• Ewald Trachsel (links) und Gunnar Krabbe stellen gemeinsam im Stiftungshaus aus. · Bild: Thomas Peter

17.05.2019
Oberaargau

Begegnungen mit erhabenen Landschaften

Hier Gunnar Krabbe, der 53-Jährige aus dem Grossstadtraum Düsseldorf, dort Ewald Trachsel, ein 59-jähriger aus dem idyllischen Nachbarsdorf Dürrenroth. Zeichnungen von kanadischen und italienischen Landschaften stehen Skulpturen aus Emmentaler Holz, gewonnen von toten Bäumen direkt vor der Haustüre, gegenüber. Zwei scheinbar unterschiedliche Welten treffen bis am 16. Juni im Stiftungshaus Eggenschwiler in Eriswil aufeinander.

Eriswil · Die vermeintliche Divergenz von Gunnar Krabbe und Ewald Trachsel hat ihre Gültigkeit nur auf den ersten und vielleicht auch auf den zweiten Blick. Denn die beiden Künstler, die sich vorher noch nie begegnet sind, haben mehr gemeinsam, als Wohnort und der äusserliche Faktenschein vermuten lassen. Der Werdegang: Beide Steinbildhauer, beide Kunststudenten, beide Dozenten. Die Sujets der in Eriswil ausgestellten Werke: Landschaften Hügel, Berge. Bei beiden nicht wirklich idyllisch oder gar romantisch, auch wenn die Objekte von Ewald Trachsel oft geschmeidige Rundungen vorweisen. Beim zweiten, intensiveren Hinschauen fällt der Vorhang der scheinbar verträumten Landschaften.

Erhabenheit der Natur
«Erhaben», nennt sie Gunnar Krabbe. «Ich will die Erhabenheit der Landschaften zeigen.» Eine Erhabenheit, der die beiden Kunstschaffenden mit dem Respekt der Ehrlichkeit begegnen. «Die Landschaften, die ich zeichne, sind nicht einfach reine, unverfälschte Natur. Die findet man bei uns kaum mehr. Irgendwo ist immer vom Menschen eingegriffen worden.» Und diese Echtheit lässt er in seine Bilder in aller Konsequenz einfliessen. So zeigt er etwa einen radikalen Baumschlag an einem Fluss auf Vancouver Island. Dank der Rodung hat man einen neuen Blick auf die Landschaft, sieht plötzlich die vorher vom Wald verborgenen Hügel am anderen Ufer. Gunnar Krabbe zeigt, dass der Eingriff des Menschen Wirkung hat auf die Natur und die Sicht der Dinge. Er will das Originäre der Landschaft, die Eigenheit des Hier und Jetzt festhalten, reduziert auf klare Linien und Schraffierungen. Nicht verschweigend, dass die oft touristisch suggerierte Naturidylle nicht der Realität entspricht. Dafür will er den Betrachter sensibilisieren. Aber auch nicht wirklich wertend. Denn den Mantel als zeichnender Klimawandelkritiker will er sich nicht überstreifen lassen. Er, der sich «als Zeichner auf Entdeckungsreisen» nennt, hält fest, was er auf seinen Fussmärschen plötzlich antrifft. «Ich zeichne immer vor Ort. Ich stelle mich der Landschaft in ihrer aktuellen Situation.»
Dass Gunnar Krabbe in Eriswil ausstellt, ist nicht ohne Grund. Zwischen 1990 und 1993 war der Deutsche Kunststudent bei Franz Eggenschwiler. Im vergangenen Jahr reifte die Idee, erstmals seine Werke in der Schweiz zu zeigen. Schnell war er sich mit Heinz Allemann einig, dass ein zweiter Künstler hinzu gewonnen werden sollte. Heinz Allemann schlug Ewald Trachsel aus Dürrenroth vor. Und dieser schlägt gleich den Bogen zur Gemeinsamkeit mit Gunnar Krabbe. «Ich beschäftige mich auch mit Landschaften, nur auf eine ganz andere Art als Gunnar Krabbe. Ich bilde nicht ab, ich versuche die Stimmung über die Transformation des Materials und der Farben herzustellen. Ist das Objekt ein Hügel, eine Landschaft oder ist es ein Körperteil?» Das zu entscheiden überlasse er dem Rezipienten, wie er den Betrachter vorzugsweise nennt. «Ohne eigene Landschaft ist man niemand. Doch welche Landschaft brauche ich? Ich versuche, dem Rezipienten einen Anstoss zu geben, sich Gedanken zu machen über sich, sein Wohl, seine ihn umgebende Landschaft.»

Neue Lebendigkeit
Deshalb ist es ihm so wichtig, dass er sich auch künstlerisch mit dem beschäftigt, was ihn persönlich täglich umgibt. Das Holz für seine Salix- und Aesculus-Objekte stammt denn auch von abgestorbenen Weiden und einem toten Rosskastanienbaum, die einst bei seinem Haus in Dürrenroth standen. Beim Bearbeiten des Holzes versuche er, auf dessen Textur und Form zu stossen. Und dabei gehts ihm wie Gunnar Krabbe um die Ehrlichkeit gegenüber dem Angetroffen. «Im Holz gibt es nicht nur unberührte Natur, sondern auch eine Künstlichkeit.» Eine Künstlichkeit, die durch Eingriff des Menschen entstanden ist, etwa durch das Abschneiden von Zweigen. Dies ergebe zum Teil eine völlig neue Textur im Holz, die er in seinen Objekten herausarbeite. Form und Strukturen sind vom Material gegeben, Ewald Trachsel gibt sein Auge, um sie zu entdecken und sichtbar zu machen. «So kann über die Transformation wieder etwas Neues entstehen, ein individuelles, einzigartiges Stück. Ich mache aus Totem wieder etwas Lebendiges.» Ewald Trachsel hat die Holzobjekte farblich unterlegt, um teils spannungsvoll, teils gewollt irritierend die charakteristische Eigenheit der Holzobjekte von der Umgebung abzuheben und zu betonen. Was jeder einzelne Rezipient darin sieht oder erkennt, soll der Individualität des Betrachters überlassen sein. «Wenn ich heute in eine zeitgenössische Kunstausstellung gehe, dann kehre ich mit Fragen nach Hause, die mich noch drei, vier Wochen darüber hinaus beschäftigen. Die Frage zum Beispiel, was für Folgen hat der Eingriff in die Natur.» Die zeitgenössische Kunst gehe somit über die reine Ästhetik hinaus, weil sie zum Nachdenken animiert.

Gut zu wissen
Öffnungszeiten: jeweils Samstag und Sonntag, 13 bis 17 Uhr. Finissage am 16. Juni um 17 Uhr: Franz Dodel liest aus «Nicht bei Trost».

Von Thomas Peter