Leinen gilt weltweit als eine der stärksten Naturfasern und ist stärker als Baumwolle. Leinen ist thermoregulierend, da es Feuchtigkeit schnell aufnehmen und abgeben kann. Dadurch zeichnet sich Leinenkleidung durch ein natürliches, angenehmes Gefühl auf der Haut aus. Im Sommer bleibt es kühl und atmungsaktiv; im Winter speichert es Wärme. Im Vergleich mit anderen Stoffen ist Leinen pflegeleicht, praktisch fusselfrei und vielseitig verwendbar. Von luftigen Sommerkleidern, eleganten Anzügen bis hin zu technischen Textilien.
Die traditionelle Faser Flachs passt auch zum Traditionssport Schwingen. So trugen die «Bösen» am Oberaargauischen Schwingfest 2019 in Grafenried erstmals robuste Zwilchhosen aus Schweizer Lein. Gefertigt von der innovativen Lanz-Anliker AG in Rohrbach und der Sattlerei Paul Eggimann in Grünen.

Ein Hauch Exklusivität
Am Anfang war das Leinentuch. Denn mit dem Weben von Leinen nahm die Erfolgsgeschichte von Création Baumann 1886 in Langenthal ihren Anfang. Heute hat sich die einstige Weberei zu einem führenden internationalen Unternehmen entwickelt. So werden bei Création Baumann aus den hochwertigen Emmentaler Naturfasern Stoffe gewoben, aus denen Möbel Pfister Vorhänge schneidern lässt. Unter dem Label «erfolg» stellt der Strickwarenhersteller Traxler AG in Bichelsee eine Leinen-Produkte-Linie her; Made in Switzerland. Die Textil AG in Huttwil verarbeitet den zu Leinengarn gesponnenen Flachs zu Pullo-vern und Shirts. Diese werden in der Huttwiler Textilmanufaktur Colora AG gefärbt. So entstehen exklusive Ein-zelstücke, die in den Colora-Boutiquen verkauft werden, etwa auch in Langenthal. «Im Juli erreichen die reifen Pflanzen eine Höhe von 0,9 bis 1,20 Meter. Dann kommt die massgeschneiderte Raufmaschine zum Einsatz. Ein spezieller Traktor zupft die Stängel samt Wurzel aus der Erde und legt sie in Bahnen», erklärt Hans Haslebacher. Nach dem Raufen bleibt der Flachs in Schwaden auf dem Feld liegen. Dann beginnt die Feldröste (Rotten), ein natürlicher Prozess bestehend aus Tau, Regen, Bodenpilzen und Bakterien.
Nach einigen Tagen und mehrmaligem Wenden sind die Flachsstängel dürr und brüchig, so dass sich beim Brechen die Fasern vom Stängel gut trennen lassen. Dann werden die Flachsstängel zu Rundballen gepresst. Für die Verarbeitung von Flachs zu Textilgarn ist der Langfaseranteil entscheidend. Sorten wie Andrea, Christine und Lisette werden für den Anbau besonders geschätzt. Mangels Alternativen werden die Flachsstängel in Holland gebrochen und die Fasern in Polen gesponnen. «Wir pflanzen sieben Hektaren an; es lohnt sich erst ab zirka 300 Hektaren, diese teuren Maschinen zu beschaffen. Leinen boomt weltweit; im Gürtel von Normandie, Belgien und Holland werden 120 000 Hektaren angebaut», erläutert Geschäftsführer Hans Haslebacher. Um die blaue Blütenpracht in der Nähe zu geniessen, lockt im Sommer eine «Fahrt ins Blaue» ins Emmental.

Von Brigitte Meier